2024-05-02T16:12:49.858Z

Querpass

No Risk No Fun....

oder: über den adäquaten Umgang mit öffentlicher Kritik, einen unbändigen Willen und die schützende Kraft des Galgen - Humors

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Mal verliert man und mal gewinnen die anderen. An diese einfachen und doch so klugen Worte Otto Rehhagels wird sich so manch Mannschaft erinnert fühlen, die im Rahmen der Europameisterschaft 2017 der Frauen nach den Vorrundenspielen nun schon die Heimreise antreten muss. Während für die erfolgreichen Teams wie Gastgeber Niederlande, Deutschland oder Frankreich die heiße Phase der KO – Spiele eingeläutet wird und es quasi um alles oder nichts geht, müssen die gescheiterten kleineren Fußballnationen wie Schottland, Portugal und die Schweiz wohl oder übel sich aus dem Wettbewerb vorzeitig verabschieden. Darunter auch die italienische Nationaltorhüterin Laura Giuliani, die sich mit ihrem Team würdevoll, aber letztlich ohne Aussicht auf Erfolg mit einem 3-2 – Sieg gegen Schweden von der EM – Bühne verabschiedet hat.

Italien ließ Schweden mit sehenswerten Toren und einer leidenschaftlichen Schlussphase gelb vor Neid werden. Eigentlich schade, dass man wenige Tage zuvor knapp gegen den Favoriten aus Deutschland verloren hatte. Ausgerechnet Laura Giuliani , die an diesem Tag nach langer Verletzungspause ihr Comeback im Nationalteam feierte und eine starke Leistung bot, avancierte zur tragischen Heldin. Zuerst griff die italienische Keeperin nach einem Freistoß von Marozsán daneben, sodass Henning unbedrängt ins leere Tor köpfen konnte. Spielentscheidend war diese Situation gewiss nicht, zumal die Squadra Azzurra trotz der deutschen drückenden Überlegenheit überraschend zurückkam und dank Ilaria Mauros Treffer in der 29. Minute auf eine Sensation hoffen konnte. Doch da war ja noch die 65. Minute, in der Anja Mittag von Giuliani unsanft von den Beinen geholt wurde. Den fälligen Strafstoß verwandelte Babett Peter sicher! Und wer weiß, wie die Partie geendet hätte, hätte Elisa Bartoli sich nicht von Mittag provozieren lassen und nach einem Gerangel Gelb-Rote Karte kassiert? Aber das interessierte das Boulevard-Blatt BILD nicht und titelte vollmundig in gewohnt unsachlich-reißerischer Manier, was die ehemalige Wegbegleiterin und Sport – Fototgrafin Jaqueline Nolting sichtlich erzürnte: „Italien – Keeperin patzt uns zum Sieg. Grazie Signora Flutschi!“ Anlass genug bei der Gebeneideten persönlich nachzufragen und in Erfahrung zu bringen, wie sie das ganze Spiel bzw. das EM - Vorrundenaus ihres Teams erlebt hat. Entstanden ist ein schönes, ehrliches und humorvolles Interview, das eine starke und sympathische Persönlichkeit präsentiert, der man nur wünschen kann, dass ihre fußballerische Karriere nach unverhofften Verzögerungen mit ihrem Wechsel zu Juventus Turin erst richtig ins Rollen kommt:

Rominas Querpass (RQ): Wie schätzt du deine Leistung gegen Deutschland insgesamt ein?

Laura Giuliani (LG): Insgesamt bin ich mit meiner Leistung gegen Deutschland sehr zufrieden. Es war mein erstes Spiel nach langer Zeit und es war für mich ein befreiendes , Gefühl auf dem Platz stehen zu dürfen.

RQ: Fehler können immer passieren- als Torwart hat man aber eine ganz andere Verantwortung. Tragischer oder gefeierter Held ist die Alternative: Welche Strategien hast du cool zu bleiben?

LG: Richtig! Fehler sind unvermeidbar und menschlich. Gerade als Torwart fällt natürlich ein selbstverschuldetes Tor viel stärker ins Gewicht als ein Ballverlust im Mittelfeld. Deswegen ist es wichtig, ruhig zu bleiben, das ganze sofort zu vergessen und blitzschnell mental zu reagieren, also umzuschalten. Ich persönlich versuche, wenn ein Fehler mir unterlaufen ist, sofort an die nächste Aktion zu denken und mein Spiel weiter zu machen.

RQ: Der Fehlgriff zum 0:1 Rückstand, dann ein verschuldeter Elfmeter zum 2:1-Sieg für Deutschland. Wie fühlen sich solch spielentscheidenden Szenen an?

LG: Als ich den Ball im Flug auf mich zufliegen gesehen habe, habe ich sofort gedacht: „Den musst du blockieren!“ Ich habe geschaut, wo Melania stand, um die Aktion sofort nach vorne zu aufbauen. Als ich aber den Ball nicht wie erhofft in den Händen hielt, habe ich gedacht „Scheiße, was habe ich da getan?" Zum Glück kam Barbara Bonansea zu mir und baute mich auf mit den Worten: „Egal Lau, mach weiter!" und da habe ich zu mir selbst gesagt: „Ok, jetzt fängt dein Spiel neu an!"

RQ: Umgang mit Fehlern: Was tust du, um so ein Erlebnis schnell abzuhaken?

LG: Ich erlebe jede Situation so, um mich zu entwickeln und Erfahrung zu sammeln. Wenn ein Fehler passiert, muss er nur einmal passieren. Ich transformiere sofort meinen Fehler in "Erfahrung".

RQ: Die BILD ist alles andere als vorbildlich mit diesem Fehler umgegangen und hat sich höhnisch bei dir bedankt und dir den Namen "Seniora Flutschi" gegeben. Wie hast du diese Würdigung aufgenommen?

LG: Ich musste herzlich lachen. Die Leute wissen ja manchmal nicht, was es heißt, auf dem Platz vor vielen Zuschauern, TV und Presse zu stehen und viel Druck auf seinen Schultern zu spüren. Reden ist ja immer sehr einfach! Außerdem: Seniora Flutschi klingt doch ganz süß.

RQ: Wie gehst du allgemein mit Kritik in der Öffentlichkeit um?

LG: Ich versuche mit Kritik immer sehr offen und ehrlich umzugehen und nutze konstruktive Anmerkungen und Vorschläge, um sie zu verarbeiten und vor allem an mir arbeiten. Ich bin auch sehr selbstkritisch und fokussiere mich auf jedes Detail. Jeder Fehler ist für mich eine Möglichkeit, mich zu verbessern.

RQ: Wie haben deine Mitspieler auf die vermeintlichen „Patzer“ reagiert?

LG: Natürlich waren meine Mitspielerinnen - so wie ich - ersteinmal sehr traurig und enttäuscht. Trotzdem sind sofort ein paar zu mir gelaufen und haben mich unterstützt! Das tut gerade in solchen Momenten sehr gut. Man gewinnt und verliert eben gemeinsam als Team.

RQ: Was für eine Reaktion hast du dir für das letzte Vorrundenspiel vom Trainer gewünscht? Es gibt ja nicht wenige unter ihnen, die nach einem kapitalen Fehler (auch auf Druck der Öffentlichkeit hin) einen Torwartwechsel fordern....

LG: Ich bin grundsätzlich der Meinung, dass, wenn einem Torwart ein Fehler unterläuft, nicht getauscht werden soll, weil es ja immer passieren kann. Ich habe vom Trainerstab viel Vertrauen in meine Person gespürt und habe das Training genutzt, um zu beweisen, dass ich meine Fehler vergessen kann und für das Spiel gegen Schweden vorbereitet bin.

RQ: Wie bewertest du allgemein das Erlebnis „Europameisterschaft“? Schließlich war es nach einer Teilnahme bei der U – 19 - Europameisterschaft dein erster richtiger Einsatz für die A – Nationalmannschaft!

Für die Antwort lässt sich Laura Giuliani viel Zeit. Nicht, weil sie ihr so schwer fällt und jedes Wort mit Bedacht gewählt werden müsste, sondern weil sie sich gerade im Bus Richtung Freiburg befindet und das viele Schreiben ihr auf den Magen schlägt....

LG: Ich bin mit meiner Leistung bei der EM sehr zufrieden, wenn man bedenkt, dass alles am Anfang so ausgesehen hat, dass ich gar nicht dabei sein werde. Denn nach meiner Meniskus - Verletzung im Januar habe ich während meiner sechsmonatigen Reha unglaublich viel gekämpft, um dabei zu sein und ganz schnell wieder fit zu werden. Ich habe geweint, als der Chirurg prognostiziert hat, dass ich es nicht rechtzeitig schaffen werde. Trotzdem habe ich weiter gearbeitet und nie aufgegeben. Am Ende war es mein größter persönlicher Sieg, auf dem Platz stehen zu dürfen!

RQ: Welche Ziele hast du noch persönlich mit der Squadra Azzurra und mit deinem neuen Verein?

LG: Mit der Nationalmannschaft bin ich jetzt voll auf die WM-Qualifikation konzentriert und will unbedingt 2019 in Frankreich dabei sein. Ich freue mich riesig auf die Vorbereitung mit meinem Verein, die in wenigen Tagen anfängt. Ich bin nach einem sportlich schwierigen und unbefriedigenden Jahr in Freiburg hochmotiviert mit ihnen möglichst viel zu gewinnen und eine super Zusammenarbeit zu beginnen.

Zur Person:

Laura Giuliani startete ihre Karriere im Alter von 15 Jahren bei der SS La Benvenuta Calcio Femminile. Schon ein Jahr später wechselte sie in die Serie A2 zu FCF Como 2000 ASD. Am 21. September 2012 kehrte sie ihrem Heimatland den Rücken und (ver-)suchte ihr fußballerisches Glück beim Bundesligaaufsteiger FSV Gütersloh 2009. Bei ihrem Bundesligadebüt wartete auf sie kein Geringeres als der Fußballriese Vfl Wolfsburg. Mit einer gehörigen Portion Galgenhumor wird sie die Tatsache aufgenommen haben, gleich zehnmal hinter sich gegriffen haben zu müssen. 2013 begann dann für sie beim Herforder SV wohl die für sie persönlich - sportlich erfolgreichste Blütezeit. Im Sommer 2014 gelang ihr mit Romina Burgheim und Co der Aufstieg in die Bundesliga. Ein Jahr später folgte dann aber leider wieder der Gang in Liga zwei. Trotzdem kam sie auf starke 29 Einsätze. Die waren ihr weder in Köln, wo sie zur Saison 2015/16 einen Zweijahresvertrag unterschrieb (13 Einsätze), noch ein Jahr später beim SC Freiburg (1 Einsatz) vergönnt.

Ihr in-offizielles Debüt gab Giuliani bei der Nationalmannschaft beim Zypern Cup gegen England 2013. Vorher gehörte sie zum Kader der U-20-Fußballnationalmannschaft bei der U-20-Fußball-Weltmeisterschaft der Frauen 2012 an. Das erste offizielle Spiel bestritt sie dann bei der Qualifikation zur WM, als Italien gegen Spanien Unentschieden (0-0) gespielt hatte. Zwei bemerkenswerte Highlights sind ihr in Erinnerung geblieben: Zunächst hatte sie einen 11-Meter gehalten und wurde dann folgerichtig zur Spielerin des Spiels gewählt!

Aufrufe: 028.7.2017, 19:45 Uhr
Romina BurgheimAutor