2024-05-10T08:19:16.237Z

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Wingefeld
Wingefeld

Offen für neue Spielsysteme

KREIS ALSFELD/KOL GI SÜD: +++ Kreisfußballwart Frank Heller und Klassenleiter Hans-Peter Wingefeld blicken zurück und wagen Blick voraus +++

Alsfeld. Was für ein Fußball-Jahr liegt hinter uns. Zerstückelt, zerrissen, ohne Absteiger, aber mit vielen Aufsteigern, aufgeblähte Ligen. Im März 2020, als es starten sollte, soff die Saison gnadenlos ab, Vereine versanken im Lockdown, Erfolge verschwammen in der Quotienten-Regelung, die Wahrheit lag nicht auf dem Platz, sondern in der Online-Schalte mit dem Kreisfußballwart.

Eine beispiellose Herausforderung, die diese verfluchte Corona-Pandemie auch den Fußballern im Kreis aufbürdete. Kein Training, kein Spiel, keine dritte Halbzeit. Besonders nervtötend für den Nachwuchs, der sowieso schon seit Jahren gebeutelt ist von rückläufigen Zahlen. Auch die Kinder und Jugendlichen, für die das Leben immer dann rund läuft, wenn der Ball rollt, durften nicht trainieren – und nicht nur die kickenden Talente litten unter dem Entzug. Jeder, der selbst gekickt hat oder noch kickt, weiß doch, um was es da geht.

Zweimal die Woche Training, einmal am Wochenende ein Spiel, 20 Typen (oder Typinnen) in einem Team, Freundschaften, Flüche, Jubel, Trubel, Gemecker über den Schiri – Auswärtsfahrt und Heimspiel-Bratwurst, der Kasten danach (oder eben die Kiste Limo bei den Junioren) – so ist Fußball. Und im Jahr 2020 war da plötzlich das große Nichts, eine abgebrochene Saison zunächst, eine (hoffentlich nur) unterbrochene Saison jetzt. Und dazwischen eine Menge Hygienekonzepte, Verordnungen, Lösungsideen – und nur ein bisschen Sport.

Wie immer mittendrin, nicht nur dabei: Alsfelds Kreisfußballwart Frank Heller und Kreisoberliga-Klassenleiter Hans-Peter Wingefeld mit allen Funktionärskollegen. Und nun? Könnte man sie doch mal fragen.

Frank Heller, Hans-Peter Wingefeld, haben Sie 2020 mehr auf dem Platz oder in Videokonferenzen verbracht?

Heller: Gute Frage (lacht), aber ich war schon viel auf den Plätzen unterwegs. Ich war jeden Sonntag auf dem Sportplatz, an manchen Wochenenden sogar bei zwei Spielen. Und auch als Schiedsrichter war ich auf den Plätzen. Aber auch bei vielen Videokonferenz war ich dabei, die waren schon aufreibend und zeitintensiv. Es war ja auch alles nicht so einfach. Über das Jahr gesehen war ich schon mehr auf dem Sportplatz.

Wingefeld: Na ja, in ganz so vielen Konferenzen war ich nicht, vielleicht in 15. Aber ich war schon viel in meiner Liga (Kreisoberliga, die Red.) unterwegs, um zu sehen, wie es läuft. Solange gespielt werden durfte, war ich vor Ort.

Was war die größte Herausforderung?

Heller: Dass man alle bei Laune hält und am Ende keine Mannschaft verliert. Bei uns im Fußballkreis Alsfeld hat für die aktuelle Saison ja sogar eine Mannschaft mehr gemeldet als in der Spielzeit zuvor. Darüber, als auch über die Tatsache, dass wir kein weiteres Team verloren haben, bin ich sehr glücklich. Anders sieht es im Jugendbereich aus. Da ist es aktuell noch schwerer, die Spieler bei der Stande zu halten. Da spielen ja sehr viele Faktoren eine Rolle, wenn Eltern, Schule und Sport in Zeiten von Corona unter einen Hut zu bringen sind. Für die Vereine war es ein ganz schwieriges Jahr, auch in finanzieller Hinsicht. Zwar gibt es Unterstützung, die ist aber meist mit viel Bürokratie verbunden, was zusätzlich wieder Arbeit für die Verantwortlichen bedeutet.

Wingefeld: Ich kann mich gut an die eine Woche erinnern, wo wir jeden Abend eine Videokonferenz hatten, aufgeteilt nach Regionen. Das war aber auch richtig gut und fand große Resonanz. Da haben wir alle Themen besprechen können, die Vereine konnten alle Fragen loswerden. Auch was die Jugend betrifft.

Sind Sie mit der Zusammenarbeit mit den Vereinen und dem Krisen-Management zufrieden?

Heller: Ja, nach wie vor, kann mich darüber nicht beschweren. Wir versuchen ja immer, die Vereine mitzunehmen und in alle Entscheidungen einzubinden. Auch aktuell stehe ich weiter in engem Kontakt mit Vereinsvertreten, die immer mal anrufen und fragen, wie und wann es denn weitergeht. Der Kontakt ist da, auch wenn ich aktuell diese Fragen auch nicht beantworten kann. Die Vereine haben auch dazu beigetragen, dass es mit dem Saisonstart im September so gut geklappt hat. Gerade für die Clubs waren die neuen Hygienebestimmungen eine große Herausforderung. Ich bin sehr dankbar, wie gut die Vereine mitgezogen haben und dass so viele Helfer dann doch zur Verfügung standen, um alles in den Griff zu bekommen. Dabei tauchte ja auch immer die Frage auf: Was sollen wir als Verein machen, wenn sich ein Zuschauer bei einem Spiel partout nicht an die Regeln hält? Da konnte ich immer nur darauf hinweisen, dass man dann in letzter Konsequenz auf sein Hausrecht pochen muss, im schlimmsten Falle die Polizei rufen muss.

Gab es solche Fälle?

Heller: Nein, zumindest ist mir von keinem so schwerwiegenden Fall berichtet worden. Es kam zwar immer mal wieder vor, dass Ordner in Einzelfällen die Zuschauer an die Abstandsregeln hinweisen mussten, und manche Besucher zeigten sich auch nicht gleich einsichtig, aber letztlich hat doch alles sehr gut geklappt, was ein Verdienst der vielen Helfer auf den Sportplätzen war. Ich kann das schon ganz gut einschätzen, was hier viele Leute für eine tolle Arbeit in den Vereinen geleistet haben. Dafür noch einmal vielen Dank. Von Verbandsseite gab es ja auch ein Starterpaket, das war eine nette Geste, hilft aber nicht weiter.

Und wie war es im Fußballkreis Gießen?

Wingefeld: Ich würde sagen, dass wir im Kreis und in der Region sehr zufrieden sein können.

...war es tatsächlich so problemlos?

Wingefeld: Wir können froh sein, dass wir so viele Spiele geschafft haben, denn wir werden zumindest die Vorrunde zum Abschluss bringen. Ob noch mehr möglich ist, das werden wir sehen. Aber zugegeben, vielleicht hätten wir uns vorher Gedanken machen müssen, ob man die Ligen nicht doch hätte teilen sollen.

Was stimmt Sie positiv in diesem Jahr?

Heller: Bei mir herrscht das Prinzip Hoffnung: Dass der Impfstoff wirkt, die Leute vernünftig bleiben, die Vorgaben umsetzen und die Vereine die ohne Frage großen Probleme lösen können. Beim Kreisfußballtag in Nieder-Ofleiden haben wir noch einmal beschworen, solidarisch an die Sache heranzugehen, was ja weitgehend auch sehr gut geklappt hat. Wir haben kürzlich extra Fragebögen an die Vereine herausgeschickt, wollen dabei die Wünsche der Clubs genau erfragen. Leider war der Rücklauf ja etwas dürftig.

Wingefeld: Mich stimmt positiv, wie wir das Krisenmanagement hier bewerkstelligt haben. Da hat man schon gesehen, wie eng wir im Kreis Gießen zusammenarbeiten und dass da auch eine Vertrauensbasis da ist.

Was sind die größten Befürchtungen?

Heller: Mir tut es derzeit immer noch etwas Leid um die Vereine, die wir unmittelbar vor der Saison-Unterbrechung wegen Nichtantreten bestrafen mussten, wie die A-Ligisten Ohmes/Ruhlkirchen und Groß-Eichen/Atzenhain. Aber das ist eine schwierige Sache. Sprechen wir keine Bestrafung aus, klopft uns der Verband auf die Füße. Aber was bleibt als Alternative? Wenn wir wieder gemeinsam Fußballspielen wollen, muss es gewisse Regeln geben. Dass das in der aktuellen Situation schwierig wird, auch Arbeitgeber ihre fußballspielenden Angestellten fragen, ob sie jetzt sonntags unbedingt spielen müssen, ist mir schon bewusst. Daher kann ich auch die Vereine verstehen, die sich keinen so schnellen Neustart wünschen. Selbst innerhalb der einzelnen Vereine gibt es da ja nicht immer Einigkeit über das Vorgehen. Trotzdem wollen wir versuchen, möglichst schnell zu einem geregelten Spielbetrieb zurückzukehren. Denn eine meiner größten Befürchtungen ist es, dass wir bei einer zu langen Pause den einen oder anderen Spieler ganz verlieren, dass Fußballer sich auf einmal die Frage stellen: Warum tue ich mir das alles noch an? Gerade bei der Jugend ist die Lage ja noch schlimmer. Hier muss man befürchten, dass der Rückgang noch drastischer ausfallen könnte. Dabei sind wir Fußballer sogar noch in der glücklichen Lage, im Frühjahr wohl doch wieder draußen starten zu können. An die Hallensportler möchte ich in diesem Zusammenhang gar nicht denken. Da droht den Vereinen womöglich ein Mitgliederschwund, der die gesamte Vereinsstruktur ins Wanken bringt. Gerade in unserem ländlichen Bereich hatten wir ja ohnehin schon zu kämpfen. Jetzt wird sich die Situation wohl noch weiter verschärfen. Das ist schon beängstigend. Und das betrifft ja nicht nur die Sportvereine.

Wingefeld: Ich habe nicht große Bedenken, dass die Kinder wegbrechen, weil sie ja auch sonst in diesen Zeiten nur wenige Alternativen haben. Sie haben vielleicht sogar wieder richtig Lust zu spielen. Es schadet den Kindern ja auch, wenn sie sich nicht genug bewegen. Deshalb finde ich es nach wie vor bedauerlich, dass das Training unter Hygienekonzept nicht stattfinden durfte, das hätte in Jugendmannschaften schon funktioniert. Meine großen Bedenken sind aber, dass wir nach einem Re-Start in der Runde soweit wie möglich kommen wollen, dann aber ständig Englische Wochen spielen müssen. Das kannst du aber in solchen Klassen nicht machen, da machst du die Mannschaften kaputt. Meine Hoffnung ist, dass wir die Vorrunde zu Ende spielen und dann ab 1. August wieder richtig anfangen können.

Kann man aus so einem Jahr, aus so einer Krise, etwas Positives mitnehmen und etwas lernen für die Zukunft?

Heller: Da fällt mir spontan schwer, etwas zu sagen. Wir haben versucht, mit dem Spielgeschehen flexibler zu sein, haben ein Play-off oder Play-down-Modell ins Spiel gebracht, aber dann hat sich gezeigt, dass wir so flexibel eben doch nicht sind. Positiv war sicherlich, dass wir es dennoch geschafft haben, den Kreisfußballtag über die Bühne zu bringen und dabei auch alle Positionen besetzen konnten. Es war für mich sehr, sehr schwer zu ertragen, dass man zuletzt nicht einmal zusammen Fußball schauen, sich nicht anschließend richtig austauschen konnte. Daher bleibt nur die Hoffnung, auf ein besseres Jahr 2021. Ich wünsche auf diesem Wege auf jeden Fall allen Vereinen, ihren Vorständen, Spielern, Mitgliedern und Fans alles Gute und würde mich über ein baldiges persönliches Wiedersehen sehr freuen.

Wingefeld: Was mir wirklich positiv aufgefallen ist: So viele Zuschauer waren schon lange nicht mehr auf den Sportplätzen. Als es wieder losgegangen ist, hast du gemerkt, dass die Leute Lust dazu hatten, wieder am Rand zu stehen, ‘ne Wurst zu essen, miteinander zu reden. Das war wirklich bemerkenswert. Ich hoffe, dass das länger trägt. Und generell? Da müssen wir wirklich sehen, dass wir eine andere Ligeneinteilung hinbekommen und die Strukturen ändern. Damit wir nicht in ein paar Jahren noch eine B-Liga mit zehn Mannschaften haben. Es muss nach unten wieder breiter werden. Das hat aber nicht nur mit Corona zu tun, da gibt es schon lange Überlegungen dazu und auch Kommissionen, die sich damit befassen. Ich glaube schon daran, dass der Fußball weiter funktioniert, aber wir müssen eben offen sein. Zum Beispiel für neue Spielsysteme. Ich finde die Idee von geteilten Ligen, die dann Play-off oder Play-downs spielen, sehr attraktiv. Das macht es doch interessant. Gerade dann, wenn Corona rum ist, können wir uns auch um neue Modelle Gedanken machen. Wenn nicht jetzt, wann dann?

Aufrufe: 05.1.2021, 06:10 Uhr
Rüdiger Dittrich und Volker Lehr (Oberhessische ZeAutor