"Wir hatten in den neun Monaten viel zu tun"
Die beiden Verbands-Funktionäre Wolfgand Jades und Manfred Schneiders blicken auf das von Corona geprägte Jahr 2020 zurück und wagen eine Vorschau auf 2021.
Einen Ausblick auf das kommende Fußball-Jahr zu wagen, ist in diesen Tagen nicht einfach. Aber eine Bilanz des Corona-Jahres 2020 zu ziehen, ist immerhin schon möglich. Im großen Interview blicken Manfred Schnieders (Vizepräsident Amateurfußball des Fußball- und Leichtathletik-Verbandes Westfalen und Vorsitzender im DFB-Spielausschuss) und Wolfgang Jades (Vorsitzender Verbandsfußballausschuss FVN) zurück und wagen gleichzeitig einen Ausblick auf 2021 – zusammengeschaltet per Video.
Wir blicken zurück auf 2020, das Corona-Jahr. Hätten Sie gedacht, dass Sie mal vor solchen Herausforderungen als Funktionäre stehen würden?
WOLFGANG JADES | Nein, ich hätte mir niemals vorstellen können, vor solchen Herausforderungen zu stehen oder dass ich so etwas überhaupt erleben muss. Es war mein 37. Jahr als Staffelleiter – und es ist das herausforderndste gewesen.
MANFRED SCHNIEDERS | Vor einem Jahr noch hätte ich gesagt: Das kommt vielleicht in Science-Fiction-Filmen vor, aber das gibt’s doch nicht bei uns. Im März, als wir alles runterfahren mussten, mussten wir Regelungen finden, um auf solch eine Situation reagieren zu können, die auch rechtssicher sind. Das war eine Riesenherausforderung.
Wann haben Sie gemerkt: Das wird ein größeres Thema, das uns noch lange beschäftigen wird?
SCHNIEDERS | Eigentlich mit dem ersten Tag, als verkündet wurde: Jetzt geht gar nichts mehr. Da brach im Hinterkopf auch schon ein wenig Panik aus, dass man denkt: Wie kann es jetzt weitergehen, wann kann es weitergehen, was müssen wir alles regeln? Als Verband steht man natürlich in der Verpflichtung, etwas zu tun, anderseits aber auch immer in der Haftung. Das ist ein wesentlicher Faktor, wenn man in solch einem Präsidium sitzt.
JADES | Als wir am 12. März unterbrochen haben, war uns sehr bewusst, dass das nicht nur eine Sache von ein paar Wochen sein wird. Nach den Ereignissen von Heinsberg und Ischgl war absehbar, dass es lange dauern wird. Auch deshalb haben wir damals schon weitsichtig entschieden und zunächst bis Ostern unterbrochen. Im April war uns bewusst, dass es schwierig wird, die Saison zu Ende zu führen. Auch wenn es nach außen manchmal so aussieht, als würde sich nichts tun, kann ich versichern, dass es seit März keinen Tag gab, an dem nicht über den Spielbetrieb und Corona gesprochen wurde. Wir hatten in den neun Monaten viel zu tun.
SCHNIEDERS | Unser Wunsch und Wille war es, möglichst viel Transparenz für die Vereine zu haben. Deshalb hatten beispielsweise wir in Westfalen mit allen überkreislichen Vereinen Videokonferenzen, die Kreise haben das mit ihren Vereinen gemacht. Allein das zu bewerkstelligen, war schon ein Wahnsinnsaufwand. Und das Ganze dann auch alle paar Wochen zu machen, um am Ende sagen zu können: Okay, du hast jetzt auch wirklich versucht, alle zu überzeugen und mitzunehmen. Das war dann noch mal ein Riesenakt.
Sind sich die Verbände sowie Vereine und Sportler in diesem Jahr näher gekommen?
JADES | Oftmals hieß es in der Vergangenheit, dass „die da oben“ alleine entscheiden. Das war schon immer verkehrt. Und diesmal haben die Vereine richtig gespürt, dass wir zusammenarbeiten. Wir haben die Entscheidungen mit der Basis vorbereitet. Egal ob es um Unterbrechungen oder den Abbruch ging. Wir haben Videokonferenzen bis in die untersten Kreisklassen durchgeführt und dann noch eine schriftliche Abstimmung folgen lassen, damit wir sicher sein konnten.
SCHNIEDERS | Viele Vereine hatten ja überhaupt erstmalig mit solch einem Verbandspräsidium Kontakt. Das kannten sie bisher vielleicht nur aus unseren Veröffentlichungen oder aus den Medien. Nun hat man miteinander gesprochen, wir haben auch einige der Bedenken wahrgenommen. Natürlich mussten wir am Ende entscheiden, und dann kannst du auch nicht jeden zufriedenstellen. Aber das geht auch nicht mit 1500 Fußballvereinen. Ich habe immer gesagt: Wenn wir mehr als 95 Prozent der Vereine zufriedenstellen, dann haben wir ein Top-Ergebnis. Und das zeigen uns auch die Rückmeldungen, die wir auch heute noch bekommen, dass wir dieses Krisenmanagement ganz gut im Griff gehabt haben.
JADES | Wir sind ja sogar noch weitergegangen und haben vor der neuen Saison in Konferenzen mit den Vereinen besprochen, wie wir starten, in welchem Spielsystem. Das haben wir von der Kreis- bis zur Oberliga gemacht und wir werden die Vereine auch wieder mitnehmen, wenn es darum geht, wie der Spielbetrieb 2021 fortgesetzt werden soll.
Welche Entscheidung ist Ihnen in all den Monaten am schwersten gefallen?
JADES | Es war nicht schwer, die Entscheidungen zu treffen, weil wir auf einer großen Basis erlebt haben, dass die Vereine dahinterstehen. Das hat es erleichtert. Aber für einen Staffelleiter, der bestrebt ist, jede Saison zu Ende zu bekommen, war es nicht sehr schön, mittendrin aufhören zu müssen. Ich denke, wir haben zusammen mit den Vereinen die Saison auch in den Auf- und Abstiegsfragen gut zu Ende geführt.
SCHNIEDERS | Am schwierigsten für mich war es, verstehen zu müssen: Eine Saison geht nicht zu Ende. Ich habe selbst gespielt und spiele immer noch. Wenn mir einer mal gesagt hätte: Die Saison fängt an, und irgendwann heißt es dann, dass noch sieben Spiele fehlen, die aber nicht mehr ausgetragen werden, hätte ich gesagt: Das kann’s ja gar nicht geben.
Auch wenn es schwierig ist: Können wir einen Ausblick auf einen möglichen Re-Start wagen? Ist der März ein möglicher Zeitpunkt, und wie werden sich die noch andauernden Maßnahmen gegen Corona auf den Spielbetrieb auswirken?
SCHNIEDERS | Am 17. Februar 14 Uhr fangen wir wieder an (Schnieders und Jades lachen). Nein: Wir können das überhaupt nicht sagen. Alles, was wir tun, ist zu schauen: Nach welchen Kriterien kann man einen Saisonstart hinbekommen? Der entscheidende Punkt ist: Wann ist überhaupt Trainingsbetrieb möglich? Dass wir die Vereine und Mannschaften wieder an den Start bekommen. Wir wissen ja nicht, wie viele Mannschaften es überhaupt noch gibt, wenn wir jetzt sechs bis acht Wochen oder drei bis vier Monate Pause hatten. Wir müssen schauen, wie es in den Staffeln aussieht und wie viele Wochen wir noch haben.
JADES | Wir müssen als Verband dafür sorgen, dass die Vereine Planungssicherheit haben. Die vergangenen Tage haben aber wieder einmal gezeigt, dass wir selbst in der Familie keine Planungssicherheit für Weihnachten oder Silvester hatten. Wir müssen handeln, wenn es darauf ankommt. So haben wir am Niederrhein schon am 19. November entschieden, dass wir erst einmal bis zum 10. Januar aussetzen und hofften damals darauf, dass dann der Trainings- und Spielbetrieb möglich sein wird. So sollten dann die ersten Pflichtspiele am 23./24. Januar ausgetragen werden. Und so hat es die Politik nun ja auch vorgegeben. Wichtig ist uns, dass die Vereine wissen, dass wir ihnen mindestens zwei Wochen zur Vorbereitung geben, sobald es eine Verordnung gibt, die den Trainings- und Spielbetrieb wieder erlaubt. Wenn die Pause aber über den 10. Januar hinausgeht, reichen diese 14 Tage vielleicht gar nicht mehr aus. Umso weniger Möglichkeiten haben wir dann aber für Spiele.
Was bedeutet die aktuelle Lage für die großen Staffeln, wie zum Beispiel die beiden Oberligen?
JADES | Wir haben vor der Saison mit den Oberliga-Vereinen gesprochen und vier Fünftel der Klubs wollten diesen Spielplan. Wir werden jetzt wieder mit den Vereinen sprechen und mehrere Variationen diskutieren. Nach derzeitigem Stand hätten wir bis zum 30. Juni wahnsinnig viele Englische Wochen. Ob das im Sinne der Vereine und Spieler wäre, muss man sehen.
SCHNIEDERS | Die Vereine haben sich für dieses System entschieden, und wir haben frühzeitig auf die Probleme hingewiesen. Die Vereine wissen, dass wir mit dem Spieltag wieder anfangen werden, der im November als erster komplett ausgesetzt worden ist und werden dann die Spiele, die noch aus der Hinrunde nachzuholen sind, dazwischen ansetzen. Wenn wir die Saison komplett hinbekommen sollten, ist es gut. Wenn nicht, wir aber mehr als 50 Prozent der Spiele insgesamt ausgetragen haben, dann ist es auch in Ordnung und wir haben eine entsprechende Wertung. Wir werden dann bis zum 30. Juni, also bis zum letzten möglichen Tag, Spiele austragen. Nach derzeitigem Stand denken wir aber nicht an eine Verlängerung der Saison darüber hinaus, weil wir auch an die nächste Spielzeit denken müssen. Es war dann für alle strapaziös genug, so dass wir dann versuchen, in einen möglichst geregelten Spielbetrieb 2021/22 zu kommen.
JADES | Das gilt auch für den Niederrhein. Wir werden zunächst den Spielplan chronologisch fortführen, damit zumindest jeder einmal gegen jeden gespielt hat.
Das könnte dazu führen, dass Mannschaften Probleme mit der Platzkapazität bekommen, weil sie nun ein Heimspiel haben, wenn eigentlich ein Auswärtsspiel geplant gewesen wäre. Wie gehen Sie damit um?
JADES | Falls es zu Überschneidungen auf Anlagen kommt, werden wir mit den Klubs sprechen. Denn auch die Jugend, die gerade erst in die Saison eingestiegen war, muss noch viele Spiele nachholen. Da müssen wieder viele Gespräche geführt werden. Die Staffelleiter, die einen engen Kontakt zu den Klubs haben, haben da bisher tolle Arbeit geleistet.
Wir haben alle keine Glaskugel, aber was glauben Sie: Wird die Spielzeit 2021/22 die erste reguläre Saison nach Corona?
JADES | Wir hoffen sehr, dass die kommende Saison normal verläuft. Wenn aber bis zum 30. Juni gespielt wird, werden wir den Spielern und den Verantwortlichen die Möglichkeit geben, vier Wochen zu regenerieren und die Saison erst im September starten. Wenn die Pandemie nicht mehr dabei ist, haben wir die Chance auf eine normale Saison.
SCHNIEDERS | Wir sind Optimisten.
Sie haben die Sorge geäußert, dass die eine oder andere Mannschaft beim Re-Start der Saison nicht mehr dabei sein könnte. Hat es schon erste Abmeldungen vom Spielbetrieb gegeben?
SCHNIEDERS | Aktuell haben wir da noch nichts gehört. Aber das muss man ja befürchten, dass Mannschaften in den unteren Ligen, wenn sie so lange ohne Fußball klargekommen sind, das vielleicht so verstehen, dass sie den Fußball gar nicht brauchen. Solche Fälle wird es vielleicht geben, das wissen wir nicht. Da müssen wir abwarten, wie es ist, wenn es zum Re-Start kommt.
JADES | Bisher gab es keine Mannschaft die gesagt hat, dass sie zurückzieht. Das muss man aber im Auge behalten. Wir hoffen, dass alle an den Start gehen können.
Die Regionalliga West wird als Profi-Liga betrachtet und ist vom Lockdown ausgenommen.
Wie ist der aktuelle Stand und wie zufrieden sind Sie mit dem bisherigen Verlauf der Saison?
SCHNIEDERS | Hierfür gibt es in der neuen Corona-Schutzverordnung des Landes keine Veränderungen, so dass wir wie bisher weitermachen können. Ich denke, Wolfgang ist genau so stolz wie ich, dass wir, seit wir die Corona-Regelungen für die Regionalliga haben, die Spieltage alle komplett hinbekommen. Das ist schon fast unvorstellbar, in der Dritten Liga klappt das nicht so gut.
JADES | Wir müssen allen Vereinen in der Regionalliga ein Lob zollen. Sie haben sich an die Corona-Testungen gehalten, einen Tag vorher liegen die Ergebnisse vor. Trotz der schweren Hinrunde, in der wir in vier Monaten 20 Spiele pro Mannschaft absolviert haben, ziehen die Vereine hervorragend mit. Wenn der Spieltag am Wochenende gelaufen ist und die zwei Nachholpartien am 22. Dezember gespielt sind, haben wir 204 von 210 Hinrundenspiele gespielt. Das ist ein sensationelles Ergebnis, die 50 Prozent sind so gut wie erreicht. Die Saison wird auf jeden Fall gewertet. Ich hoffe, so geht es auch weiter.
SCHNIEDERS | Der Dank geht nicht nur an die Vereine, sondern auch an die Spieler und deren Umfeld. Alle halten sich sehr konsequent an die Hygiene-Konzepte, die die Vereine aufgestellt haben. Dickes Lob, dass das so gut funktioniert.