Weniger als eine Minute ist noch auf der Uhr, da schleicht sich ein bisschen Bundesliga in die A-Klasse. „Onur“, ruft Jürgen Krause von der Seitenlinie aufs Feld, „du darfst ’runter.“ Onur schleicht den weiten Weg aus der Altenfurter Spitze bis zur Seitenlinie, da ruft Rauh hinauf auf den kleinen Hügel, wo die Altenfurter Anhänger auf Holzbänken sitzen: „Jetzt klatscht aber fei ordentlich ...“ Und dann kommt er, der Bundesligamoment: Sonderapplaus für den doppelten Torschützen, Standing Ovations auf dem ungemähten Hügel für den Mann, der so oft das Tor nicht traf, den sie so oft schmähten – und der sich jetzt, an diesem Freitagabend auf dem Gelände des ESV Rangierbahnhof, ein bisschen unsterblich gemacht hat. In 27 Saisonspielen traf er nur zweimal, heute besorgte er beide Tore beim 2:0-Sieg über den VfL Nürnberg II. Onur Kelkitli rettete damit dem Verein in der Relegation eine völlig verkorkste Runde. All die Demütigungen, die 95 Gegentore, die acht Monate Schmach – vergessen.
„Wir wurden so oft abgeschlachtet“, sagt Onur Kelkitli später. Es hat etwas gedauert, bis man mit ihm sprechen konnte, jeder wollte ihn plötzlich einmal drücken. „Es ist vielleicht nicht der schönste Tag meiner Karriere“, sagt er dann, „aber es ist schon ein ziemlich geiles Gefühl.“ Schon zur Winterpause stand eigentlich fest, dass Altenfurt II in die Relegation muss. Oder besser: darf. Weil Buchenbühl vor Saisonstart die Mannschaft zurückzog, gab es keinen direkten Abstieg mehr, das abgeschlagene Schlusslicht hatte noch eine Chance.
Ein Geschenk des Himmels, das sie nutzten. „Uns ist das nicht unangenehm“, sagt Onur Kelkitli, „so ist eben der Fußball.“ Anfangs, da sah es an diesem Freitagabend gar nicht gut aus. Weder für den Ausrichter, noch für Altenfurt: Nicht mehr als 100 Zuschauer hatten sich zum ESV Rangierbahnhof verirrt, der Anpfiff verzögerte sich, weil das Tornetz mit Kabelbindern geflickt werden musste. Kaum einer wollte sehen, wie zwei Mannschaften gegen den Abstieg in die B-Klasse kämpfen. Trotzdem rauchte der Bratwurstgrill des Wirtes, fünf Ordner waren abgestellt einen Verkehr zu regeln, den es nicht gab, in die Auswechselhäuschen hatten sie Aschenbecher gestellt – man erzählt ja viel über die A-Klasse.
„Für uns geht es nicht darum, Kohle mit der Ausrichtung eines Relegationsspiels zu machen“, sagte Abteilungsleiter Stefan Hofmann, „wir wollen diese Spiele nutzen um zu zeigen: der ESV Rangierbahnhof ist wieder sexy.“ Relegationsspiele, an die erinnert man sich eben ein Leben lang, sagt Hofmann, und damit auch an den ESV Rangierbahnhof. Mit Mitte 40 steht er selbst noch in der dritten Mannschaft im Tor, auch er hat so ein Spiel, an das er sich sein Leben lang erinnert: Vor zehn Jahren war das, in Laufamholz gegen Dietenhofen, da haben sie 90 Minuten gedrückt und trotzdem 1:2 verloren. Die Gegentore sieht Hofmann heute noch manchmal im Schlaf, sie haben den Aufstieg in die Bezirksliga gekostet. „Aber bei denen“, findet Hofmann und zeigt aufs Feld, wo gerade ein Altenfurter und ein VfL-Verteidiger ineinanderkrachen, „ist das anders. Die sind komplett tiefenentspannt.“ Na ja, sagt Moritz Schatz, ganz so ist es auch wieder nicht. Der Ersatzspieler kickt sich im Schatten hinter dem Tor mit Manfred Zagel den Ball hin und her. Beide sind heute immerhin eher aus der Arbeit raus, um fit zu sein. Immerhin wird Schatz dann noch gebraucht, für nicht ganz eine Minute. Vielleicht ist es sein letzter Einsatz für Altenfurt, schon länger versucht die Betriebsmannschaft ihn abzuwerben.
Als dann endlich der Abpfiff ertönt, Altenfurt feiert und der VfL ein wenig traurig ist, da sieht man all die Last von den Schultern des Trainers rutschen. Auch Jürgen Krause braucht ein paar Minuten, bevor er sprechen kann: die Emotionen. „Meine Gefühle“, sagt er dann, „die sind gerade nur schwer zu deuten.“ Als Sportler ist er stolz auf den Klassenerhalt. Aber er weiß nicht, was er von einem weiteren Jahr A-Klasse halten soll: „Es war ja ein sehr frustrierendes Jahr.“
Deshalb hatte Krause die Mannschaft lieber gefragt, ob sie überhaupt antreten wollen bei diesem Relegationsspiel. Die Mehrheit wollte, ja sie alle spielen gern in der A-Klasse, auch wenn sich da die Gegenspieler manchmal über sie lustig machten. Sie wollten das so unbedingt, dass Spieler wie Moritz Schatz und Manfred Nagel freiwillig den Verstärkungen aus der ersten Mannschaft in diesem Spiel den Vortritt ließen.
Viel wird sich auch kommende Saison nicht ändern beim TSV Altenfurt II, vermutet Jürgen Krause, wieder werden nur selten Spieler aus der Ersten das Gerüst für die jungen Spieler in der Zweiten bilden. „Aber vielleicht“, sagt der Trainer, „gibt dieser Sieg heute allen ein wenig Schub.“ Bevor er wieder ins Auto steigt und zurück an den Bodensee fährt, wo seine Familie auf ihn wartet, wo er seinen Urlaub für dieses Relegationsspiel unterbrochen hat, blinzelt Jürgen Krause nochmal hinauf zur Sonne. „Was man da mitmacht, wenn man in der A-Klasse so deutlich ganz unten steht, das tut schon weh.“ Krause schluckt. „So gesehen“, sagt er dann, „ist es schon eine große Genugtuung, dass wir jetzt in der A-Klasse bleiben.“