2024-04-24T13:20:38.835Z

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Manfred Stephan gibt als Cheftrainer Kommandos an der Linie.
Manfred Stephan gibt als Cheftrainer Kommandos an der Linie.
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Manfred Stephan als Chefcoach der Nationalmannschaft Nicaraguas

Ein unvergessliches Erlebnis

Vor rund 20000 Fans und Live im TV steht Manfred Stephan als Chefcoach der Nationalmannschaft Nicaraguas beim Gold-Cup in den USA gegen Martinique an der Seitenlinie

Viel hat Manfred Stephan schon in seiner Trainerlaufbahn erlebt, doch dieses Highlight hätte er wohl nicht einmal zu träumen gewagt. „Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll, zu erzählen“, ist der 60-Jährige zwei Tage nach seiner Rückkehr immer noch völlig aufgedreht.

Angefangen hat alles im Jahr 1990, da hat der Vellberger nämlich zusammen mit Henry Duarte die A-Lizenz gemacht. „Wir hatten noch lange Kontakt per E-Mail“, erinnert sich Stephan. Erst rund 20 Jahre später – bei einem Trainerkongress in Deutschland – habe er Duarte, der inzwischen Sportdirektor des Teams von Costa Rica geworden war, wieder getroffen. Der Kontakt wurde intensiver, und Ende 2014 nahm Duarte Stephans Tochter Lisa im Rahmen eines Aufenthalts nach dem ­Abitur für beinahe ein halbes Jahr bei sich zu Hause auf.

Nachdem Duarte Anfang 2015 einen Vertrag als Nationaltrainer Nicaraguas unterschrieben hatte, klingelte kurz darauf bei Stephan das Telefon. „Er wollte mich unbedingt als seinen Co-Trainer dabei haben. Anfangs hielt ich es noch für einen Witz“, erzählt Stephan. Zeitlich war dies mit dem Schuldienst nicht vereinbar, doch in den Sommerferien reiste er dann für ein dreiwöchiges Trainingslager mit der gesamten Familie nach Mittelamerika. „Ich durfte selber Einheiten leiten, hauptsächlich Koordinationstraining mit Ball“, erzählt Stephan. „Das mache ich mit Erwachsenen auch nicht viel anders wie in der Schule, nur dem Alter und Leistungsstand entsprechend angepasst.“ Vor allem im koordinativen Bereich musste er große Defizite bei den Nationalspielern feststellen. „Das liegt daran, dass es im Jugendbereich keine strukturierte Ausbildung gibt.“

Erstmals mit auf die Bank durfte Stephan dann beim Qualifikationsspiel in Jamaika für die WM in Russland, das der 105. der Fifa-Weltrangliste sensationell mit 3:2 gewann. Beim Rückspiel musste Stephan allerdings schon vor Anpfiff wieder zurück nach Deutschland fliegen und verpasste das unglückliche Ausscheiden durch die 0:2-Heimniederlage des Teams aus Nicaragua.

Im Sommer 2016 ging es für Stephan dann erstmals nach Nicaragua. Sein Sohn Moritz, der normalerweise beim Hohenloher Bezirksligisten SSV Gaisbach kickt, war auch dabei und durfte sogar während der gesamten drei Wochen bei der Nationalmannschaft mittrainieren. „Henry wollte ihn dann sogar im Länderspiel gegen Honduras einwechseln“, erzählt Stephan lachend, „aber ich konnte ihn gerade noch davon abhalten, sonst hätte er sicherlich ziemlich Ärger mit der Fifa bekommen.“

Übernachtet und trainiert wurde in einer Sportschule in der Diriamba, vom Komfort her mit ihren Sechs-Bett-­Zimmern vergleichbar mit einer einfachen Jugendherberge aus den 70er-Jahren. Auch die Trainingsplätze waren kaum mit denen in Deutschland zu vergleichen, es waren eher Sandplätze mit zwei ­­Toren.

Im Mai dieses Jahres qualifizierte sich Nicaragua dann beinahe sensationell durch ein Tor in der Nachspielzeit gegen Haiti erstmals für den Gold-Cup in den USA. „Da war kein Halten mehr, und alle stürmten auf den Platz.“ Als Konsequenz wurde der gesamte Trainerstab für das erste Gruppenspiel gesperrt. Doch was das für Stephan letztlich bedeuten sollte, erfuhr er erst einige Wochen später.

Oberschulamt stellt Stephan frei

Wieder klingelte das Telefon bei Stephan, am anderen Ende der Leitung war sein Freund aus Costa Rica, und erneut bat er um Unterstützung: „Wir brauchen dich, weil ich das erste Spiel beim Gold-Cup gesperrt bin.“ Doch im Juli sind in Baden-Württemberg noch keine Schul­ferien. Das Oberschulamt erwirkte eine Freistellung – quasi als Entwicklungshilfe. Und kurz darauf saß Stephan schon im Flieger in Richtung USA. Am 6. Juli landete der Hohenloher schließlich in Nashville. Flug und Hotel, alles wurde vom Verband bezahlt. „Für meine Trainertätigkeit habe ich aber kein Geld bekommen, ich wollte ja nur meinem Freund helfen.“

Und dann kam der große Moment: „,Manfred, das machst du heute alleine’, sagte mir Henry beim Mittagessen.“ Bis dahin dachte Stephan nämlich noch, dass nur der Cheftrainer für das Auftaktspiel gesperrt sei, aber der komplette Trainerstab Nicaraguas durfte gegen Martinique nicht in den Innenbereich des Stadions. „Da musste ich schon mal kräftig durchschnaufen.“ Stephan musste sich über Nacht eine Kabinenansprache ausdenken – auf Spanisch und ohne Dolmetscher.

Am Spieltag stand dann gleich die Pressekonferenz an. Auch hier war Stephan gefordert und musste live im TV den Pressevertretern Rede und Antwort stehen. „Ich habe mir schon einige Antworten im Vorfeld überlegt, und zum Glück kamen nur recht entspannte Fragen zu Taktik oder zu den Erfolgsaussichten.“

Die Vorbereitung auf das Spiel verlief dann aber recht chaotisch. „Im gleichen Stadion war erst noch die Partie der USA gegen Panama, und so mussten wir uns im Kabinengang warm machen“, erinnert sich Stephan. Alles war minutiös von der Fifa vorgegeben, und so blieb nur eine Viertelstunde auf dem Platz zur Vorbereitung. „Da war nicht mehr viel Zeit, um die Taktik zu besprechen. Alle waren völlig überdreht, es ging zu wie in einem Bienenstock. Meine Hauptaufgabe lag darin, die Spieler zu beruhigen.“ In der Kabine schwor Stephan noch mal kurz alle Spieler ein. Und mit einem „Vamos Nicaragua“ ging es raus auf den Platz. Plötzlich stand auch Stephan mitten im Rampenlicht der großen Fußballbühne.

„Catcher“ ist voll fokussiert

„Am Anfang war es schon ein komisches Gefühl, wenn die Kamera direkt vor deinem Kopf herumschwirrt.“ Aber spätestens mit dem Anpfiff konnte „Catcher“, wie ihn seine Freunde in Hohenlohe nennen, alles um sich herum ausblenden und war voll fokussiert auf das Geschehen auf dem Platz. „Bei der Halbzeitansprache habe ich die Spieler daran erinnert, dass sie in der Defensive ihre Abstände halten und wir kompakt stehen.“ Nur fünf, sechs Kicker der Nationalelf hätten das Zeug dazu, höherklassig zu spielen. Der Rest habe lediglich Regionalliga- oder Oberliganiveau. „Als Außenseiter war unsere einzige Chance, als Team zu agieren. Und dieser Mannschaftsgeist war dann auch ganz besonders ausgeprägt: Da wird in der Kabine gemeinsam gebetet und getanzt. Alle sind stolz, ein Teil des Teams zu sein. Die Ersatzspieler freuen sich mit ihren Mitspielern, wenn sie für die Startelf nominiert werden.“

Viel mitgenommen hat Stephan von dieser Lockerheit, von jener Freude und dem Spaß, den er mit seinen Spielern zusammen hatte. „Da wurde beispielsweise Flaschendrehen in der Kabine gespielt. Ich war auch mal dran und musste dann etwas vortanzen“, erzählt Stephan schmunzelnd.

Ein Punkt wäre verdient gewesen, am Ende stand es aber 2:0 für Martinique, und die Enttäuschung war riesig. Hatte man sich doch mit einem Sieg zumindest Chancen auf die Viertelfinalteilnahme ausgerechnet.

Weiter ging die Reise zum nächsten Gruppenspiel nach Tampa in Florida. Das erste Training vor Ort fand auf einer ungemähten Wiese statt. „Henry hat sich furchtbar aufgeregt, aber irgendwie musste jemand wohl die Adresse verwechselt haben.“ Auch gegen Panama gab es trotz eines guten Spiels keine Punkte (1:2).

In Cleveland stand dann das letzte Gruppenspiel gegen die USA an. Zur Regeneration zwischen den Spielen ließ sich Manfred Stephan etwas Besonderes einfallen. Die Startelfspieler durften eine Trainingseinheit im hoteleigenen Swimmingpool bestreiten. Alle fieberten der Partie gegen die haushoch favorisierte Gastgeberelf entgegen. Vor 30 000 Zuschauern verlor Nicaragua am Ende zwar verdient mit 0:3, aber insgesamt präsentierte sich das Nationalteam bei seiner Turnierpremiere gut.

„Von Amerika habe ich außer Hotel und Trainingsplatz allerdings nicht viel gesehen“, erklärt Manfred Stephan. Schon am Tag nach dem Ausscheiden ging nach dem Mittagessen das Abenteuer Gold-Cup für ihn nämlich nach zwölf Tagen zu Ende. Viele Freunde musste Stephan in Zentralamerika zurücklassen, er will auf jeden Fall wieder als Co-Trainer in Nicaragua aushelfen, wenn die Zeit es zulässt.

Bereits nächste Woche trifft übrigens Manfred Stephan seinen guten Freund Henry Duarte bei der Trainerfortbildung in Bochum wieder. „Danach wird er noch ein paar Tage zu mir nach Vellberg kommen. Wir plaudern ein bisschen und machen ein paar Ausflüge“, freut sich Stephan auf das Wiedersehen. Und so hat auch die schwere Krankheit, die Stephan vor rund sechs Jahren aus der Bahn geworfen hatte und die er inzwischen überwunden hat, letztlich doch noch ihr Gutes: „Wenn ich einen festen Trainerjob gehabt hätte, wäre das alles gar nicht möglich gewesen.“

Am Montag um 9.30 Uhr kehrte Stephan nach rund zehn Stunden Flugzeit zurück nach Deutschland, und dann ging es direkt weiter mit dem Auto von Frankfurt nach Hoffenheim. Dort kämpften nämlich „seine“ Mädchen von der Grundschule Satteldorf, die der Sportlehrer coacht, um eine gute Platzierung beim Landesfinale von „Jugend trainiert für Olympia“.

„Ich hatte gar keine Zeit, das Erlebte zu verarbeiten. Da ich gleich wieder gefordert war, habe ich die Müdigkeit nach der siebenstündigen Zeitumstellung gar nicht bemerkt“, erzählt der Vellberger. Platz 6 kam am Ende heraus. Und am nächsten Tag ging Manfred Stephan schon wieder seinem „normalen“ Beruf als Lehrer nach. Und ein bisschen kann er jetzt schon wieder anfangen zu träumen, wie das Abenteuer Nicaragua wohl weitergehen wird …

Aufrufe: 022.7.2017, 07:37 Uhr
HT / Ralf MangoldAutor