2024-05-02T16:12:49.858Z

Interview
Steffen Gill-Held (r.) coacht Fußballtrainer: Er glaubt, dass ein Umdenken vonnöten ist. Foto: privat
Steffen Gill-Held (r.) coacht Fußballtrainer: Er glaubt, dass ein Umdenken vonnöten ist. Foto: privat

"Trainer sind oft allein mit ihren Herausforderungen"

Vom Spieler zum Coach für Coaches: Steffen Gill-Held kickte seit Kindertagen. Nach seiner aktiven Laufbahn will er die Arbeit von Übungsleitern umkrempeln. Zumindest ein bisschen.

Der Schleifer, der Choleriker, der Motivator, der Einfühlsame: Es gibt unzählige Trainertypen. Der gebürtige Hennigsdorfer Steffen Gill-Held hat sich eingehend mit ihnen beschäftigt und glaubt: Mit den richtigen Konzepten kann man sie und ihre Arbeit besser machen.

Steffen Gill-Held ist Personal-Coach. Schaut man in das Portfolio des 35-Jährigen, finden sich darin die übliche Klientel, die ein Personal Coach eben so coachen kann: Führungskräfte, Unternehmen, Kreative, Profisportler. Aber der gebürtige Hennigsdorfer berät auch Amateurvereine, -Sportler und Jugendtrainer. Ein ungewöhnliches Geschäftsmodell? Möglich. Der 35-Jährige weiß jedoch, wovon er spricht: Bereits in Kindertagen drehte sich fast alles in seinem Leben um Fußball. Bei der Oranienburger Eintracht in Brandenburg durchlief er die gesamte Jugendabteilung, wechselte später an die niederländische Grenze zu Viktoria Goch und hat nun komplett die Seiten getauscht: Statt auf dem Platz zu stehen, steht er jetzt daneben. Als Trainer-Trainer. Seine berufliche Zukunft sieht er vor allem auch im Jugendbereich. Den würde er gern verändern.

Herr Gill-Held, Sie haben gerade Ihre Abschlussarbeit zum Thema "Trainer im Jugendbereich" fertig gestellt. Eine zentrale These darin: Es geht um weit mehr als das Sportliche. Nämlich?

Das wichtigste Ziel der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen ist der Versuch, sie zur Mitmenschlichkeit zu erziehen. Ein weiteres Ziel ist es, den Sportverein wieder als Anlaufstelle zur Förderung der Gesundheit, Kreativität, Sozialisation und Lösungsentwicklung zu machen. Der Dialog zwischen Verein, Trainer, Eltern, der Stadt und das alles mit den Spielern zusammen, muss gefördert werden. Viele agieren aus Unwissenheit falsch. Wenn man zum Beispiel nach einem Fußballtraining nur Chips, Cola und 'ne Bratwurst bekommt, haben wir ein riesen Problem.

Was kann ein Trainer in dieser Zeit alles „falsch“ machen?

Genau da fängt es für schon an. Ich gebe Ihnen ein Beispiel:

5+7=12

7+5=12

8+5=13

5+9=13

Was denken Sie, werden die meisten antworten? Vermutlich: „Da ist eine Lösung falsch!“ Meine Antwort wäre: „75% sind richtig!“ Ich denke, wir müssen weg von dem Ziel der Effizienz, hin zur Effektivität. Erfolgreich funktioniert das, wenn man dem Kind auf Augenhöhe begegnet. Da entstehen wunderbare Prozesse. Die Denkart wird herausgefordert. Lösungen werden selber erarbeitet und auf Erfolg überprüft. Und wenn es nicht geklappt hat, werden die Lösungen hinterfragt und neu formuliert. Dafür braucht es aber ausgebildete Übungsleiter, die helfen, Lösungswege zu erarbeiten, ohne vorzusagen.

Also nochmal: Was kann ein Trainer „falsch“ machen?

Der Glaube, dass der Trainer alles alleine entscheiden muss, ist zum Beispiel falsch. Pauschalisieren, unkonkrete Anweisungen geben, unnötig laut werden, persönlich beleidigen, über einen Kamm scheren, durch gefährliches Halbwissen Entscheidungen treffen - „haben wir schon immer so gemacht“ - , Monologe statt Dialoge führen. Das sind einige, mögliche Fehler.

Sie selbst coachen Jugendtrainer: Sind die nicht schon durch Lehrgänge und ihre Trainerscheine genug geschult?

Definitiv nein. Trainer wollen doch auch nur, dass sich Kinder am Sportplatz wohlfühlen. Sie sind aber oft alleine mit ihren Herausforderungen bei der täglichen Arbeit, da niemand die Dinge objektiv hinterfragt. Allein die Tatsache, dass Kinder bis etwa 12 Jahren Ironie und Sarkasmus nicht verstehen, sorgt für große Augen bei den Übungsleitern und solche Erkenntnisse braucht es, um Prozesse zu ändern. Der größte Hebel ist eine Umsetzungsbegleitung der erlernten Dinge und psychologisches Wissen - also die Unterstützung durch einen ausgebildeten Personal Coach.

Und wie sieht die konkret aus?

Bei den Trainerscheinen fehlt Jemand, der stetig daran erinnert, was im Lehrgang besprochen wurde und Dinge hinterfragt. Das ist mit dem Personal Coach abgedeckt. Denn wozu lerne ich etwas, wenn ich es dann nicht anwende oder in alte Muster zurückfalle?

Braucht jetzt also jeder Jugendtrainer zusätzlich einen Personal Coach?

Meiner Meinung nach geht diese Entwicklung genau dahin. Wenn jeder Amateurverein aber zumindest einen Ansprechpartner vor Ort hätte, wäre das revolutionär und absolut im Sinne des Coachings. Es geht eben nicht immer um Schwarz und Weiß. Es geht um die Zwischentöne und um das objektive Einordnen des Geschehen.

Nicht jeder Nachwuchskicker will Fußballstar werden. Braucht es diese „Professionalisierung“ durch gezieltes Coaching der Trainer im Amateur-Jugendbereich überhaupt?

Genau hier ist es doch am entscheidendsten, diesen Schritt zu gehen. Im Profibereich entsteht doch genau das, nur keiner hat Lösungen für die breite Masse, die kleinen Vereine. Es gibt so tolle empathische Coaches, die Drittjobs haben und nicht wissen, wohin mit ihren Fähigkeiten. Wenn man sich als Verein entscheidet, etwas zu ändern und prosoziales Verhalten fördert und einfordern will, dann haben die Vereine auch wieder die Talente länger in ihren Reihen.

Das beantwortet die Frage aber nicht.

Eigentlich schon. Denn Jeder will doch aus dem idealen Wissensstand heraus Entscheidungen fällen. Den habe ich nicht, wenn ich nur die erlernte Trainingskomponente kenne. Dafür bedarf es anderer Blickwinkel, gerade in Hinsicht auf die Entwicklung und das Gefühlsleben der Kinder. Gerade die, die keine Fußballstars werden wollen, kann ich so auch mitnehmen.

Sie betonen in Ihrer Arbeit die Emotions-Regulation eines guten Trainers. Steht das nicht im fundamentalen Widerspruch zur allgemein verbreiteten Auffassung "Emotionen gehörten zum Sport dazu"?

Die Emotionregulation ist eine Grundvariable eines Trainers. Der Trainer soll, soweit es geht, objektiv Potenziale und Prozesse erkennen und Lösungen erarbeiten. Dabei ist es absolut notwendig, die Fähigkeit zu haben, seine Emotionen zu regulieren. Das heißt, dass es wichtig ist, einen gewissen Abstand zu seinen Gefühlen und zu den Gefühlen der Jugendlichen zu haben. Es geht also darum, Vorbild für die Kids zu sein: nicht zu überinterpretieren, generalisieren, debattieren und diagnostizieren.

Nehmen wir das Klischee des cholerischen Kindertrainers: Wie nehmen Sie dem Mann den Wind aus den Segeln und machen ihn zu einem reflektierten Coach, der nicht gleich jeden Spieler in den Boden stampft, der etwas falsch gemacht hat?

Das Allerwichtigste ist es, dem Trainer im Coaching zu zeigen, dass dieses Verhalten nicht zielführend ist. Da bedarf es Fingerspitzengefühl vom Coach, Veränderungsbereitschaft und Einsicht vom Trainer und positive Unterstützung vom Verein, die der Trainer auch annimmt. Mit dieser Erfahrung geht er nun in das Training, holt sich nun eventuell öfter Feedback ab und kann diese wirklich positive Erfahrung auch den Kids mitgeben: Wenn man etwas ändern will, braucht das oft Unterstützung. Das zu erkennen, ist ganz klar eine Stärke und keine Schwäche.

Allerdings kennen wir ihn alle: den Schleifer, der nicht besonders umgänglich aber umso erfolgreicher ist. Was entgegnen Sie einem solchen Coach? Objektiv gesehen erzielt er doch maximale Erfolge mit den Kindern?

Da haben wir die Grundsatzdiskussion in vielen Vereinen, “Führung durch Kontrolle” gegen “Führung durch Motivation”. Anleitung durch Kontrolle fördert nur einen Betrieb mit monotoner Arbeit, wo man schnell ein Ziel zu erfüllen hat, zum Beispiel: Steine von A nach B zu befördern. Da entscheidet der Schleifer das Tempo und die Ziele. Tabellarischer Erfolg darf im Kindesalter nicht die oberste Priorität werden, sondern die Förderung des geistiges Potentials und die Entwicklung von Talenten - nicht die Anpassung von Talenten.

Die Fragen stellte Marc Schütz

Spielerprofil: Steffen Gill-Held

Mehr Informationen: www.sgh-coaching.de

Aufrufe: 017.4.2019, 06:18 Uhr
Marc SchützAutor