2024-05-02T16:12:49.858Z

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Trotz seiner erst 25 Jahre zählt Tobias Wittmann schon zu den besten Schiedsrichtern in ganz Niederbayern.
Trotz seiner erst 25 Jahre zählt Tobias Wittmann schon zu den besten Schiedsrichtern in ganz Niederbayern. – Foto: Klaus Rainer Krieger

»Man darf sich als Schiedsrichter nicht zu wichtig nehmen«

Schiedsrichter-Serie »Aus dem Abseits« (2): Tobias Wittmann stellt sich den FuPa-Fragen und erklärt, warum er ein überzeugter Verfechter des Video-Assistenten ist

Sie werden oft kritisiert und wenig gelobt. Sie müssen in Sekundenschnelle Entscheidungen treffen, die nicht immer richtig sind und nicht selten zu viel Unmut führen. Dennoch oder gerade deshalb würde es ohne sie kein Fußballspiel geben - die Schiedsrichter. Nach den erfolgreichen Portrait-Serien über ehemalige Spielergrößen und bekannte Trainer aus dem niederbayerischen Fußball geben wir nun einmal den Unparteiischen eine Bühne, die sonst eher nicht unbedingt im Blickpunkt des Geschehens stehen. In zwei Teil nehmen wir den Regionalliga-Referee Tobias Wittmann (25), der zudem als Assistent in der 3. Liga aktiv ist, unter die Lupe.

Warum bist Du Schiedsrichter geworden und nicht Fußballer?
Ich habe bis vor circa zehn Jahren bei meinem Heimatverein, dem SV Wendelskirchen, gespielt. Zu diesem Zeitpunkt waren Schiedsrichter leider Mangelware. Mein Vater kam deshalb auf mich und noch zwei Mannschaftskollegen zu, ob wir uns nicht vorstellen könnten, den anstehenden Neulingskurs zu besuchen. So kam dann eins zum anderen. Durch die Möglichkeiten, die mir in der damaligen SR-Gruppe Landau-Dingolfing schnell geboten wurden, war die Entscheidung, die aktive Spielerkarriere an den Nagel zu hängen, nicht besonders schwer. Natürlich muss ich aber auch sagen, dass ich vermutlich maximal in unserer Reservemannschaft spielen würde. Rückwirkend kann ich also sagen, dass ich alles richtig gemacht habe. (lacht)

Was war das schönste Erlebnis Deiner Laufbahn?
Es würde den mittlerweile vielen Spielen nicht gerecht werden, ein einzelnes als schönstes herauszugreifen. Aber eines von den vielen schönen Erlebnissen, die man im Laufe der Zeit miterleben darf, war sicherlich das Münchner Stadtderby zwischen 1860 München und dem FC Bayern München II, bei dem ich beim damaligen Zweitligaschiri Christian Dietz im ausverkauften Grünwalder Stadion assistieren durfte. Natürlich sind alle Relegationsspiele, Derbys und namhafte Duelle immer ein Highlight, auf die man sich besonders freut. Ich hoffe natürlich, dass noch viele dieser Momente dazu kommen.

Tobias Wittmann bei einem Einsatz im altehrwürdigen Augsburger Rosenaustadion.
Tobias Wittmann bei einem Einsatz im altehrwürdigen Augsburger Rosenaustadion. – Foto: Gerd Jung

In welchem Stadion bzw. auf welchem Fußballplatz pfeifst Du oder hast Du besonders gerne gepfiffen?
Auch hier kann man das Ganze nicht auf einen einzelnen Spielort reduzieren. Heraus stechen natürlich große Stadien wie der legendäre "Betzenberg" in Kaiserslautern, der Sportpark in Unterhaching oder das Grünwalder Stadion in München. Aber es gibt auch viele "Dorfplätze", die ihren ganz eigenen Charme und Charakter haben. Zum Beispiel habe ich bis dato immer gerne in Künzing oder Aiglsbach gepfiffen. Dort kann man meistens mit vielen Zuschauern und guter Stimmung rechnen. Wie aber schon gesagt, ist das nur ein kleiner Auszug von vielen schönen Spielorten.

Gibt es einen Spieler, der Dich – egal ob fußballerisch oder menschlich – in Deiner Zeit als Schiedsrichter besonders beeindruckt hat?
Hier fällt mir spontan der ehemalige Burghauser Spieler Lukas Aigner ein. Er glänzte in den Spielen nicht nur mit seiner fußballerischen Klasse, sondern vor allem mit seiner kommunikativen und offenen Art. Egal ob vor oder nach dem Spiel, er hat einen immer begrüßt und kam auch nach dem Spiel stets zum obligatorischen Handshake. Dabei war es immer vollkommen egal, wie das Spiel ausging. Auch während der 90 Minuten fiel er durch seine kommunikative Art positiv auf. Ein Spieler, mit dem man als Schiedsrichter sehr gut arbeiten kann und zudem eine Art Sprachrohr zum Rest des Teams hat. Ein feiner Kerl, dem ich auf seiner neuen Station in Chemnitz alles Gute wünsche.

Wenn ich einen zweiten Spieler nennen darf, dann ist das Manuel Wintzheimer, den ich in den Nachwuchsteams des FC Bayern einige Male pfeifen durfte. Er war schon in der U17 und der U19 ein absoluter Führungsspieler und konnte aufgrund seiner spielerischen Klasse auch einmal den Unterschied machen. Nicht umsonst wurde er in der U17- und U19-Bundesliga Torschützenkönig. Auch er war immer ein Spieler, mit dem man gut kommunizieren konnte und der mich durchaus beeindruckt hat. Völlig zurecht spielt er heute beim HSV in der 2. Bundesliga.

In der U19-Bundesliga erlebt Tobias Wittmann hautnah viele Talente im deutschen Nachwuchs - wie hier Tim Civeja vom FC Augsburg.
In der U19-Bundesliga erlebt Tobias Wittmann hautnah viele Talente im deutschen Nachwuchs - wie hier Tim Civeja vom FC Augsburg. – Foto: Klaus Rainer Krieger


Wie kann Dich ein Spieler oder Trainer auf die Palme bringen?
Mit respektlosem Verhalten. In aller Regel verfahre ich nach dem bayerischen Prinzip: "so wie's in Woid nei schreit, so kimmt's a zruck". Ich habe wirklich kein Problem mit Kritik, das gehört zum Sport und ist demnach auch vollkommen in Ordnung. Die alles entscheidende Frage ist aber immer, wie man diese Kritik äußert. Wenn das Ganze mit dem nötigen Respekt und in einem vernünftigen Ton passiert, ist das alles kein Problem. Wird mein Gegenüber aber laut oder gar aggressiv und unverschämt, dann muss er auch damit rechnen, dass auch ich energisch werde.



Was ist für Dich die sinnloseste Regel im Fußball?
Ich weiß nicht, ob es zwingend erforderlich und wichtig ist, dass Unterziehhosen und Unterziehshirts in der selben Farbe wie die Trikothose bzw. das Trikot sein müssen. Wir kontrollieren es zwar vor dem Spiel und prüfen natürlich ob das Ganze eingehalten wird. Ob das aber wichtig ist, weiß ich nicht.


Was hältst Du von der Handspielregel in der momentanen Form?
Grundsätzlich unterliegt das Handspiel aktuell eigentlich relativ klaren Parametern, die zu einer Ahndung oder eben nicht führen. In meinen Augen ist es aber im Bereich Handspiel enorm schwierig eine Auslegung zu finden, die für alle in Ordnung ist. Man darf auch nicht vergessen, dass wir Schiedsrichter lediglich die Exekutive und nicht die Legislative sind. Wir setzen also nur die Vorgaben des IFAB (International Football Association Board, Anm. d. Red.) und die damit verbundenen Auslegungen um - ob sie uns passen oder nicht.

– Foto: Paul Hofer

Was war der kurioseste Platzverweis, den Du ausgesprochen hast?
Das war sicherlich eine gelb-rote Karte in einem Bayernligaspiel der Saison 2017/2018. Mein Assistent signalisierte mir, dass die Gäste wechseln möchten. Ich stimmte zu und der ausgewechselte Spieler begab sich langsam aber sicher (es lief bereits die 83. Minute und die Gäste führten mit 1:0) in Richtung Auswechselbank. Etwa auf halber Strecke fiel ihm ein, dass er ja seine Schienbeinschoner schon mal aus den Stutzen herausnehmen könnte. Er kniete sich also auf den Boden und nahm seine Schienbeinschoner heraus. Nachdem der Spieler bereits in der ersten Halbzeit für ein Foulspiel verwarnt worden war, war nun klar, was passieren würde: Gelb-Rot wegen Zeitspiels und unsportlichem Verhalten. Dass der eigentlich angedachte Auswechselvorgang noch nicht abgeschlossen war, war zu diesem Zeitpunkt noch nicht allen klar, sodass wir ihnen erst sagen mussten, dass sie jetzt in Unterzahl weiterspielen müssen und der Spieler seiner Mannschaft einen echten Bärendienst erwiesen hat.

Gibt es ein Spiel, das Du nie vergessen wirst?
Auch hier gibt es bestimmt nicht nur ein einziges, aber herausgreifen möchte ich das Bezirksligaspiel TSV Grafenau gegen den FC Tittling in der Saison 2012/13, bei dem ich als Assistent im Einsatz war - bzw. gewesen wäre. Wir fuhren zeitig zum Spiel, sodass wir wie üblich 75 bis 90 Minuten vorher am Spielort sind. Das Kuriose daran war nur, dass am Spielort keine Menschenseele da war. Irgendwann kam dann ein Herr, der sich als Platzwart des Heimvereins entpuppte und uns mitteilte, dass das Spiel schon gestern in der Zeitung abgesagt gewesen sei. Nach dem ein oder anderen Telefonat stellte sich dann heraus, dass vergessen wurde, das Spiel offiziell beim Verband abzusagen und demnach auch wir Schiedsrichter keine Info darüber erhalten hatten. Wir fuhren also ohne das Spiel anzupfeifen die 111 Kilometer von Grafenau wieder nach Hause.

Als Assistent ist Wittmann seit dem vergangenen Jahr auch in der 3. Liga unterwegs.
Als Assistent ist Wittmann seit dem vergangenen Jahr auch in der 3. Liga unterwegs. – Foto: Pressefoto Eibner



Welchen Schiedsrichter aus dem Profibereich findest Du richtig gut?
Da gibt es natürlich auch wieder einige, die richtig gut sind. Aber ein Stück weit Vorbild für alle jungen Schiedsrichter und natürlich auch für mich sollte Florian Badstübner sein. Florian pfeift seit dieser Saison in der 1. Bundesliga und hat damit das geschafft, wovon viele junge Schiedsrichter träumen. Er hat in den letzten Jahren akribisch an sich gearbeitet und jetzt zurecht den Sprung ins Oberhaus geschafft. Ich bin überzeugt davon, dass wir ihn über kurz oder lang auch auf internationaler Bühne sehen werden. Neben ihm, der gerade für junge Talente natürlich noch greifbarer ist, sind natürlich Schiedsrichter wie Deniz Aytekin oder Felix Brych herausragende Persönlichkeiten, die sich ihre Akzeptanz und ihren Ruf über Jahre vollkommen zurecht erarbeitet haben.

Wie würdest Du Deine Art der Spiel- und Menschenführung auf dem Platz beschreiben?
Grundsätzlich würde ich mich als ruhigen und umgänglichen Schiedsrichter bezeichnen. Ich versuche den Spielern immer zu vermitteln, dass ich mit ihnen auf Augenhöhe kommunizieren möchte. Natürlich setzt das Respekt von beiden Seiten voraus. Wenn natürlich jemand über die Stränge schlägt, kann ich schon auch konsequent und energisch sein bzw. werden. Eine meiner größten Stärken ist sicherlich, dass ich mich von aufkommender Hektik nicht anstecken lasse. Gerade wenn dies der Fall ist, muss man als Schiri derjenige sein, der das Ganze wieder in ruhiges Fahrwasser bringt. Das ist natürlich nur möglich, wenn man selbst die nötige Ruhe ausstrahlt. Man darf sich als Schiedsrichter nicht zu wichtig nehmen, die Zuschauer kommen sicherlich nicht wegen mir oder meinen Kollegen, sondern um ein gutes Fußballspiel zu sehen. Unsere Aufgabe ist es eben, dieses hoffentlich gute Fußballspiel zu begleiten und den regeltechnischen Rahmen zu bilden - nicht mehr und nicht weniger.

– Foto: Hans Will



Für Spieler, Trainer oder Fans einer Mannschaft gibt es ja entweder Sieg, Unentschieden oder Niederlage, Freude oder Frust. Was ist für einen Schiedsrichter ein gelungenes, erfolgreiches Spiel?
Wenn ich durch meine Spielleitung einen Beitrag für ein gutes Fußballspiel leisten kann und nach Abpfiff keiner über uns spricht. Wenn dann auch noch der Schiedsrichterbeobachter zufrieden ist, kann ich mit einem zufriedenen Gefühl die Heimreise antreten.



Warum bist Du froh, dass es im Amateurbereich keinen Video-Assistenten gibt? Alternativ: Wie beurteilst Du den bisherigen Einsatz des Video-Assistenten im Profifußball?
Vermutlich mache ich mir jetzt keine Freunde, aber ich finde den Einsatz tatsächlich gut und zielführend. Mich stört es in unserer Fußballgesellschaft enorm, dass wir in 99 Prozent der Fälle ausschließlich über den absolut geringen Prozentsatz der Entscheidungen sprechen, die trotz Video-Assistent schief gehen. Über all die korrigierten richtigen Entscheidungen, die ohne VAR falsch getroffen worden wären, spricht zumeist keiner. Es ist dabei total egal, ob wir über rote Karten, Abseitsentscheidungen oder Strafstöße sprechen.

Der DFB hat nach dem anfänglich etwas holprigen Start wirklich hervorragend gearbeitet und die Arbeit mit dem VAR auf ein sehr hohes Niveau gehoben. Man darf am Ende des Tages aber nicht vergessen, dass absolut niemand davon gesprochen hat, dass es keine Fehler mehr geben wird. Genau diese Erwartungshaltung hat aber leider Gottes der "normale" Fan. Wo Menschen arbeiten, passieren Fehler und so ist es auch beim Videoassistenten. Von Situationen die evtl. sogar zwei Lösungen zulassen und sich damit im Graubereich und dem ermessen des Schiedsrichters auf dem Platz befinden, wollen wir da noch gar nicht sprechen.

Am Ende des Tages würde ich mir einfach ein bisschen mehr Verständnis wünschen und hoffen, dass diejenigen, die kein fachlich fundiertes Wissen zu den Regularien und Abläufen haben, auch nicht zu allererst einmal schlecht darüber sprechen. Aber bekanntlich ist das ja mit allem so im Leben.

– Foto: Robert Geisler

Zur Person:
Tobias Wittmann begann seine Schiedsrichterlaufbahn im Jahr 2010 auf Initiative seines Vaters. Schnell machte sich der groß gewachsene Referee des SV Wendelskirchen durch sein sachliches Auftreten einen guten Namen - erst in der Region um Dingolfing und Landshut, dann in ganz Niederbayern und schließlich weit darüber hinaus. Seit 2018 ist der gebürtige Landshuter, der in Essenbach lebt und im technischen Vertrieb eines Architektur- und Ingenieurbüros arbeitet, als Schiedsrichter in der Regionalliga aktiv. Im vergangenen Jahr schaffte der 25-Jährige als Assistent den Sprung in die 3. Liga und ist seitdem bundesweit in vielen Traditionsspielstätten wie dem Kaiserslauterer "Betzenberg" oder dem Grünwalder Stadion in München im Einsatz. Zudem fungiert Tobias Wittmann auch als Unparteiischer in der U19-Bundesliga.

– Foto: Karl-Heinz Hönl

Aufrufe: 013.3.2021, 11:00 Uhr
Tobias WittenzellnerAutor