2024-04-25T14:35:39.956Z

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BFV-Präsident Rainer Koch wird von einigen Fußballvereinen für sein Vorgehen bei der Abstimmung über die Fortsetzung der Saison kritisiert. dpa / Hendrik Schmidt
BFV-Präsident Rainer Koch wird von einigen Fußballvereinen für sein Vorgehen bei der Abstimmung über die Fortsetzung der Saison kritisiert. dpa / Hendrik Schmidt

Vereine kritisieren BFV: "Das erinnert an die DDR"

Klubs wundern sich über bayerischen Alleingang

Die Kritik an der Entscheidung des Bayerischen Fußball-Verbandes, die Saison trotz der Corona-Pandemie am 1. September fortzusetzen, wird lauter. Vertreter aus den Vereinen im Landkreis ziehen nun das Verfahren in Zweifel und fordern eine Revision.

Landkreis – Über den 1. September als Stichtag kann Stefan Schwartling nur schmunzeln. Der Abteilungsleiter des TSV Gilching betrachtet den Beschluss des Bayerischen Fußball-Verbandes, die Saison im Spätsommer fortzusetzen, angesichts der Stimmungslage in den übrigen Bundesländern für nicht mehr haltbar. „Wenn andere Verbände abbrechen, kann Bayern nicht hergehen und sagen, wir machen es aber anders“, sagt der Spartenchef. Seine Empfehlung an die BFV-Bosse: „Es muss ein klarer Schlussstrich gezogen werden.“

Mit dieser Forderung rüttelt Schwartling am Dogma des BFV. „Es gibt für uns keine Alternative“, hatte Rainer Koch das Vorgehen seines Verbandes für absolut erklärt. Inzwischen muss der Präsident miterleben, dass diese Position bröckelt. Kein anderer der insgesamt 21 Mitgliedsverbände des Deutschen Fußball-Bundes hat den Schritt der Bayern bisher mitvollzogen. Stattdessen wird Schwartlings Forderung nach einem vorzeitigen Abbruch in Fußball-Deutschland salonfähig. Für dieses Vorgehen haben sich bereits die Vereine des Fußball- und Leichtathletik-Verbands Westfalen (FLVW) in einer Umfrage ausgesprochen. Nur 11,6 Prozent der insgesamt 1149 Klubs, die ihre Stimme abgaben, votierten für eine Fortsetzung der Saison. Ebenso deutlich fiel das Meinungsbild des Berliner Fußball-Verbands (BFV) aus. Nur 20 Prozent der Vereine wollen die Runde ganz zu Ende bringen.

Bernd Öhler (Trainer TSV Erling-Andechs): „Das erinnert an die DDR.“

Anders als seine bayerischen Funktionärskollegen hatten der FLVW und der BFV den Vereinen vier beziehungsweise fünf Alternativen vorgegeben, für die sie sich entscheiden konnten. Das weckt im Freistaat nun schlafende Hunde. „Es gab keine verschiedenen Alternativen“, kritisiert Jens Rindermann das Verfahren in Bayern. Der BFV hatte nur seine Meinung als einzige Option zugelassen, für welche die Vereine mit ja oder nein stimmen konnten. Der Abteilungsleiter des Gautinger SC ist nicht der einzige, der das Prozedere infrage stellt. „Das erinnert an die DDR“, sagt Bernd Öhler. Der Coach des TSV Erling-Andechs weist darauf hin, dass die Wahlberechtigten damals bei den Volkskammerwahlen ebenfalls nur mit ja oder nein für die Einheitsliste der Nationalen Front votieren konnten.

Nur knapp die Hälfte der bayerischen Vereine stimmt für den BFV-Vorschlag

Herausgekommen ist in Fußball-Bayern nun ein Meinungsbild, das der BFV als „klare Zwei-Drittel-Zustimmung“ für seinen Vorschlag interpretiert, die Saison 2019/20 trotz der Corona-Pandemie „auf sportlichem Weg zu Ende zu bringen“. 68,13 Prozent haben laut Verband für das Modell des Verbandes votiert, 31,87 dagegen. Es existiert aber auch eine zweite Lesart der vom BFV veröffentlichten Zahlen. Ein ganz anderes Verhältnis ergibt sich, wenn man die Zahl der Vereine, die der Abstimmung fern geblieben sind, mit einrechnet. 1151 der insgesamt 4348 am Spielbetrieb beteiligten Klubs enthielten sich und stimmten damit auch nicht dem Vorschlag des BFV zu. Zusammen mit den 1019 Vereinen, die mit ihrem Nein klar Stellung gegen den Antrag des Verbandes bezogen, macht das 2170 Klubs, die sich nicht explizit hinter dem BFV versammeln. Das sind 49,91 Prozent der Fußball-Vereine in Bayern oder insgesamt nur acht weniger als für den Antrag des Verbandes gestimmt haben.

Franco Simon (Trainer SC Pöcking): „Demokratie ist etwas anderes.“

„Man muss das Ganze infrage stellen“, kritisiert Oehler das Verfahren und seine offizielle Bewertung. Und Franco Simon setzt noch einen drauf: „Demokratie ist etwas anderes.“ Ebenso wie für den Trainer des SC Pöcking-Possenhofen liegt auch für Ayhan Kurt der Verdacht der Manipulation nahe. „Man wurde dahin gelenkt“, wirft der Abteilungsleiter des SV Planegg-Krailling dem BFV vor. „Das ist eine Meinungsabgabe vorab gewesen.“

Stefan Schwartling (Abteilungsleiter TSV Gilching): „Der Verband greift in die Verträge der Vereine ein.“

Gegen die Kritik an der Art und Weise des Verfahrens setzt sich Jürgen Igelspacher zur Wehr. Der hauptamtliche Geschäftsführer des BFV vertritt in einem Interview auf der Homepage seines Arbeitgebers die Auffassung, dass „jetzt nicht diejenigen ihre Stimme erheben, die Verantwortung in einem Verein tragen, sondern vornehmlich auch Fans, Spieler und Trainer“. Allerdings sind es im Fünfseenland gerade auch Verantwortungsträger aus den Vereinen, die sich gegen die Linie des BFV aussprechen. Ebenso wie beim SV Planegg ging auch beim TSV Gilching eine eingehende Analyse durch den Vorstand dem Votum voraus. „Wir haben ergebnisoffen diskutiert“, sagt Schwartling. „Das kann der BFV nicht unbedingt von sich behaupten.“ So kamen Themen aufs Tablett, die vom Verband ausgespart und auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wurden. Zu ihnen zählen auch die Kontrakte mit den Spielern oder Trainern, die in der Regel am 1. Juli beginnen und am 30. Juni auslaufen. Dieses Geflecht gerät durch die Fortsetzung der Saison über ihr eigentliches Ende hinaus in Unordnung. Schwartling ist alarmiert: „Der Verband greift in die Verträge der Vereine ein.“ Die Konsequenz einer Runde mit ungewissem Ende liegt für den Abteilungsleiter auf der Hand. „Ich muss Spieler für zwei Saisons bezahlen, kriege von den Sponsoren aber nur das Geld für ein Jahr.“ Deshalb sieht er wirtschaftliche Probleme auf die Vereine zukommen.

Diese Schwierigkeiten sollen nun Arbeitsgruppen aus der Welt schaffen, die der BFV in den kommenden Tagen einsetzen will. Zu spät, findet Ayhan Kurt: „Ich hätte mir schon vor einer Entscheidung die Bildung einer Task Force gewünscht. Jetzt fragen wir uns im Nachhinein, wie wir die Kuh vom Eis kriegen.“

Aber nicht nur das Verfahren, sondern auch die Argumentation der Verbandspitze gerät in die Kritik. BFV-Präsident Rainer Koch hatte vor der Abstimmung die Drohkulisse entworfen, dass bei einem Abbruch der Saison der Verband in Haftung genommen werden könnte, ohne klar zu bestimmen, wer definitiv Schadensersatzforderungen bei einem Saisonabbruch stellen könnte. Die Rede war allein nur von den Vereinswirten. „Wer will behaupten, dass da überhaupt eine Klagewelle kommt?“, sagt Öhler, der die Einschätzung von unabhängigen Experten fordert. Der Trainer ist sich sicher, „dass den Klagen wohl niemals stattgegeben wird. Wenn man den Bürgern wegen Corona sogar grundlegende Freiheitsrechte nehmen kann, ohne dass sie dagegen klagen können, warum sollte man dem Fußball dann mehr Bedeutung geben?“ Andere Sportverbände haben den Ausstieg aus der Saison ohne größere Komplikationen praktiziert, nach Eishockey, Volleyball oder Tischtennis zuletzt der Deutsche Handball-Bund. „Offiziell ist bisher nichts von einer Klagewelle bekannt“, wundert sich Kurt. Belegt werden die von den Verbandsoberen geschürten Ängste in Deutschland bisher nicht. Er empfiehlt dem BFV deshalb, „mit der Einschätzung der Lage etwas demütiger umzugehen. Es ist dort noch nicht angekommen, dass wir durch Corona ein bisschen Bodenständigkeit lernen.“

Amateure helfen in der Krise

Aufrufe: 02.5.2020, 08:45 Uhr
Starnberger Merkur / Christian HeinrichAutor