Der Weg vom Parkplatz in die Kabine des SC Olching ist weit. Erst geht eine Treppe zur Wirtschaft hoch, dann noch eine Treppe nach unten zu den Umkleiden. „Ich hatte Panik, dass mir bereits auf dem Parkplatz ein Spieler begegnet. Ich habe in meinem Leben noch nie solch eine Angst gespürt, wie in diesem Moment“, sagt Casola.
„Mein schlimmster Gedanke war, dass meine Mannschaft sagt: Wir haben kein Problem damit, dass du einen Mann liebst. Aber wir wollen dich nicht mehr als Trainer haben.“
Tausend Gedanken schossen Casola durch den Kopf: Jetzt sitzen sie in der Kabine. Sie warten auf dich. Verlierst du deine Freunde? Schmeißen sie dich aus der Mannschaft, weil sie dich nicht mehr akzeptieren? Wie gehst du rein? Was machst du, wenn sie dir in die Augen schauen? Wie schaust du?
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Doch in der Kabine des SC Olching ist nichts passiert. „Gar nix“, lacht Casola. „Die Spieler haben gesagt: Hey Coach. Alles cool? Wie gehts? Dann sind wir auf den Platz gegangen und haben trainiert. Das war’s“, sagt Casola. Er lacht wieder. Es ist ein lautes Lachen. Es fühlt sich frei an. Endlich.
Dario Casola hat für den Fußball alles hinten angestellt. Er hat Familienfeiern sausen lassen. Er hat auf Karriereschritte in der Arbeit verzichtet. Und er wusste: Ich kann in meinem Leben niemals mit einem Mann zusammen sein. „Ich hatte eine unfassbare Angst vor den Reaktionen. Ich habe nie darüber nachgedacht, mich zu outen. Der Fußball war mein Leben. Das wollte ich nicht riskieren“, sagt Casola.
Bis zu seinem 32. Lebensjahr hat Dario Casola keine Vorbereitung und kein Spiel verpasst. Dann lernte er Emiliano in München kennen. Einen Mann, der in seinem Leben alles verändert hat: „Emiliano war das Beste, was mir passieren konnte. Endlich muss ich mich nicht mehr verstecken.“ Nach dem Kennenlernen in München musste Emiliano zurück nach Argentinien. Dario Casola hatte sich verliebt. Wissen durfte das niemand. Nicht die Familie. Nicht die Freunde. Und erst recht nicht die Fußballmannschaft. „Ich hätte mich als Trainer niemals vor mein Team gestellt und gesagt: Ich liebe einen Mann. In meinem Freundeskreis sind nur Fußballer. Ich hatte mein Leben lang Angst vor ihren Reaktionen. Und vor den Gegnern“, sagt Casola.
Bereits mit 20 trainiert Casola gleichzeitig zwei Jugendmannschaften beim SV Planegg-Krailling. Zudem kickt er selbst. Er hätte mit dem Fußball aufhören können. Sich outen. Ein freies Leben führen. „Aber dann hätte ich kein Leben mehr gehabt. Der Fußball hat mir immer alles bedeutet. Ich wollte Profi-Trainer werden“, sagt Casola über seine Ziele.
Mit 32 hatte sich Dario Casola mit einem Leben ohne Beziehung abgefunden. Wenn er einen Mann traf, mussten die Treffen geheim ablaufen. Zu ihm nach Hause durfte keiner kommen. Seine Vermieter kannte er vom Fußball. Doch bei Emiliano war alles anders. Dario Casola fühlte: Ich bin verliebt. Über fünf Monate führten sie eine Fernbeziehung zwischen Deutschland und Argentinien. Dann stand für Casola fest: Ich muss ihn besuchen. Wenn er zuvor seiner Mutter von seiner Liebe erzählte, gab er seinem Freund den Namen Emi. Vor dem Abflug nach Argentinien trank er. Und hatte Mut: „Ich habe ihr ein Bild von ihm geschickt und geschrieben: Das ist Emi. Sie war erst mal schockiert. Jetzt liebt sie ihn abgöttisch.“
Seine Freunde und Spieler wüssten bis heute nicht, dass Dario Casola einen Mann liebt. Wenn ihr Trainer die Privatsphäre-Einstellungen bei seinem Instagram-Profil richtig eingestellt hätte. „Mein Freund hat mich gebeten, dass ich mich dort anmelde. Wir haben dort geschrieben. Ich wusste nicht, dass die Bilder jeder sehen kann. Ich dachte, man muss befreundet sein, um Fotos zu sehen.“ Für Emiliano verpasste Dario Casola die Vorbereitung seiner Mannschaft: „Ich habe beim Fußball noch nie gefehlt. Nicht einen Tag. Aber dieser Mann war es wert“, erzählt Casola.
Am Meer in Argentinien stellt Emiliano das erste gemeinsame Bild online. Er markiert das Profil von Dario Casola. Und stellt damit Olching auf den Kopf. „Am nächsten Tag hatte ich Nachrichten ohne Ende auf dem Handy. Mein Torwarttrainer hat mir eine Sprachnachricht geschickt: Hier geht es mega ab in Olching. Was ist los bei dir? Du musst dich vor der Mannschaft erklären.“
Casola wischt über sein Handy, zeigt die Nachricht, die er damals zurückgeschrieben hat: „Wenn jemand ein Problem damit hat, in Ordnung. Wenn der Verein oder die Mannschaft ein Problem damit hat, dann muss man eben die Konsequenzen ziehen. Mehr gibt es eigentlich von meiner Seite nicht zu sagen.“
Casola legt das Handy auf den Tisch. „Der Moment war krass. Mein Leben ist damals zusammen gebrochen. Aber so würde ich das heute nie mehr schreiben“, sagt Casola und lächelt. Er hat jetzt ein anderes Leben. Er hatte sein Leben lang Angst vor den Reaktionen. Er hatte Angst, dass ein Spieler sagt: „Was willst du noch hier, du Schwuchtel? Aber das hat niemand gesagt. Es war ein tolles Gefühl, dass es alle als normal angesehen haben, dass ich jetzt mit einem Mann zusammen bin.“
Casola hat nach zwei Jahren beim SC Olching als Landesliga-Trainer aufgehört. Die Zeit war erfolgreich. Aber er wollte eine Pause. Nach einem Jahr konnte er nicht mehr ohne seinen Sport. Casola kickt wieder. Der MTV München hat einen erfahrenen Verteidiger gesucht und den 34-Jährigen angeschrieben. Seinen Mitspielern hat Dario nicht gesagt, dass er einen Ehemann hat. Warum auch? „Ich gehe damit nicht hausieren. Wenn ein Mitspieler ein Problem damit hätte, würde ich heute nicht mehr sagen, dass ich meine Konsequenzen ziehen muss. Ich würde erwarten, dass der Verein hinter mir steht und zu diesem Spieler sagt: Wenn dir Dario nicht passt, dann geh bitte.“
Text: Christoph Seidl