2024-05-10T08:19:16.237Z

Ligabericht
Bestens gelaunt im Watzenborner Grün: Der neue Trainer der Watzenborner Teutonen, Francisco Copado (rechts), im Gespräch mit Anzeiger-Redakteur Rüdiger Dittrich. Fotos: Weis
Bestens gelaunt im Watzenborner Grün: Der neue Trainer der Watzenborner Teutonen, Francisco Copado (rechts), im Gespräch mit Anzeiger-Redakteur Rüdiger Dittrich. Fotos: Weis

"Ich habe die Mannschaft jetzt im Kopf"

RL SÜDWEST: +++ Spanien, Hamburg, Bayern - Watzenborn-Steinbergs Trainer Copado lebt sich jetzt in Mittelhessen ein +++

WATZENBORN-STEINBERG - Dienstag, kurz nach 11 Uhr, Sportplatz Watzenborn-Steinberg. Die Sonne scheint - die Temperaturen erinnern eher an einen Strandtag in Spanien als an einen Herbsttag in Mittelhessen. Es ist schön auf dem Sportgelände des SC Teutonia Watzenborn-Steinberg, auf dem Kunstrasen hantiert ein Helfer an den Tornetzen, oben auf dem Rasenplatz vor der Kulisse des Schiffenbergs liegt das Vormittagstraining des Regionalligisten in den letzten Zügen. Torschuss, Passgenauigkeit, Handlungsschnelligkeit sind das Thema.

Co-Trainer Babacar N'Diaye, zuletzt Münster, und Ümit Komac, immer schon Linden, schießen zum Abschluss aus Spaß aus 20 Metern auf die Mini-Tore. "Baba" trifft den Pfosten, Komac trifft ins Netz, Trainer Francisco Copado applaudiert und lacht. Komac gibt zum besten: "Türkei gegen Senegal 1:0." - "Aber mein Schuss war schöner", sagt N'Diaye.

Es herrscht gute Stimmung an der Neumühle, auch die Spieler wirken gelöst, das bittere 0:5 von Hoffenheim scheint verdaut. "Eine Niederlage ist immer ärgerlich und so eine Klatsche erst recht, aber man kann daraus auch was lernen", wird Copado später sagen, "Hoffenheim ist die technisch vielleicht stärkste Mannschaft der Regionalliga, da kann man schon verlieren. Wir haben eine halbe Stunde lang gut mitgespielt, dann nach einem individuellen Patzer das 0:1 kassiert und dann war es schwer."

Und schon ist man mittendrin im Fußball-Thema, das doch genau das ausmacht, was man hier in Mittelhessen über Jahrzehnte wollte: Wahrgenommen werden auf der fußballerischen Landkarte, jenseits von Basketball und Handball auch im Konzert der (zumindest) etwas Größeren mitzuspielen. Mit dem Regionalliga-Aufstieg der Teutonen ist das ein Stück weit eingetreten, auch wenn es von mancher Seite noch argwöhnisch beäugt wird. Ob die das schaffen? Wie wollen sie das stemmen? Mal sehen, wie lange das dauert! So ist das halt.

Francisco Copado, der seine Profikarriere beim Hamburger SV begann, seine größten Erfolge in Hoffenheim feierte, der auch für Eintracht Frankfurt spielte und Zweitliga-Torschützenkönig war, der unter Hermann Gerland, Felix Magath und Ralf Rangnick trainierte, ja, Copado ist durchaus ein passendes Gesicht für den Aufbruch in Profi-Gefilde. Alleine schon, dass man an diesem Dienstagvormittag hier sitzt nach dem ersten Training des Tages, spricht dafür. Denn es sagt: Auch die Zeiten der Übungseinheiten werden den Bedürfnissen (semi-)professionellen Fußballs angeglichen unter dem noch neuen Trainer Copado.

Drei Wochen ist der Spanier ("ich habe nur einen spanischen Pass"), der in Kiel geboren wurde, dann aber sechs Jahre in Sevilla bei der Großmutter aufwuchs, ehe er zu seinen Eltern zurückkam und in Deutschland zur Schule ging, nun "Mittelhesse". Zeit für eine erste Zwischenbilanz des sportlich "durchwachsenen Starts", wie er selbst sagt. Aber auch für ein persönliches Fazit.

Francisco Copado scheint angekommen in seiner neuen Heimat, er steht kurz davor, nach drei Wochen Hotel-Leben eine Wohnung in Watzenborn zu beziehen. "Das wird sich jetzt klären", sagt der 42-Jährige, der in der Fußballakademie des Hamburger SV zum Profi ausgebildet wurde. Co-Trainer Baba N'Diaye hat schon eine Bleibe gefunden. "Das mit dem Hotel war in Ordnung, ich musste nach den Spielen am Wochenende sowieso immer nach München", lacht Copado, und auch zwischen den Trainingseinheiten und Spielen der Teutonen blieb nicht viel Zeit. Deshalb hat er auch Watzenborn als Standort gewählt und nicht Gießen, "da bin ich dicht dran am Trainingsgelände. Weil ich sowieso die meiste Zeit hier bin, schätze ich es, wenn ich mit dem Fahrrad zum Platz fahren kann."

Ob das nicht alles sehr stressig sei? Dieses Leben in Etappen? "Jo mei, das ist einem schon klar, wenn man einen Job als Fußballer oder Trainer hat. Es ist schon ein wenig ein Vagabundenleben, wo man immer wieder etwas zurücklässt, immer aber auch etwas Neues beginnt." Copado, der im Gespräch sein norddeutsches Idiom nicht immer verbergen kann, hat wirklich "jo mei" gesagt. Vielsprachig unterwegs ist der gute Mann, der früher mit seinen flinken Haken die Gegner austanzte und vor dem Tor viele Lösungen fand. Aber als bayerischer Norddeutscher in Hessen ist er vor allem auch immer noch Spanier, der ehedem eine Berufung in den Kader der deutschen Jugendnationalmannschaft hatte, aber lieber für Spanien spielen wollte, wo es dann "in der U 21 leider nicht mehr ganz gereicht hat. Aber so ist das eben."

Copado ist ein ruhiger und gelassener, ein humorvoller und angenehmer Gesprächspartner, er muss nicht protzen oder sich verstellen, das "so ist das eben" ist schon ein Leitmotiv, weil keine Klage über seine Lippen kommt, dass er in den ersten drei (englischen) Wochen kaum Zeit hatte, stringent und strukturiert zu trainieren. Andererseits lässt er ein "so ist das eben" nicht gelten, wenn es in und um die Spiele geht. Da wird er deutlich: "Du entscheidest selbst, ob du es schaffst oder nicht. Da kommt es nicht immer auf den Gegner an, es kommt auf einen selbst an. Ob man Lösungen findet."

Lösungen finden - das ist ein wichtiger Aspekt für den Trainer Copado. Und (nicht nur) zwischen den Zeilen wird sein Credo klar, dass er genau das von seinen Spielern verlangt und erwartet. Gerade im Offensivbereich sollen die Spieler "mutig sein und keine Angst auch mal vor einem Fehler haben, sie sollen auch mal was probieren. Wenn ich nicht das Eins gegen Eins suche oder nicht aufs Tor schieße, dann passiert auch nichts", erklärt er seine Philosophie, die er so sicher nicht nennen würde. Copado hat Fußball gelernt, als das System noch nicht als Ausrede für Niederlagen oder als Begründung für Siege gebraucht wurde. Klar ist aber, was er nicht mag: Zögern und Zaudern aus Angst, etwas falsch zu machen. Da ist er der Kreativspieler Copado - so denken echte Stürmer. Und so denkt er auch als Trainer.

Das Problem der Teutonen war bis dato, dass nach vorne zu wenig passierte, "wir aber auch hinten immer einen Fehler drin haben. Man hat gesehen, dass es uns schwer fällt, ein Spiel 1:0 zu gewinnen." Und neben den "individuellen Lösungen" und dem Mut nach vorne, den er fordert, will Copado nach all den englischen Wochen jetzt "konsequent an Passgenauigkeit, hohem Tempo und Handlungsschnelligkeit" feilen. "Wir haben noch viele Defizite, vor allem in Sachen Tempo, die Qualität, die wir haben, wird aber reichen", ergänzt er mit generellem Blick auf den Kader. Das habe nicht nur das Spiel gegen Saarbrücken gezeigt. "Das ist eine Mannschaft, die ich mit für die stärkste der Liga halte, da haben wir über Mentalität und Laufbereitschaft mit einem Quäntchen Glück verdient gewonnen."

Vier Spiele - ein Sieg, ein unglückliches Unentschieden, zwei Niederlagen. Wenn auch die Bilanz "durchwachsen ist", in Pirmasens und Walldorf waren die Teutonen besser und nah dran an vier Punkten, heraus kam nur einer. "Daraus müssen wir lernen und werden wir lernen", sagt Copado, der darauf verweist, dass wir "eine von drei, vier Mannschaften in der Liga sind, die nicht unter Profibedingungen arbeitet." Aber an dieser Stellschraube werde gedreht, betont der Ex-Profi, der "hier über gar nichts klagen kann, es wird alles bereitgestellt, ich habe optimale Trainingsbedingungen, alle Utensilien sind da und wir tauschen uns ständig aus, wie wir vorwärtskommen." An dieser Stelle gerät Copado fast ins Schwärmen, weil "der Vorteil hier ist, dass es um die eine Sache geht und alle an einem Strang ziehen." Auf kurzem Wege sei viel zu erreichen und wenn man die Abläufe betrachte, "wie schnell das hier alles gegangen ist, sind wir schon sehr weit. Der Verein ist super aufgestellt. Hier geht alles auf dem kurzen Dienstweg. Ich kenne da andere Strukturen, wo 50 Leute gegeneinander arbeiten." Ob er seine erste Station meint, den Hamburger SV? Copado lächelt vielsagend: "Auch."

Keine Baustellen? "Wir werden uns mit Sicherheit noch einmal zusammensetzen, weil im Trainerbereich noch etwas getan werden muss, da ist es gut, wenn man mehrere Spezialisten hat", kündigt Copado an. Auch für die Wintermonate, wo "es abends ohne Flutlicht mit dem Trainingsbetrieb hier nicht funktioniert", müsse man Wege finden. Aber das sei bekannt und man arbeite daran. Nach drei Wochen habe er sich jetzt auch ein Bild machen können von der Mannschaft, wisse, auf welche Spieler er bauen könne. "Ich habe die Mannschaft jetzt im Kopf, auch wenn es natürlich immer die ein oder andere Änderung geben kann."

Er denkt kurz nach. Und kommt dann noch ins Plaudern. Über Hermann Gerland, der bei Tennis Borussia Berlin sein Trainer war, "einen Ball in die Mitte geworfen und gesagt hat, spielt, ihr wisst ja, wie es geht." Oder Felix Magath, der manchmal sechs Wochen nicht mit einem geredet habe, "heute fragen die Spieler schon nach ein paar Tagen, ob man ein Problem mit ihnen hat. Einmal habe ich vier Tore geschossen, am nächsten Tag hat mich Magath zwei Stunden laufen lassen. Begründet hat er das nicht." Der 42-Jährige lacht. Früher, sagt er, "war nicht alles besser, aber auch nicht alles schlechter, es war halt anders." Francisco Copado hat viel gesehen, viel erlebt, er kennt das Geschäft. Das ist gut für die Teutonen, das ist gut für Mittelhessen, das an diesem Tag so sonnig ist wie Spanien. Copado ist nun angekommen, die nächste Station im Vagabundenleben des Fußball-Profis, der zum Trainer-Profi werden will. Der Anfang ist gemacht. In Watzenborn.

Aufrufe: 030.9.2016, 20:18 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor