2024-04-24T13:20:38.835Z

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Alex Plabst hat in Freising ein Spitzenteam geformt. Doch für ihn ist Platz eins nur eine Momentaufnahme.F: Matthias Spanrad
Alex Plabst hat in Freising ein Spitzenteam geformt. Doch für ihn ist Platz eins nur eine Momentaufnahme.F: Matthias Spanrad

Der Teufelskreis im Amateurfußball

Wenn Spieler mit Geld und Talente mit der Perspektive Regionalliga gelockt werden.

Beim Spiel zwischen dem SC Eintracht Freising und dem SV Türkgücü Ataspor trafen Welten aufeinander.
Der Außenseiter setzte sich gegen das Star-Ensemble durch. Ein Sieg, der von gravierenden Problemen im Amateurfußball ablenkt.

Das Handy von Alexander Plabst stand eine Woche lang nicht still. Der Trainer des SC Eintracht Freising hat im Amateurfußball schon viel erlebt. Doch solch eine bedingungslose Unterstützung war auch für ihn neu: „Ich erhalte laufend Nachrichten von meinen Trainerkollegen. Alle stehen hinter uns. Sie wollen, dass wir den SV Türkgücü-Ataspor schlagen.“

Das Spiel zwischen Eintracht Freising und dem Münchner Star-Ensemble war mehr als nur das Top-Spiel der Landesliga Südost. David traf auf Goliath. Wie in der Legende stand auf der einen Seite des Platzes ein übermächtiger Krieger, der SV Türkgücü Ataspor. Eine Mannschaft, die mit etlichen Top-Stars Woche für Woche zum Siegen verdammt ist. Doch als der Schlusspfiff ertönte, schrien sich die Freisinger die Seele aus dem Leib. Vier Mal schoß die Eintracht aufs Tor. Drei Mal schepperte es. David mit seiner Steinschleuder lässt grüßen. Minutenlang lagen sich die Spieler in den Armen, feierten den 3:1-Sieg. Trainer Alex Plabst stand am Rande der Menschentraube und lächelte.

Plabst hat eine Mannschaft geformt, die kurz vor Ende der Hinrunde mit acht Punkten Vorsprung vor Türkgücü-Ataspor auf Platz eins steht. Doch für ihn ist der Blick auf die Tabelle eine Momentaufnahme, mehr nicht. „Wir brauchen uns nichts vormachen. Der Etat von Ataspor ist 25 Mal höher als unserer. Sie müssen am Ende oben stehen. Ansonsten wäre dieses Projekt wirtschaftlich die Enttäuschung des Jahrzehnts“, sagt der Freisinger Trainer. Geht es nach Plabst, hätte das Team mit Starspielern wie Yasin Yilmaz oder Erdal Kilicaslan direkt in der Bayernliga starten sollen: „Das lassen leider die Statuten des Verbandes nicht zu.“ Mit seiner Meinung steht der Trainer nicht alleine da.

„Moritz Sassmann ist ein Opfer der U23-Regelung“

Der SC Eintracht Freising ist einer von mehreren Vereinen in der Landesliga, die über Jahrzehnte einen Klub mit einem Fundament aufgebaut haben. Jahr für Jahr schaffen Spieler aus der eigenen Jugend oder der Region den Sprung in die erste Mannschaft. Auch der FC Deisenhofen geht diesen Weg. Doch der Aufstieg in die Bayernliga bleibt ein Traum. Am Ende jeder Saison springen Vereinen, die viel Energie in die Ausbildung stecken, die besten Talente ab. Die Regionalliga lockt. Oder die Aussicht, mit dem Hobby gutes Geld zu verdienen. Etliche Spieler folgen dem Lockruf und landen am Ende oft auf der Bank.

Noch heute fällt es Plabst schwer, die Ruhe zu bewahren, wenn er an seinen ehemaligen Spieler Moritz Sassmann denkt. Der 20-Jährige war eine feste Stütze seiner Mannschaft. Er kommt aus der eigenen Jugend. Zwei Tage vor Ende der Wechselfrist wechselte Sassmann zum TSV Buchbach in die Regionalliga. „Der Moritz ist ein Opfer der U23-Regelung“, klagt Plabst. Demnach sind Amateurvereine in der Regionalliga dazu verpflichtet, an jedem Spieltag vier Spieler im Kader zu haben, die am 1. Juli der jeweiligen Saison das 23. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. „Buchbach hatte zu Saisonbeginn viele Verletzte. Deshalb graben sie uns kurz vor dem Transferschluss die jungen Spieler ab. Wir haben nicht mal eine Ausbildungsentschädigung erhalten.“ Sassmann ist kein Einzelfall. Die Handynummern von Talenten sind bei den Regionalligisten eine heiße Ware.

Alexander Plabst hätte gerne mit Sassmann gesprochen. Er wollte ihn nicht aufhalten, sondern warnen. Der Spieler hatte in der Vorsaison einen Kreuzbandriss. In Buchbach sollte Sassmann nur eine Lücke füllen, glaubt Plabst. „Wenn ein Regionalligist zwei Tage vor der Wechselfrist anruft, muss sich ein Talent die Frage stellen: Warum haben die sich nicht schon früher gemeldet?“, findet Plabst.

„Was bringt es mir, wenn ich bei einem Regionalligisten unterschreibe und am Wochenende auf der Bank sitze?“

Der Freisinger Trainer kann verstehen, wenn Talente den Sprung nach oben wagen möchten. Er versteht selbst, wenn ein Spieler dem Lockruf des Geldes folgt. Doch Plabst war ein Vollblut-Stürmer. Für ihn stand immer über allem, dass er Fußball spielen darf: „Was bringt es mir, wenn ich bei einem Regionalligisten unterschreibe oder Geld in der Tasche habe, wenn ich am Wochenende auf der Bank sitze? Fußballspielen ist doch das Non-Plus-Ultra. Das sollte jedem Sportler das Wichtigste sein.“ Nach dieser Maxime hat Plabst auch die Freisinger Erfolgstruppe zusammengestellt. Für ihn ist die Kaderplanung der Hauptgrund, warum Freising im Moment vor dem SV Türkgücü-Ataspor steht. Im Sommer übernahm der Nachfolger von Michael Schütz eine Mannschaft, die über Jahre zusammengewachsen ist. Dennoch musste er sich von einigen Spielern trennen. „Natürlich muss ein Fußballer die Qualität mitbringen. Aber genauso wichtig ist es, dass er vom Charakter ins Team passt“, sagt Plabst. Er will keine Mitläufer, sondern mit Menschen zusammenarbeiten, die sich mit dem Verein identifizieren. „Ich achte darauf, dass ein Spieler das Verlangen hat, ein wichtiger Teil der Mannschaft sein zu wollen. Deshalb habe ich bereits jeden eingesetzt“, sagt Plabst.

Selbst vor Spielern, die den Stempel haben, nicht pflegeleicht zu sein, schreckt er nicht zurück. Dafür kennt er sich selbst als Fußballer noch zu gut. „Ich hätte den Spieler Alex Plabst niemals verpflichtet. Ich habe Buden geschossen. Das konnte mir so schnell keiner nachmachen. Aber ich war ein sturer, eigensinniger Typ. Ein richtiger Dickkopf“, lacht Plabst. Erst als er als Spielertrainer in der Verantwortung stand, fand ein Umdenken statt. „Ich habe von meiner Mannschaft als Trainer Engagement und Disziplin verlangt. Eigenschaften, die ich als Spieler nicht immer geliefert habe. Diese Erkenntnis hat mich menschlich unheimlich vorangebracht.“ Heute weiß er, wie er mit schwierigen Typen umgehen muss. Er bittet sie zum Vier-Augen-Gespräch.

Spätestens seit dem Sieg gegen den SV Türkgücü-Ataspor ist Alex Plabst mit seiner Truppe Anwärter für den Aufstieg. „Mit Freising hat vor der Saison keiner gerechnet. Wir genießen den Moment“, sagt Plabst. Doch er bremst die Erwartungen: „Ich glaube, dass der Aufstieg in die Bayernliga für Vereine wie Freising oder Deisenhofen schwerer ist, als die Herausforderung, sich in dieser Liga ein paar Jahre zu halten. Mit jeder Saison, in der der Aufstieg nicht klappt, wird es schwerer, die guten Spieler zu halten.“ Ein Teufelskreis, der nach jeder Spielzeit neu beginnt.

Dieser Artikel erschien auf der Amateurfußballseite im Münchner Merkur. Sie erscheint jeden
Mittwoch. Autor ist Christoph Seidl, erreichbar unter christoph.seidl@merkur.de.

Aufrufe: 025.10.2017, 10:33 Uhr
Christoph Seidl - Münchner MerkurAutor