2024-04-23T13:35:06.289Z

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Aus der Traum vom Regionalliga-Klassenerhalt: Dennis Lemke liegt nach dem 2:4 gegen Homburg und dem damit festestehenden Abstieg des SC Teutonia Watzenborn-Steinberg auf dem Rasen des Wetzlarer Stadions.
Aus der Traum vom Regionalliga-Klassenerhalt: Dennis Lemke liegt nach dem 2:4 gegen Homburg und dem damit festestehenden Abstieg des SC Teutonia Watzenborn-Steinberg auf dem Rasen des Wetzlarer Stadions.

Eine kleine Nummer zu groß

RL SÜDWEST: +++ Rückblick auf die Saison der Teutonen +++

WATZENBORN-STEINBERG. „Ich bin mir sicher, dass dieser Kader in der Lage dazu ist, die Großen zu ärgern und viele Punkte zu holen.“ Das sagte Jörg Fischer, Geschäftsführer und „Macher“ beim SC Teutonia Watzenborn-Steinberg, Anfang Juli 2016 zum Trainingsauftakt vor der Mannschaft, dem Trainerteam und den Clubverantwortlichen. Seitdem ist sehr viel passiert bei den Pohlheimern, die mit der Regionalliga Südwest komplettes Neuland betraten: Zwei Trainerwechsel, der Rücktritt von Coach Daniel Steuernagel, turbulente drei Monate mit Ex-Profi Francisco Copado auf der Kommandobrücke, die Abkehr vom „eigenen Weg“ hin zum Profitum, der Schritt zurück zu mehr Lokalkolorit mit der Verpflichtung des heimischen Duos Gino Parson/Stefan Hassler (auch Sportlicher Leiter) in der Winterpause, Viertliga-Fußball auf dem Dorfsportplatz an der Neumühle.

Jörg Fischer behielt nur bedingt recht. Es gelang den Grün-Weißen zwar punktuell, die etablierte Konkurrenz zu ärgern, letztlich aber stimmte die Ausbeute nicht. 35 Zähler aus 36 Spielen und Rang 17 bedeuten den Wiederabstieg in die Hessenliga. Zeit für ein Resümee zur Premieren-Saison eines mittelhessischen Clubs in der Regionalliga und den Gründen, warum das Ziel Klassenerhalt verfehlt wurde.

Große Siege, große Erlebnisse

Knapp 900 Zuschauer im Durchschnitt verfolgten die Heimspiele des SCT in Wetzlar (und Watzenborn sowie Marburg). Die Auftritte und auch die Bemühungen des Clubs hätten mehr Besucher verdient gehabt. Der Sprung von der Hessenliga in die Regionalliga gilt nicht umsonst als der größte im Fußball, der gebotene Sport ist dementsprechend absolut sehenswert. Als alles noch ganz neu war, strömten 3330 Zuschauer zum Auftakt gegen den TSV Steinbach. Und niemand, der es mit den Grün-Weißen hielt, sollte sein Kommen bedauern. Ein 0:3 lag bis zur Pause im Bereich des Möglichen, dann aber drehten die Hausherren auf und gewannen glatt mit 3:0.

Ende August hieß der Gegner in einem Flutlichtspiel Kickers Offenbach. Denis Weinecker und Dennis Lemke trafen zum 2:1-Sieg gegen einen der größten Traditionsclubs der Liga. Erneut unter Flutlicht, diesmal an einem Donnerstag, fuhr der nächste Ex-Bundesligist ohne Punkte nach Hause. Gegen den 1. FC Saarbrücken siegten die Teutonen ebenfalls mit 2:1. Viel Charme versprühte der gesamte Verein zu Beginn der Restrunde, als aufgrund der Unbespielbarkeit des Rasens in Wetzlar an die heimische Neumühle ausgewichen werden musste. Welch ein schöner Kontrast: Regionalliga-Fußball eben nicht in einer Arena wie in Mannheim oder Offenbach, sondern auf dem Dorfsportplatz. Der VIP-Bereich glich einem Grillfest im Freien. Es muss eben nicht immer alles zwangsläufig größer und mächtiger werden. Zweimal kamen gut 800 Zuschauer und erlebten, wie eine kampfstarke Teutonia einen 0:2-Rückstand gegen Walldorf in einen 3:2-Sieg verwandelte. Die Stimmung hatte etwas von der euphorischen Atmosphäre, die in der entscheidenden Phase der Aufstiegssaison zu spüren gewesen war.

Sportliche Herkulesaufgabe

Mindestens drei und bis zu sechs Absteiger – diese Zahl machte den Kampf um den Ligaverbleib vom ersten Anpfiff weg zu einer Herkulesaufgabe. Am Ende verpassten die Watzenborner das Ziel bei neun Punkten Rückstand auf Rang 13 deutlich und wären auch bei nur drei Absteigern unter dem Strich gelandet. Im Laufe der Saison hieß es nach den Spielen aus dem Umfeld, aber auch von Francisco Copado, man sei auf Augenhöhe oder überlegen gewesen und hätte eigentlich verdiente Teilerfolge und Siege verpasst. In Partien wie in Koblenz (0:1), Pirmasens (1:1 in Hin- und Rückspiel), Trier (0:0) oder gegen Kaiserslautern II (0:1) stimmte das sicherlich. Gino Parson meinte in seinem Fazit, die Mannschaft sei unter Hassler und ihm in den 14 Matches nur gegen Kassel (0:2) und in Saarbrücken (1:4) chancenlos gewesen. Die 90 Minuten in Mannheim (2:4) gehörten mit in diese Kategorie, ansonsten lässt sich Parson beipflichten. Die unnötigen, weil trotz teils klarer Vorteile kassierten Niederlagen bei den hinter dem SC platzierten Teams Nöttingen (1:2) und Trier (0:1) brachen dem SC kurz vor Ostern gewissermaßen das Genick. Auf der anderen Seite gab es auch Spiele, die wie gegen Steinbach (3:0), in Homburg (3:1), gegen Walldorf (3:2) und die Stuttgarter Kickers (1:0) mehr oder weniger glücklich gewonnen wurden. Am Ende, nach 36 Partien, gleicht sich alles aus, steht der SC Teutonia auf dem Platz, auf den er verdientermaßen gehört.

Zumal es nicht reicht, nur Pech anzuführen, um die Misserfolge zu erklären. Unvermögen und fehlende Qualität in Offensive wie Defensive waren zweifellos ebenso zentrale Puzzleteile. Nicht umsonst hat der Aufsteiger die zweitmeisten Tore kassiert und die fünftwenigsten Treffer erzielt. „Damit steigt man dann ab“, befindet Mittelfeldspieler Louis Goncalves.

Transfers und Kaderzusammenstellung

An der Schnittstelle zum Profifußball bewegten sich die Pohlheimer in deutschlandweiter Konkurrenz, was die Transfers anbelangt – 91 Klubs gehören den insgesamt fünf Regionalligen an. Im Sommer noch ohne Sportlichen Leiter mangelte es dem SC Teutonia auf dieser Ebene an der nötigen Kompetenz. „Da hat man sich zu sehr auf die Vita verlassen, die Mannschaft ist nicht clever zusammengestellt worden“, legt Louis Goncalves den Finger in die Wunde. Ein Volltreffer war lediglich Jonatan Kotzke, der im zentralen defensiven Mittelfeld vollauf zu überzeugen wusste. Als Gewinn entpuppten sich ferner Dennis Lemke, Christopher Spang und Markus Müller, wenngleich der Stürmer kaum traf und im Laufe der Hinrunde seinen Stammplatz verlor. Dem ehemaligen Offenbacher nahm man aber wie Lemke und Spang ab, dass er sich mit dem Club identifizierte. Bei vielen anderen Neuen drängte sich indes nachdrücklich die Frage auf: Sind die wirklich besser als diejenigen aus der Region, die den Aufstieg in die vierte Liga geschafft haben?

„Die Leistungsträger aus dem Aufstiegsjahr haben bewiesen, dass sie diese Liga spielen können“, hätte sich Kian Golafra, der unter Copado in die Reserve verbannt worden war, mehr Vertrauen in die Akteure der Hessenliga-Meistermannschaft gewünscht. Louis Goncalves fand nach dem letzten Spiel gegen den FC Homburg gleichfalls klare Worte und beklagte „eine Art Größenwahn“, durch den der ursprüngliche Plan, als „gallisches Dorf“ das Abenteuer Regionalliga in Angriff zu nehmen, durchkreuzt worden sei: „Die Jungs, die vergangenes Jahr schon hier waren, haben versucht, den Karren aus dem Dreck zu ziehen. Zehn bis 15 von den Spielern, die geholt wurden, stehen nicht mehr in der Startelf oder im Kader.“ Über allem steht dabei Abdenour Amachaibou. Der Ex-Zweitliga-Profi wurde von Francisco Copado sogar zum Kapitän ernannt, erwies sich aber als totaler Fremdkörper und spielte in der Restrunde unter Parson/Hassler überhaupt keine Rolle mehr. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass sich auch die Wintertransfers nur bedingt positiv auszahlten. Der Niederländer Jordi van Gelderen entwickelte sich zum Stabilisator in der Innenverteidigung, während Damjan Marceta, Marin Vidosevic und Marcel Avdic, auch verletzungsbedingt, oftmals blass blieben. Mehmet Kodes spielte zwar oft auf der offensiven Außenbahn, hielt allerdings dem Vergleich mit dem im Januar zum Gruppenligisten FSV Fernwald gewechselten Denis Weinecker nicht stand.

Teamspirit und Identifikation

Dass im Abstiegskampf mannschaftliche Geschlossenheit eine zentrale Komponente darstellt, ist eine Binsenweisheit. „Es tut mir leid, dass wir keine Mannschaft präsentieren konnten, für die es sich gelohnt hat, nach Wetzlar zu den Heimspielen zu kommen – weder fußballerisch, noch vom Teamgedanken her. Bei einer Handvoll hatte man das Gefühl, dass sie sich zerreißen“, spricht Goncalves von einem Kader, der nicht zu einer Einheit zusammengewachsen sei und einer Kluft zwischen den verbliebenen Aufstiegshelden und der Mehrzahl unter den Neuzugängen: „Es war sehr schwierig durch die verschiedenen Charaktere, Länder, und Kulturen. Wir, die Spieler aus der Region, tragen daran sicher auch eine Teilschuld. Vielleicht haben wir nicht genug getan, um die Neuen ins Boot zu holen. Aber wenn du es zwei- oder dreimal vergeblich versuchst, sie zu gemeinsamen Unternehmungen zu bewegen, wirst du auch müde und lässt es. Das schleicht sich als Routine ein. So sollte Fußball nicht sein. Das war im Aufstiegsjahr anders, in dieser Saison mit Profifußballern nicht zu realisieren.“ Trainer Parson sieht diese Aspekte „teilweise“ wie Goncalves, denn „wenn es viele Richtungen bei den Spielern gibt, wird es schwierig“. Allerdings, so der 38-Jährige weiter, „hat es Spiele gegeben, in denen man erkennen konnte, dass die Jungs mehr zu einem Team geworden sind. Sonst schlägst du eine Mannschaft wie Hoffenheim II nicht mit 2:1“.

Die Trainer und Wechsel auf der Bank

Golafra wie Goncalves klammern das Trainerduo Hassler/Parson übrigens explizit aus bei ihrer Kritik. In der Tat wirkte die Teutonia unter ihnen geschlossener. Gleichwohl blieb ihr Einfluss, den Teamgedanken zu forcieren, überschaubar, zumal sie mit einem Kader arbeiten mussten, auf dessen Zusammenstellung ihr Einfluss gering war. Wer sich mit dem Abstieg Watzenborns beschäftigt, kommt an der überraschenden Demission Daniel Steuernagels nach dem fünften Spieltag nicht vorbei. Unter seiner Verantwortung hatte der SC zwei Siege und drei Niederlagen verbucht. Steuernagels aufgrund der aus seiner Sicht nicht mehr zu vereinbarenden Belastung als Grundschullehrer mit Vollzeitstelle und Trainer eines Regionalliga-Teams setzte die Verantwortlichen um Jörg Fischer unter Zugzwang. Sie wollten einen hauptberuflichen Trainer, wenn möglich mit Erfahrung im Profifußball. Sie holten Francisco Copado – und der ließ nach anfänglichen kleinen Fortschritten kaum einen Stein auf dem anderen, sondern sorgte stattdessen für immer neue Baustellen und Unruhe im Team.

„Grund Nummer eins“ für den Abstieg ist für den Gießener Kian Golafra demnach Copado, der – nicht nachvollziehbar – mit ihm, Dennis Lemke, Christopher Schadeberg drei Spieler aus dem Spiel- und Trainingsbetrieb verbannte. Denis Weinecker fiel der Professionalisierung des Trainingsbetriebs, die Copado in Abstimmung mit Fischer und Co vorantrieb, zunehmend zum Opfer. Die vor der Saison getroffene Vereinbarung, individuelle Lösungen für die berufstätigen Spieler zu finden, war hinfällig. Weil Weinecker nicht an allen Einheiten teilnehmen konnte, büßte er seinen Stammplatz und später seinen Platz im 18er-Kader ein. Überdies warf Copado wöchentlich seine Aufstellung um, setzte Spieler immer wieder auf wechselnden Positionen ein und zeichnete damit wesentlich dafür verantwortlich, dass sich vermehrt Unsicherheit breitmachte.

Dass er Abdenour Amachaibou, der für ihn als Trainer die Werbetrommel gerührt hatte, zum Kapitän machte, hinterließ ebenfalls einen faden Beigeschmack, denn der 29-Jährige konnte nie überzeugen. „Copado hatte zwischenmenschlich sicher Probleme, vielleicht war er zu sehr Profi für uns. Da reicht es, wenn dem Trainer dein Gesicht nicht passt, und schon bist du draußen“, blickt Louis Goncalves zurück. „Die Zeit von Oktober bis Dezember war der größte Fehler“, meint Golafra: „Der direkte Übergang zu Stefan Hassler und Gino Parson wäre besser gewesen.“ Unter dem Duo präsentierten sich die Teutonen gefestigter und mit einer klaren Spielidee ausgestattet, kletterten aber nur einmal hoch bis auf zumindest Rang 16. Es ist nur eine Spielerei, aber die 16 Punkte, die Hassler/Parson in 14 Spielen einfuhren, hätten auf die gesamte Saison hochgerechnet nur zu Tabellenplatz 15 gereicht – und damit auch den Abstieg zur Folge gehabt.



Aufrufe: 027.5.2017, 08:00 Uhr
Thomas Suer (Gießener Anzeiger)Autor