2024-05-02T16:12:49.858Z

Querpass

Wenn Trainer ins Tor müssen

Immer mehr Vereinen auf dem Land gehen die Spieler aus. Letzte Episode: das Pokalspiel zwischen Wittstock und Meyenburg, bei dem zwei Coaches im Kasten standen.

Spielertrainer sind in Brandenburg längst keine Ausnahme mehr. Vor allem auf dem Land oder in den Reserven sind sie jedes Wochenende im Einsatz. Auch ein Trainer, der im Tor steht: nichts Ungewöhnliches. Aber gleich zwei in einem Spiel? Gegeneinander? Da war das Kreispokalduell zwischen Meyenburg und Wittstock dann doch eine Ausnahme.
Für den Einen ist es der beste Platz auf dem Feld, für den Anderen eine absolute Notlösung. Der Eine steht bei Wacker Meyenburg II regelmäßig zwischen den Pfosten. Der Andere bei Hansa Wittsock am liebsten an der Seitenlinie. Der Eine ist Stieven Dahse. Der Andere Enrico Schultz. Beide sind sie Trainer.

Schon beim Blick auf die Aufstellungen beider Mannschaften am Sonntagmittag beim Kreispokalspiel zwischen Meyenburg II und Hansa Wittstock fällt auf: die Stammkeeper fehlen. Im Tor stehen heute nicht einmal klassische Ersatzmänner. Es sind die Trainer: Bei Stieven Dahse ist man das gewohnt. Der Oldie zieht sich regelmäßig die Torwarthandschuhe über. Wenn mal wieder kein anderer kann. Sogar für die erste Mannschaft hat der Meyenburger in dieser Saison schon das Trikot getragen. Gegen Rhinow hielt er die Null.


Steht gerne im Kasten: der Spielertrainer der Meyenburger Reserve Stieven Dahse Fotos: Marc Schütz

Der Grund für Dahses Einsätze im Kasten ist einfach: Wie bei vielen anderen Vereinen auf dem Land fehlen auch in Meyenburg die Spieler. Alltag im Brandenburger Fußball. Gegenbeispiele gibt es wenige. Aber bevor man bei Wacker II abmeldet – wie zum Beispiel Kreisoberligist Dannenwalde – stellt sich Stieven Dahse noch immer lieber selbst ins Tor. Mit 49.

Enrico Schultz hat einen ruhigen Sonntagmittag erwischt. Zwar kann die zwei Klassen höher spielende Hansa nicht so recht mit der wie zugemauerten Abwehr des Kreisligisten aus Meyenburg umgehen. Zur Halbzeit steht es gerade 1:0. Aber Bälle fliegen recht selten auf seinen Kasten. In der 38. Minute aber reißt Enrico Schultz, der den rot-gesperrten Tobias Radon vertritt, die Arme hoch. „Der Spieler hat oben in die Ecke geschaut“, sagt der Trainertorwart nach dem Freistoß. Den Ball kann er zu diesem Zeitpunkt maximal erahnen. Das Spielgerät fliegt genau durch die Sonne. Schultz boxt es irgendwie über die Latte. Unkonventionell, aber effektiv. „Da ist der alte Mann einfach ran“, beschreibt er die Szene nach dem Spiel. Der „alte Mann“, das ist Enrico Schultz selbst. Er wird nächstes Jahr 40.


Steht lieber an der Seitenlinie: Wittstocks Enrico Schultz

„Ich finde“, sagt Stieven Dahse, „man sieht vom Tor aus viel mehr als von der Grundlinie.“ Wenn Enrico Schultz so etwas hört, muss er mit dem Kopf schütteln. „Von draußen hast du einen viel besseren Überblick“, entgegnet er. „Man kann viel mehr Einfluss nehmen und ich muss im Spiel auch sehen, dass ich Torwart bin und nicht Trainer." Zwei Philosophien.

Während der 90 Minuten in Meyenburg ist Enrico Schultz tatsächlich weniger Trainer als Torwart. Er treibt sein Team viel weniger nach vorn, als es Stieven Dahse tut, der eifrig Anweisungen gibt, nachdem die Bälle nach vorne verteilt sind. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass bei Hansa noch Cheftrainer Jörg Lutter an der Seitenlinie steht. Enrico Schultz beobachtet, klatscht höchstens mal in die Handschuhe, um warm zu bleiben. Bis zur Halbzeit.

„Wenn wir hier nicht noch eins machen, sind die Gegner schnell bei 130 Prozent“, sagt er energisch. Seine Hände sind zu Fäusten geballt, das Gesicht Richtung Team gewendet, ihm wird zugehört. Trotz oder gerade wegen des Torwarttrikots. Ganz ohne Trainer geht es aber eben doch nicht bei dem 39-Jährigen.

Die Ansprache wirkt erst spät: In der 80. Minute fällt das zweite und fünf Minuten vor dem Ende das dritte Tor. Alle geschossen von Maik Schmidt. Und auch wenn Stieven Dahse noch nach dem Spiel felsenfest davon überzeugt ist, „das Stellungs- und das Aufbauspiel und das Agieren der Außen“ zwischen den Pfosten viel besser zu sehen als von der Seitenlinie, wird ihm genau das zum Verhängnis. Denn der Routinier sortiert noch, als Maik Schmidt ihn aufmerksam beobachtet und aus der Entfernung mehr schlecht als recht den Ball aufs Tor holpern lässt. Drin. 3:0-Endstand.

Dass dies nicht der Schlusspunkt in Stieven Dahses Trainertowart-Karriere war, steht für ihn fest. Wie lange er das noch machen will? Dahse muss herzhaft lachen. „Ich weiß es nicht“. In Wittstock lautet die Antwort: „Nicht mehr allzu lange.“ Erstens, weil die Sperre von Stammkeeper Tobias Radon in zwei Wochen ausläuft. Und zweitens, weil mit Oliver Lange schon ein Ersatz verpflichtet werden konnte. Am Sonntag war er verhindert. Deshalb musste Enrico Schultz ran, der eigentlich Stürmer ist.

>>>Hier gibt's den kompletten Spielverlauf im Ticker zum Nachlesen und die Wahl zum Mann des Tages!

Aufrufe: 013.10.2015, 07:08 Uhr
Marc SchützAutor