2024-04-25T14:35:39.956Z

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"Nicht der größte Tag meiner Karriere, aber schon ein geiles Gefühl": Onur Kel­kitli (rot) traf zweifach.F: Roland Fengler
"Nicht der größte Tag meiner Karriere, aber schon ein geiles Gefühl": Onur Kel­kitli (rot) traf zweifach.F: Roland Fengler

Neunzig Minuten retten die Saison

Alltag in der A-Klasse - Folge 34: Onur Kelkitli lässt mit seinen Toren Altenfurt acht Monate der Schmach vergessen

Ein holpriger Sandplatz, in der Kabine eine Kiste Bier, das Trikot riecht nach Zigaretten — man erzählt viel über die A-Klasse. Aber auch, dass man dort den Fußball noch so erleben kann, wie er ursprünglich einmal war. Wir wollen herausfinden, wie es wirklich ist in den Niederungen des Amateurfußballs. Deshalb begleiten wir die A-Klasse 6, eine Saison lang — auch dann, wenn Tränen fließen: in der Relegation.

Weniger als eine Minute ist noch auf der Uhr, da schleicht sich ein bisschen Bundesliga in die A-Klasse. „Onur“, ruft Jürgen Krause von der Seiten­linie aufs Feld, „du darfst ’runter.“ Onur schleicht den weiten Weg aus der Altenfurter Spitze bis zur Seiten­linie, da ruft Rauh hinauf auf den klei­nen Hügel, wo die Altenfurter Anhän­ger auf Holzbänken sitzen: „Jetzt klatscht aber fei ordentlich ...“ Und dann kommt er, der Bundes­ligamoment: Sonderapplaus für den doppelten Torschützen, Standing Ova­tions auf dem ungemähten Hügel für den Mann, der so oft das Tor nicht traf, den sie so oft schmähten – und der sich jetzt, an diesem Freitagabend auf dem Gelände des ESV Rangier­bahnhof, ein bisschen unsterblich gemacht hat. In 27 Saisonspielen traf er nur zweimal, heute besorgte er bei­de Tore beim 2:0-Sieg über den VfL Nürnberg II. Onur Kelkitli rettete damit dem Verein in der Relegation eine völlig verkorkste Runde. All die Demütigungen, die 95 Gegentore, die acht Monate Schmach – vergessen.

„Wir wurden so oft abgeschlach­tet“, sagt Onur Kelkitli später. Es hat etwas gedauert, bis man mit ihm spre­chen konnte, jeder wollte ihn plötz­lich einmal drücken. „Es ist vielleicht nicht der schönste Tag meiner Karrie­re“, sagt er dann, „aber es ist schon ein ziemlich geiles Gefühl.“ Schon zur Winterpause stand eigent­lich fest, dass Altenfurt II in die Rele­gation muss. Oder besser: darf. Weil Buchenbühl vor Saisonstart die Mann­schaft zurückzog, gab es keinen direk­ten Abstieg mehr, das abgeschlagene Schlusslicht hatte noch eine Chance.

Ein Geschenk des Himmels, das sie nutzten. „Uns ist das nicht unange­nehm“, sagt Onur Kelkitli, „so ist eben der Fußball.“ Anfangs, da sah es an diesem Frei­tagabend gar nicht gut aus. Weder für den Ausrichter, noch für Altenfurt: Nicht mehr als 100 Zuschauer hatten sich zum ESV Rangierbahnhof ver­irrt, der Anpfiff verzögerte sich, weil das Tornetz mit Kabelbindern ge­flickt werden musste. Kaum einer wollte sehen, wie zwei Mannschaften gegen den Abstieg in die B-Klasse kämpfen. Trotzdem rauchte der Brat­wurstgrill des Wirtes, fünf Ordner waren abgestellt einen Verkehr zu regeln, den es nicht gab, in die Aus­wechselhäuschen hatten sie Aschenbe­cher gestellt – man erzählt ja viel über die A-Klasse.

„Für uns geht es nicht darum, Kohle mit der Ausrichtung eines Relegati­onsspiels zu machen“, sagte Abtei­lungsleiter Stefan Hofmann, „wir wol­len diese Spiele nutzen um zu zeigen: der ESV Rangierbahnhof ist wieder sexy.“ Relegationsspiele, an die erin­nert man sich eben ein Leben lang, sagt Hofmann, und damit auch an den ESV Rangierbahnhof. Mit Mitte 40 steht er selbst noch in der dritten Mannschaft im Tor, auch er hat so ein Spiel, an das er sich sein Leben lang erinnert: Vor zehn Jahren war das, in Laufamholz gegen Dietenhofen, da haben sie 90 Minuten gedrückt und trotzdem 1:2 verloren. Die Gegentore sieht Hofmann heute noch manchmal im Schlaf, sie haben den Aufstieg in die Bezirksliga gekostet. „Aber bei denen“, findet Hofmann und zeigt aufs Feld, wo gerade ein Altenfurter und ein VfL-Verteidiger ineinander­krachen, „ist das anders. Die sind kom­plett tiefenentspannt.“ Na ja, sagt Moritz Schatz, ganz so ist es auch wieder nicht. Der Ersatz­spieler kickt sich im Schatten hinter dem Tor mit Manfred Zagel den Ball hin und her. Beide sind heute immer­hin eher aus der Arbeit raus, um fit zu sein. Immerhin wird Schatz dann noch gebraucht, für nicht ganz eine Minute. Vielleicht ist es sein letzter Einsatz für Altenfurt, schon länger versucht die Betriebsmannschaft ihn abzuwerben.

Als dann endlich der Abpfiff ertönt, Altenfurt feiert und der VfL ein wenig traurig ist, da sieht man all die Last von den Schultern des Trainers rut­schen. Auch Jürgen Krause braucht ein paar Minuten, bevor er sprechen kann: die Emotionen. „Meine Gefüh­le“, sagt er dann, „die sind gerade nur schwer zu deuten.“ Als Sportler ist er stolz auf den Klassenerhalt. Aber er weiß nicht, was er von einem weiteren Jahr A-Klasse halten soll: „Es war ja ein sehr frustrierendes Jahr.“

„Wollt ihr überhaupt antreten?“

Deshalb hatte Krause die Mann­schaft lieber gefragt, ob sie überhaupt antreten wollen bei diesem Relegati­onsspiel. Die Mehrheit wollte, ja sie alle spielen gern in der A-Klasse, auch wenn sich da die Gegenspieler manch­mal über sie lustig machten. Sie woll­ten das so unbedingt, dass Spieler wie Moritz Schatz und Manfred Nagel frei­willig den Verstärkungen aus der ers­ten Mannschaft in diesem Spiel den Vortritt ließen.

Viel wird sich auch kommende Sai­son nicht ändern beim TSV Altenfurt II, vermutet Jürgen Krause, wieder werden nur selten Spieler aus der Ers­ten das Gerüst für die jungen Spieler in der Zweiten bilden. „Aber viel­leicht“, sagt der Trainer, „gibt dieser Sieg heute allen ein wenig Schub.“ Bevor er wieder ins Auto steigt und zurück an den Bodensee fährt, wo sei­ne Familie auf ihn wartet, wo er sei­nen Urlaub für dieses Relegations­spiel unterbrochen hat, blinzelt Jür­gen Krause nochmal hinauf zur Son­ne. „Was man da mitmacht, wenn man in der A-Klasse so deutlich ganz unten steht, das tut schon weh.“ Krau­se schluckt. „So gesehen“, sagt er dann, „ist es schon eine große Genug­tuung, dass wir jetzt in der A-Klasse bleiben.“

Aufrufe: 01.7.2015, 14:13 Uhr
Christoph Benesch (NN)Autor