2024-04-16T09:15:35.043Z

Interview
Schiedsrichter-Obmann Ulrich Reiner macht sich Sorgen, dass durch die Corona-Krise manche Kollegen kürzertreten oder mit dem Pfeifen ganz aufhören könnten.
Schiedsrichter-Obmann Ulrich Reiner macht sich Sorgen, dass durch die Corona-Krise manche Kollegen kürzertreten oder mit dem Pfeifen ganz aufhören könnten. – Foto: Karl Aumiller

Manche könnten kürzertreten, andere aufhören

Ulrich Reiner sieht die Corona-Krise als Gefahr, aber auch als Chance +++ Der Obmann der Schiedsrichtergruppe Donau spricht über die möglichen Auswirkungen der Pandemie +++ Er hofft, dass die Leute merken, wie schön es auf dem Dorfsportplatz ist

Was für die Schiedsrichter in der Gruppe Donau die nächsten Monate bringen werden, das steht alles noch in den Sternen. Ob die unterbrochene Saison 2019/2020 tatsächlich ab 1. September fortgesetzt werden kann, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch niemand sagen. Die Wertinger Zeitung hat sich mit dem Obmann der Schiedsrichtergruppe, Ulrich Reiner aus Bissingen, über diese außergewöhnliche Situation unterhalten.

Herr Reiner, wie haben Sie persönlich die vergangenen Wochen und Monate während der Corona-Krise überstanden?

Ulrich Reiner: Die vergangenen Wochen waren geprägt von einschneidenden Änderungen, angefangen vom Verlust des Kontakts mit den Kameradinnen und Kameraden in unserer Gruppe. So lange nur per Telefon oder WhatsApp kommunizieren zu können, ist enorm erschwerend und belastend. Auch vorbeugende Maßnahmen in der Arbeit und im privaten Umfeld trugen nicht gerade zu einem erhöhten Spaßfaktor in den letzten Wochen bei. Immerhin habe ich mittlerweile Zeit, an meiner Fitness zu arbeiten, nachdem ich mir vergangenes Jahr bei der Feuerwehr Kreuzband und Meniskus gerissen hatte und dann operiert werden musste. Nebenbei mache ich nun seit April per Wochenendkurs den Kurs zum technischen Betriebswirt. Und seit 1. Mai darf ich die Bissinger Bürgerinnen und Bürger als Gemeinderat vertreten – Langeweile ist also keine Folge von Corona.

Als Schiedsrichter-Obmann sind Sie – neben Ihrer täglichen Arbeit – speziell an den Wochenenden viel auf den regionalen Sportplätzen unterwegs. Wie sehr fehlt Ihnen aktuell der Fußball?

Ulrich Reiner: Mehr als ich es jemals für möglich gehalten hätte. Der Kontakt mit meinen Kameraden sowie auch der zu den Spielern fehlt mir sehr. Auch vermisse ich die Anspannung vor Spielbeginn, die Leidenschaft in den Augen der Spieler und den Meinungsaustausch beim Zusammensitzen nach dem Spiel im Sportheim.

Der Bayerische Fußball-Verband hat sehr früh die Entscheidung getroffen, den Spielbetrieb mindestens bis zum 31. August komplett aus- beziehungsweise die derzeit unterbrochene Saison 2019/2020 fortzusetzen. Ist für Sie auch nachvollziehbar, dass die komplette Saison 2020/2021 gar nicht gespielt wird?

Ulrich Reiner: Wir Schiedsrichter nehmen die Situation so an, wie sie kommt. Das Aussetzen bis Ende August resultierte ja aus der Entscheidung der bayerischen Staatsregierung, größere Veranstaltungen bis eben zu jenem Datum zu untersagen, da sind dem BFV dann die Hände gebunden. Ob dann die aktuelle Saison abgebrochen oder sportlich fortgesetzt werden soll, tangiert uns Schiedsrichter nur peripher. Argumente lassen sich hier wohl für beide Vorgehensweisen finden. Am Ende des Tages muss sowieso abgewartet werden, ob überhaupt ab September wieder gespielt werden darf. Ich hoffe es inständig, bin aber eher pessimistisch.

Bei all den Diskussionen um Saisonunterbrechung, Neustart, Transferfenster usw. sind die Schiedsrichter bisher kaum ein Thema gewesen. Kommen denn die Unparteiischen bei all den Ausführungen zu kurz?

Ulrich Reiner: In normalen Zeiten ist es immer das Ziel von uns Schiedsrichtern, dass keiner über uns spricht. Dann haben wir keinen negativen Einfluss auf das Spiel gehabt und jeder ist gleich zufrieden oder unzufrieden. Im Schiedsrichter-Bereich steht auch in dieser Zeit Arbeit an (Förderkader-Veranstaltungen, Monatsversammlungen, Bezirksarbeitstreffen, usw., natürlich alle digital). Und es gibt bei uns natürlich Neuigkeiten, die durchaus berichtenswert sind. So ist unser Aushängeschild Philipp Ettenreich (VfL Zusamaltheim) erst vor zwei Wochen neu als Assistent für die B-Jugend-Bundesliga nominiert worden. Nach dem Abstieg aus der Bayernliga vergangene Saison wurden hier seine tollen Leistungen in der aktuellen Saison sowie sein enormer Einsatz in der Gruppe im Bereich Lehrwesen und Nachwuchsförderung belohnt. Auf unserer Facebook-Seite sowie unserer Website (www.srg-donau.com) versuchen wir, alle Fußballinteressierten über uns zu informieren.

Zu normalen Zeiten haben manche Schiedsrichter an den Wochenenden zwei oder sogar drei Spiele gepfiffen. Da kam doch ein bisschen Taschengeld zusammen. Gibt es Kollegen, die klagen, dass diese „Einnahmequelle“ weggebrochen ist?

Ulrich Reiner: (lacht) Beschwert hat sich tatsächlich noch keiner. Aber natürlich fehlt dem einen oder anderen Kollegen dann schon das Bargeld und der Kontakt zum Bankautomat wird wieder enger. Gerade für unsere Schüler und Studenten sind 25 Euro für ein Herrenspiel schon ein nettes Taschengeld. Wenn man dann die Fixkosten wie Schuhe, Trikots, usw. abzieht, dann machen sich da 30 bis 50 Spiele im Jahr natürlich positiv bemerkbar. Aber immerhin waren wir ja jetzt im Rahmen des Lockdowns einige Wochen zuhause eingeschlossen, sodass man automatisch auch weniger Geld ausgeben konnte. Ein paar Kollegen sparen sich immer die Spesen und gehen damit dann in den Urlaub. Da Urlaub dieses Jahr eher limitiert stattfinden wird, macht sich das Fehlen der Einnahmen dann hier nicht allzu negativ bemerkbar.

Es gibt in der Donau-Gruppe einige ältere Kollegen, die in Sachen Corona zu den Risiko-Gruppen zählen. Machen Sie sich Sorgen, dass manche von ihnen bei einer Wiederaufnahme des Spielbetriebs nicht mehr auf den Platz zurückkehren möchten?

Ulrich Reiner: Zuerst einmal hoffen wir von der Gruppenführung her alle, dass unsere Kameraden alle gesund durch diese Zeit kommen und sich kein Coronavirus einfangen oder dies zumindest reibungslos überstehen. Bisher (klopft auf Holz) scheinen alle gut durchgekommen zu sein.

Es ist ja kein Geheimnis, dass sich die Schiedsrichter-Zunft bereits seit Jahren sehr schwertut, ausreichend Nachwuchs zu generieren. Dementsprechend bereitet vielen Gruppen die Altersstruktur enormes Kopfzerbrechen. Kann man sagen, dass die Corona-Krise letztlich genau diese Problematik schonungslos offenlegt?

Ulrich Reiner: Diese Problematik ist nun ja schon seit Jahren hinlänglich bekannt und wird auch regelmäßig an die Öffentlichkeit und die Vereine kommuniziert. Ein Offenlegen war daher nicht erforderlich. Was uns natürlich bitter schmerzt, ist der ausgefallene Neulingskurs, sodass das Durchschnittsalter in diesem Jahr um ein Jahr auf dann 41 Jahre ansteigen wird. Vielleicht können wir im Herbst noch einen Kurs durchführen, alternativ hat der BFV auch Online-Neulingskurse angeboten, welche gut angenommen wurden.

Sehen Sie in dieser Ausnahme-Situation möglicherweise auch eine Chance in der Krise, sprich, dass die Vereine endlich aufwachen und sich dieser Problematik bewusst werden?

Ulrich Reiner: Den Vereinsvertretern, mit denen ich Kontakt habe, ist diese Problematik durchaus bewusst. Da ich auch in meinem Heimatverein TSV Bissingen noch stark involviert bin, ist mir dadurch, und durch Gespräche mit anderen Vereinen, jedoch auch bewusst, dass die meisten Vereine selbst Probleme haben, Personal zu finden, um die anfallenden Aufgaben verteilen zu können. Schulischer und beruflicher Anspruch sind in den letzten Jahren enorm gewachsen, der Wandel in der Gesellschaft sorgt allenthalben dafür, dass immer weniger Menschen Verantwortung für ihre Mitmenschen übernehmen. Jede Feuerwehr, jeder Sportverein, jede Schiedsrichtergruppe kann davon ein Lied singen.

Bei manchen Vereinen gibt es die Befürchtung, dass aufgrund der langen Spielpause der eine oder andere Nachwuchs-Kicker dem Fußball den Rücken kehren wird. Sehen Sie diese Problematik möglicherweise auch im Schiedsrichter-Bereich?

Ulrich Reiner: Natürlich habe ich die Befürchtung, dass dem ein oder anderen bewusst wird, dass Zeit mit der Familie oder beim Wandern auch etwas für sich hat, und diese Kameraden beim Pfeifen nun kürzertreten oder ganz aufhören. Auch plagen sich ein paar Kollegen schon seit längerem mit gesundheitlichen Problemen herum. Da wird sich wohl auch der Status von ein paar Kameraden von aktiv auf passiv verändern. Andererseits sind wir Schiedsrichter irgendwie sowieso alle verrückt im positiven Sinne. Da steigt natürlich mit jedem Tag die Vorfreude auf den Tag X, wenn es wieder losgeht. Am wichtigsten dabei ist mir aber nur, dass alle gesund die Zeit überstehen und man sich weiterhin bei unseren gesellschaftlichen Veranstaltungen trifft, auch wenn die aktive Laufbahn beendet ist. Ich denke aber auch, dass einige Spieler nach der Ruhepause das Kicken nicht mehr wieder aufnehmen. Ich bin zumindest gespannt, wie die Mannschaften aus der Pause rauskommen. Vielleicht merken Zuschauer und Spieler nun auch, wie schön eigentlich am Sonntagnachmittag ein Spiel auf dem Dorfsportplatz ist, und strömen wie nie zuvor auf unsere Sportplätze – das wäre meine Hoffnung.

Die Schiedsrichter-Gruppe Donau hat Monatsversammlungen sicherlich im Internet abgehalten. Welche Erfahrungen haben Sie in den virtuellen Formaten gesammelt?

Ulrich Reiner: Unser Lehrteam und ich sind grundsätzlich der Meinung, dass der unmittelbare persönliche Kontakt durch nichts auch nur ansatzweise gleichwertig zu ersetzen ist. Gerade für technisch wenig interessierte Kameraden sind digitale Veranstaltungen Hürden, die erst genommen werden müssen. Andererseits sehen wir den Vorteil, dass gerade bei Förderveranstaltungen von Jung-Schiris diese nicht mehr durch den ganzen Landkreis gefahren werden müssen, sondern Inhalte digital und auch zeitlich flexibel angeboten werden können. Unser Lehrwart Julian Bunk arbeitet in diesem Bereich sehr innovativ, sodass wir hier bereits einiges anbieten konnten.

Sie schauen sich sicherlich auch Geisterspiele im Fernseher an und hören dabei bestimmt so manchen Dialog auf dem Platz zwischen einem Bundesliga-Schiedsrichter und den Profis. Was unterscheidet denn die Wortwechsel beider Seiten zu einem Spiel im Amateurbereich?

Ulrich Reiner: Ehrlich gesagt denke ich, dass die Unterschiede gar nicht so groß sind, wie man meinen könnte. Es wird lamentiert, versucht den Schiri zu beeinflussen und das Beste für sich rauszuholen. Dies ist ja auch nicht schlimm, sondern halt der ganz normale Interessenskonflikt. Natürlich ist im Profibereich die Qualität der Kritik nochmals eine ganz andere, da die Spieler hier besser geschult und erfahrener sind. Ab und an hört man in unseren Klassen noch mehr unsinnige Kommentare, die den Schiedsrichter persönlich treffen und beleidigen. Dies ist bei den Profis in der Form nicht vorhanden. Aber auch solche Kommentare werden im Amateurbereich zum Glück immer weniger, da die Vereine hier verstärkt gegenwirken und versuchen, ihrer Vorbild- und Leistungsfunktion gerecht zu werden.

Mehr Lokalsport gibt es unter www.wertinger-zeitung.de

Aufrufe: 026.6.2020, 14:55 Uhr
Wertinger Zeitung / Günther HerdinAutor