2024-03-27T14:08:28.225Z

Ligabericht
D-Junioren-Stadtduell TSG Wieseck – FC Gießen. Zeit...für Jugendfußball. 	Foto: Bär
D-Junioren-Stadtduell TSG Wieseck – FC Gießen. Zeit...für Jugendfußball. Foto: Bär

»Gier nach Fußball wird wieder größer«

JUGEND: +++ Der Nachwuchs hängt seit fast einem halben Jahr in der Warteschleife / Deniz Solmaz optimistisch, aber kritisch gegenüber DFB-Reform +++

GIESSEN. Die Fußball-Bundesliga spielt, die 2. Liga ist im Einsatz ebenso wie die 3. Liga und zwei der Regionalligen, dagegen ruhen Jugendfußball und Amateurligen schon seit Monaten. Besonders bitter und möglicherweise mit weitreichenden Folgen ist das für den kickenden Nachwuchs in den Vereinen. Wochen und Monate ohne regelmäßiges Training und als Highlight die Spiele am Wochenende, über eine längere Zeit keine Kontakte zu befreundeten Mannschaftskameraden, das könnte eine Entwöhnung bei den heranwachsenden Kickern hervorrufen. Computerspiele in der warmen Stube auf dem Sofa statt hartem Training bei Wind und Wetter, da könnte vielleicht die Lust aufs Kicken verloren gehen. „Als Ende Oktober der Stillstand kam, dachte ich zuerst noch an eine vorgezogene Winterpause mit Trainingsbeginn im Januar, aber jetzt sehe ich in Sachen Wiederbeginn schwarz und allergrößte Probleme auf uns zukommen“ befürchtet Wolfgang Schmidt aus der Jugendabteilung des FC Cleeberg. Dabei hatte der FC zunächst großen Zulauf bei den Jüngsten und wollte in der F-Jugend eine zusätzliche dritte Mannschaft einrichten. „Wir haben für die älteren in der C-Jugend Online-Training oder auch zeitweise Einzeltraining angeboten, aber das ist schwer umzusetzen“, erklärt Schmidt, dessen Tochter Lara beim Frauen-Bundesligisten Turbine Potsdam spielt, aber derzeit an einer Hüftverletzung laboriert.

Auch Erik Caspary, Jugendleiter beim RSV Büblingshausen, befürchtet, dass „einige Kids während der Zwangspause auf der Strecke bleiben, immer weniger Lust auf Fußball haben.“ Der Verein aus dem Wetzlarer Süden bietet bei C- und A-Jugend Einzeltraining an, teilweise auch online. „Aber das ist für die Trainer eine enorme Belastung und mit Schwierigkeiten verbunden“, räumt Caspary ein. Nicht so schwarz sieht Deniz Solmaz die aktuelle Situation im Nachwuchsbereich. „Den Jungs geht es nicht gut in der Pandemie, die Gier nach Fußball wird bei den Kindern und Jugendlichen wieder größer“, hat der Leiter der Jugend-Fußball-Abteilung der TSG Wieseck und der Fußballschule „Talentförderung Mittelhessen“ aktuell „überragende Anmeldezahlen“ registriert. Dort und bei der TSG wird derzeit nur Einzeltraining angeboten. „Man hätte hier auch den Trainingsbetrieb für den Nachwuchs weiterlaufen lassen können“, klagt Solmaz und verweist auf Länder wie Polen und die USA, wo weiter trainiert wurde und wird.

Überhaupt nicht einverstanden ist Solmaz indes mit der anstehenden Reform der Talentförderung, die der Deutsche Fußball-Bund (DFB) unabhängig von Corona schon länger plant. Dass immer weniger deutsche Talente in die Bundesliga drängen und dazu die schlechten Ergebnisse der U-Nationalteams verdeutlichten die schon länger andauernde Nachwuchskrise im deutschen Fußball. Das oberste Ziel des „Projekts Zukunft“ ist laut DFB, die Talente in den Mittelpunkt zu rücken, sie besser zu fördern, um einen Weg aus der Ausbildungs- und Nachwuchskrise zu finden. Durch eine bessere Ausbildung den Sprung in die Bundesliga schaffen und dafür sorgen, dass Deutschland im internationalen Vergleich wieder besser abschneidet. Das ist das Ziel, für das besonders im Ligensystem der älteren Jahrgänge radikale Veränderungen geplant sind.

Seit 2003 bzw. 2007 sind die A- und B-Junioren in den U 19- bzw. U 17-Bundesligen am Start. Beide Spielklassen sind in die drei regionalen Staffeln Nord/Nordost, Süd/Südwest und West mit jeweils 14 Teams unterteilt. Die drei Staffelsieger sowie der Vizemeister aus der Staffel, deren Sieger in den drei vorherigen Jahren die insgesamt beste Bilanz in der Endrunde vorweist, spielen in Halbfinals (Hin- und Rückspiel) sowie im Finale den deutschen Meister aus. Die drei Letzten jeder Staffel steigen ab. So war es zumindest bisher.

Das will aber eine gemeinsame Arbeitsgruppe von DFB und Deutscher Fußball-Liga (DFL) ändern. Die Pläne, die bereits seit Anfang 2018 in Arbeit sind, sehen vor allem große Veränderungen für die Vereinswettbewerbe vor. So sollen in regionalen Gruppen die Leistungszentren-Teams der Profiklubs sogenannte Entwicklungsspiele gegeneinander bestreiten und nicht mehr sportlich absteigen können. Dadurch soll eine bessere Planungssicherheit für alle Vereine und demzufolge mehr Freiraum für die individuelle Entwicklung der jungen Spieler erreicht werden. Nicht die reine Vorbereitung auf das nächste Punktspiel, die oft zu großem Ergebnisdruck bei den Akteuren und bei schlechter Tabellenlage zu Existenzängsten bei Vereinen und Trainern gesorgt hat, werde im Vordergrund stehen, sondern die Ausbildung der Spieler. Weitere Vorteile wären aus Sicht der Macher „ein flexiblerer Terminkalender und auch eine bessere Relation von Aufwand und Ertrag“, heißt es zum „Projekt Zukunft“. So würde zum Beispiel ein U 15-Talent nicht 400 km quer durch Deutschland reisen müssen, um zweimal 35 Minuten zu spielen, bzw. im schlimmsten Fall sogar nur auf der Bank zu sitzen. Außerdem ist eine in drei Dritteln aufgeteilte Spielzeit möglich, wobei jeder Akteur in mindestens einem Drittel eingesetzt werden muss.

Den eigentlichen Wettbewerb bis zur U 17 sollen in Zukunft Entwicklungsturniere ersetzen, die übers Jahr verteilt stattfinden. Bei diesen Turnieren ermitteln neben den besten Amateurklubs (ohne Leistungszentren) auch Auswahlteams mit den talentiertesten Spielern von Amateurvereinen am Jahresende den deutschen Meister. In der U 19 soll der deutsche Meister in einem LZ-Ligasystem ausgespielt werden, bei dem die Mannschaften in der Hinrunde in regionalen Gruppen gegeneinander antreten und in der Rückrunde bundesweit. Außerdem neu wäre auch die Einführung einer Deutschen Amateur-Meisterschaft, deren Sieger in einem „Supercup-Finale“ auf den deutschen LZ-Meister treffen soll.

So wie viele mit diesem Konzept konfrontierte Amateurvereine, die sich ausgeschlossen fühlen, sieht auch Solmaz die Pläne sehr kritisch: „Unsere B- und A-Jugend spielen derzeit in der Hessenliga, wir wollten aber in den nächsten Jahren eigentlich versuchen, aufzusteigen. Den Leistungsgedanken abzuschaffen, geht gar nicht und macht keinen Sinn. Wir sind gegen diese Reform, denn wir sind die Leidtragenden. Ich denke, so können die Probleme des DFB nicht gelöst werden.“ Für den April dieses Jahres ist im U17 und U19-Bereich eine Pilotphase für Entwicklungsturniere geplant, um die Abläufe zu testen und einen Überblick über die anfallenden Kosten dieser Wettbewerbsform zu bekommen. Durch die Corona-Pandemie ist es allerdings ungewiss, ob es dazu kommen kann. Ebenso unklar ist derzeit, ob ein außerordentlicher DFB-Bundestag stattfinden kann, der die Reformpläne vor der Einführung verabschieden muss. Archivfoto: R. Schäfer

Aufrufe: 011.2.2021, 10:15 Uhr
Rolf Birkhölzer (Gießener Anzeiger)Autor