2024-04-25T10:27:22.981Z

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Zu eng beieinander? Dann aber schnell weg. Alles eine Frage des Abstands einerseits, der Verweildauer andererseits.	Foto: Ben
Zu eng beieinander? Dann aber schnell weg. Alles eine Frage des Abstands einerseits, der Verweildauer andererseits. Foto: Ben

Mit Abstand auf dem Flickenteppich

CORONA: +++ Die Fußball-Saison nimmt langsam Konturen an / Von ungleichen Bedingungen und neuen Kontaktsport-Studien +++

giessen. „Der Flickenteppich ist ein meist sehr bunter, gewebter Teppich aus langen, zusammengenähten Stoffstreifen als Schuss.“ Wenn die Welt Wikipedia nicht hätte, würde sie dumm aus der Wäsche schauen. Wir wissen nicht, was Stefan Reuß, Präsident des Hessischen Fußball Verbandes, als Bodenbelag bevorzugt, auf alle Fälle hat er in einem Interview zur derzeitigen Situation des Amateur-Fußballs deutlich zu verstehen gegeben, was er nicht mag: „Wir brauchen keinen Flickenteppich. Sondern eine einheitliche Regelung in Deutschland.“

Was dem HFV-Präsidenten sauer aufstößt, ist die Tatsache, dass „in Niedersachsen, Thüringen und Westfalen längst wieder Trainings- und Freundschaftsspiele durchgeführt werden“, während in Hessen die Mannschaften immer noch in einer Zehner-Gruppe pro Platzhälfte den Trainingsalltag bestreiten müssen. So verwundert es nicht, dass der Testspielplan des Regionalligisten TSV Steinbach-Haiger sich derzeit liest, als plane die Elf von Cheftrainer Adrian Alipour einen dreiwöchigen Wohnmobil-Trip, um das schöne Nordrhein-Westfalen kennenzulernen. Denn in Hessen geht (noch) nichts. Schon am kommenden Freitag spielt der TSV im (aus Haigerer Sicht) nahen Siegener Leimbachstadion gegen den Oberligisten TuS Erndtebrück. Es folgen Testspiel-Dienstreisen zu Alemannia Aachen (25. Juli), Rot-Weiß Essen (1. August) und dem ASC Dortmund (8. August). Am 15. August wird‘s dann auch hessisch relevant, wenn das Pokal-Halbfinale gegen/beim FC Gießen ansteht.

Beim heimischen Regionalligisten stellt sich derzeit allerdings noch nicht einmal die Frage, wie viele Testspiele man wo auf die Reihe bekommt, sondern wann es überhaupt losgeht. Noch ist die Kurzarbeit eine (Mannschafts-)Trainingsbremse. „Am 1. August“, so Trainer Daniyel Cimen, starte man aber „mit einem Testspiel in die Vorbereitung.“

Auch für die unteren Ligen kristallisiert sich langsam heraus, dass der Saisonbeginn Anfang September mehr als ein frommer Wunsch ist. Reuß formuliert das offensiv: „Unser Wunsch ist es, den ersten Spieltag der neuen Meisterschaftsrunde an dem Wochenende des 5. und 6. September auszutragen.“ Da Vorsicht die Mutter der Corona-Porzellankiste ist, bewegt sich der Fußball-Präsident noch im Konjunktiv und fügt hinzu: „Wenn wir uns alle an die Hygiene- und Abstandsregeln halten, wenn wir umsichtig sind und die gebotene Vorsicht walten lassen, kann das alles gelingen.“

Dieser Meinung sind auch die Gießener Kreisfußball-Funktionäre, die sich am Montagabend im Rödgener Sportheim getroffen haben, um das weitere Szenario zu besprechen. Die Ligeneinteilung hatte Kreisfußballwart Henry Mohr schon Ende vergangener Woche vorgestellt, an den Spielplänen wird gebastelt – und Mohrs Stellvertreter Hans-Peter Wingefeld konnte am Dienstag auch verkünden, wann die Rundenbesprechungen über die Bühne gehen – allesamt an einem Sonntag (16. August) im Sportheim Rödgen (siehe Kasten). „Da lassen sich die Abstandsregeln und Hygienevorgaben gut einhalten“, sagt Wingefeld.

Dass es trotz weiterhin anhaltender Covid-19-Pandemie jetzt vergleichsweise zügig mit der Wiederaufnahme des Spielbetriebs geht, hängt mit einem bzw. zwei Gutachten zusammen, die der Deutsche Fußball Bund (DFB) bereits am 24. Juni an „die Präsidenten und Geschäftsführer der Regional- und Landesverbände“ geschickt hatte. Zum einen geht es dabei um eine Studie aus China, die nachweise, dass in geschlossenen Räumen ein „19-fach höheres Risiko einer Übertragung“ bestehe, was so den Freiluftsport Fußball entlastet. Wesentlich relevanter und interessanter ist freilich eine Studie, an der Wissenschaftler und Spielanalytiker aus verschiedenen europäischen Ländern mitgewirkt haben. Die kommt zu dem Schluss, dass Fußball kein „Kontaktsport“ sei. In dem DFB-Papier heißt es: „International unterscheidet man zwischen Voll-Kontaktsportarten, Kontaktsportarten, Sportarten mit geringen Kontakten und Sportarten ohne Kontakte. Fußball ist keine „Kontaktsportart“ im Sinne lang anhaltender, statischer Ganzkörperkontakte (z. B. Ringen, Boxen) mit hohem Infektionsrisiko, sondern eine Sportart mit Kontakten über wenige Sekunden mit geringer Kontaktfläche.“ Grundlage dieser Definition ist die Analyse der Positionsdaten aller 306 Vorrundenspiele der Bundesliga und der 2. Bundesliga. „Durchschnittlich hat ein Spieler etwas über sieben Minuten Kontakt zu allen anderen Spielern zusammen. In der gesamten Hinrunde gab es in keinem Spiel bei einer konkreten „Spieler-Spieler-Kombination“ eine Kontaktzeit in der Nähe von 15 Minuten (vom Robert Koch Institut zur Klassifikation von Kontaktpersonen zu SARS-CoV-2-infizierten Personen genutzte Schwelle, bei deren Überschreiten eine Isolierung folgt).“

Den Wissenschaftlern ist das Indiz genug, dass der Fußball ein geringes Risiko für Übertragungswege darstelle. Den DFB freut es. Auch wenn seitens des Verbandes zugestanden wird, dass „solche Untersuchungen aufgrund fehlender technologischer Voraussetzungen nicht ohne Weiteres im Amateurfußball durchgeführt werden“ (können).

Jeder Kreisligakicker sollte, so mag man augenzwinkernd schließen, deshalb darauf achten, nicht zu lange bei seinem Gegenspieler rumzustehen. Die Anweisung an den Manndecker, „dem folgst du bis unter die Dusche“, ist mit Abstandsregel und DFB-Studie nicht vereinbar. Ab nächster Saison, so könnte man sagen, wird auch in der Kreisklasse nur noch im Raum gedeckt. Abstand halten. Auf dem Flickenteppich.



Aufrufe: 017.7.2020, 08:00 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor