2024-05-02T16:12:49.858Z

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Vor dem Landgericht Darmstadt stand die Berufungsverhandlung um den Angriff auf den Schiedsrichter an.  Foto: Oliver Strerath
Vor dem Landgericht Darmstadt stand die Berufungsverhandlung um den Angriff auf den Schiedsrichter an. Foto: Oliver Strerath

Milderes Urteil und ein Abschluss

Strafmaß für Fußballer nach Faustschlag gegen Schiedsrichter deutlich verringert +++ Gericht bewertet Angriff anders

Darmstadt. Tobias Reinhart brachte es auf den Punkt. „Das Wichtigste ist, dass wir einen Abschluss haben, dass wir einen Strich unter diese Sache ziehen können“, sagte der Rechtsanwalt des 23 Jahren alten Nebenklägers und Opfers zugleich. Denn genau das wollte sein Mandant, der als Fußball-Schiedsrichter durch einen Spieler bewusstlos geschlagen worden war. Dass das Urteil gegen den Schläger in der Berufungsverhandlung am Darmstädter Landgericht deutlich milder ausfiel als in der ersten Instanz, war daher nebensächlich. Denn Staatsanwaltschaft, Nebenklage und Verteidigung verzichteten auf Rechtsmittel. Das Urteil – sechs Monate Freiheitsstrafe mit zweijähriger Bewährung sowie 160 Stunden gemeinnütziger Arbeit – ist rechtskräftig, der Fall damit abgeschlossen.

Anders als das Amtsgericht Dieburg im Hauptverfahren im vergangenen Juni hatte die Fünfte Kleine Strafkammer unter Vorsitz von Richterin Barbara Bunk den Fall nicht als eine das Leben bedrohende Handlung im Sinne des Paragrafen 224 Strafgesetzbuch bewertet, sondern als „einfache“ Körperverletzung (§ 223). „Daher wird das Urteil abgeändert“, sagte die Richterin am Landgericht und fügte an: „Es ging hier weniger um die Aufklärung, als viel mehr um die rechtliche Bewertung.“ Da es ein Video des Vorfalls gibt, war die Beweislage eindeutig. In erster Instanz war der Täter noch zu einer Strafe von 15 Monaten mit drei Jahren Bewährung verurteilt worden.

„Abstrakt kann Lebensgefahr bei einen Schlag geben sein. Es muss aber auch konkret der Fall vorliegen, dass Lebensgefahr besteht“, sagte Bunk. Und das, so die Juristin in der Urteilsbegründung, liege bei den Ereignissen in der 85. Minute der Partie aus dem Oktober 2019 zwischen der FSV Münster und dem TV Semd in der Kreisliga C Dieburg nicht vor. Ebenso wenig wie der Wille, das Opfer lebensbedrohlich zu verletzen. Die Richterin sprach vielmehr von einer Kurzschlussreaktion (der Täter hatte Gelb-Rot gesehen), schließlich hätten sich die Gemüter während der Partie erhitzt. „Wir mussten daher deutlich mit der Strafe runtergehen – sechs Monate sind angemessen. Auch wenn die Tat erhebliche Folgen für das Opfer hatte.“

Der junge Schiedsrichter war nach dem Angriff mehrere Minuten bewusstlos, musste mit dem Rettungshubschrauber in die Uni Mainz gebracht werden. Er erlitt eine Gehirnerschütterung, spürt bisweilen Unsicherheiten in Konfrontationen und leidet noch heute unter dem Angriff. „Ich denke jeden Tag daran, versuche, Lösungen zu finden“, sagte der 23-Jährige. Seine Laufbahn als Schiedsrichter hat er beendet. Immerhin ist er dem Fußball, seiner großen Liebe, wieder ein bisschen nähergekommen: als Betreuer einer Frankfurter Mannschaft. „Das ist wie eine Therapie, das hilft mir, obwohl ich oft noch ein ungutes Gefühl habe.“

Die Folgen, auch mit Blick auf das Verfahren vor dem Amtsgericht, hatte unterdessen die Staatsanwaltschaft zum Anlass genommen, eine härtere Strafe als die 15 Monate für den Täter zu fordern. Ursprünglich jedenfalls. Denn im Laufe der Verhandlung änderte der Strafverfolger seine Einschätzung. Beeinflusst sicherlich durch die Ausführungen der Sachverständigen.

Die Rechtsmedizinerin hatte beschrieben, was bei einem solchen Schlag im Gehirn passiert. Und dass man dabei Angriffe auf junge Menschen wie den Schiedsrichter anders bewerten müsse, als zum Beispiel auf ein älteres Opfer. Es müssten weitere Umstände der Tat in Betracht gezogen werden. Alter. Konstitution des Opfers. Selbst der Untergrund, auf dem gespielt wurde (Rasenplatz). Die lebensbedrohende Gefahr dürfe daher nicht nur abstrakt, sie muss konkret sein. Was sie in diesem Fall offensichtlich nicht war. Entsprechend forderte der Staatsanwalt nur noch sieben Monate auf Bewährung – sehr zum Gefallen der Verteidigung, die mit gewisser Genugtuung reagierte. „Das ist ein besonderer Tag für mich, dass die Staatsanwaltschaft meinem Strafmaß entspricht“, sagte der Frankfurter Rechtsanwalt.

Das Gericht blieb sogar einen Monat unter dieser Forderung, womit letztlich alle Seiten einverstanden waren. Die Entschuldigung des Täters („Ich weiß, dass ich einen Fehler gemacht habe, ich schäme mich dafür“), die er noch einmal wiederholte, ein bereits bezahltes Schmerzensgeld (3500 Euro) und die Tatsache, dass der 29-Jährige nicht vorbestraft war, kamen dem Mann aus Münster ebenfalls zugute.

Richterin Bunk wies aber auch daraufhin, dass das Gericht sich bewusst für eine Freiheitsstrafe entschieden habe; auch eine Geldstrafe wäre laut § 223 möglich gewesen. Wegen der Generalprävention in diesem Fall. „Und um das Ehrenamt zu schützen.“ Die Juristin richtete sich dann an das Opfer und sagte: „Ich hoffe, das ist der Beginn eines Neuanfangs für Sie.“

Normalerweise hat der Angeklagte das letzte Wort in einem Prozess. Diesmal sollte es dem 23 Jahre alten Schiedsrichter gebühren. Vom Autor dieser Zeilen daraufhin angesprochen, ob er denn froh sei, dass die Sache nun abgeschlossen ist, nickte der junge Mann, bevor er ging, und sagte: „Ja“.

Aufrufe: 010.2.2021, 14:30 Uhr
RedaktionAutor