2024-05-02T16:12:49.858Z

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Der Kunstrasenplatz in Ailingen wurde erst im vergangenen Jahr aufwendig saniert. Auch er wäre von einem Mikroplastik-Verbot betroffen. Fotos: Hoth
Der Kunstrasenplatz in Ailingen wurde erst im vergangenen Jahr aufwendig saniert. Auch er wäre von einem Mikroplastik-Verbot betroffen. Fotos: Hoth
VR Bank Bodensee-Oberschwaben

Kleines Granulat, großer Wirbel: Die Kunstrasen-Debatte

Weil die EU ein Verbot für Mikroplastik erwägt, befürchten Fußballvereine eine Schließung ihrer Kunstrasenplätze. Im Fokus: das Granulat zwischen den Halmen. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

Ravensburg/Berg/Lindau/Friedrichshafen / - Weil die EU ein Verbot für Mikroplastik erwägt, befürchten Fußballvereine eine Schließung ihrer Kunstrasenplätze. Im Fokus: das Granulat zwischen den Halmen. Die Stadt Lindau hat bereits reagiert und setzt beim Bau ihres neuen Kunstrasenplatzes auf eine Alternative ohne Granulat. Die meisten Städte und Vereine, die bereits Plätze mit Kunststoffgranulat haben, müssen abwarten, was passiert. Die wichtigsten Antworten.

Worum geht es überhaupt?

Die Europäische Kommission will sogenanntes Mikroplastik, kleine Kunststoffteilchen mit einem Durchmesser unter fünf Millimeter, verringern, weil dieses umweltschädlich sei. Die Europäische Chemikalienagentur (ECHA) führt in diesem Zusammenhang öffentliche Befragungen durch, welche Auswirkungen es hätte, wenn weniger Mikroplastikgranulat eingesetzt würde.

Dieses wird unter anderem als Füllmaterial für Kunstrasen auf Fußballplätzen genutzt. Die ECHA geht davon aus, dass jährlich erhebliche Mengen Mikroplastik in den Boden und in Flüsse, Seen und Meere gelangen. Dort werden die Partikel womöglich von Tieren aufgenommen und können somit in die Nahrungskette gelangen. Welche Auswirkungen dies auf die menschliche Gesundheit hat, ist nach Angaben der ECHA noch weitgehend unbekannt.

Wie konkret ist nun ein mögliches Verbot?

Noch nicht sehr. Die Konsultationen der ECHA laufen noch bis zum 20. September, im kommenden Frühjahr werden der Europäischen Kommission die Ergebnisse vorgelegt. Diese erarbeitet dann einen Vorschlag. Über ein mögliches Verbot von Kunststoffgranulat und dessen Ausmaß wird vermutlich im kommenden Jahr in einem Ausschussverfahren unter Einbeziehung der Mitgliedstaaten und des Europäischen Parlaments gefällt. Mit einem Inkrafttreten der neuen Regelung wird frühestens 2021 gerechnet.

Wie sind die Reaktionen darauf?

Sportpolitiker und Verbände bringen sich bereits in Stellung. Bundesinnenminister Horst Seehofer will sich für eine Übergangsfrist von sechs Jahren für bestehende Plätze einsetzen. Der Deutsche Fußball-Bund fordert einen Bestandsschutz. Die EU-Kommission betonte, dass eine Bestimmung auch Übergangszeiten beinhalten könnte. "Wir sind uns bewusst, was für eine wichtige Rolle Sportplätze spielen", sagt eine Sprecherin der EU-Kommission. Ein generelles Verbot von Kunstrasenplätzen sei definitiv nicht geplant.

Wie viele Kunstrasenplätze wären betroffen?

In Baden-Württemberg soll es zwischen 600 und 800 Plätze geben. Deutschlandweit könnten bis zu 13 000 Spielflächen betroffen sein. Dabei bleibt aber offen, auf wie vielen Plätzen Granulat oder bereits anderes Material genutzt wird. In Hamburg werden beispielsweise seit 2010 auf öffentlichen Kunstrasenplätzen keine Gummigranulate mehr verwendet. Stattdessen liegt auf den Plätzen nach Angaben der Innenbehörde Quarzsand.

Wie sieht es in Oberschwaben und am Bodensee aus?

Der Verbandsligist TSV Berg ist für die Pflege seiner Plätze – ein Kunstrasen und ein Rasenspielfeld – selbst zuständig. Im Gegensatz dazu werden die Plätze beim FV Ravensburg von der Stadt gepflegt und unterhalten. In Oberschwaben gehen die Verantwortlichen aber entspannt mit einem möglichen EU-Verbot um. "Wir werden nicht nervös", sagt etwa Daniel Rößler vom TSV Berg.

"Mit unserem Hersteller werden wir im Zweifelsfall sicher eine gute Lösung finden, sollte es zum Verbot kommen." In Berg nutzt man dabei übrigens nicht das schwarze Granulat aus alten Autoreifen (Rößler: "Auch wegen der Hitze und des Geruchs."), sondern ein recyceltes Granulat in Rasenfarbe.

Von den neun Kunstrasenplätzen in Friedrichshafen wären fast alle von dem Mikroplastik-Verbot betroffen – auch die drei neuen Plätze der Sportfreunde, der TSG Ailingen und des TSV Fischbach, die erst im vergangenen Jahr aufwendig saniert wurden.

Somit wäre auch viel Geld verbrannt. Durch Zuschüsse aus Mitteln der Zeppelinstiftung hat die Stadt Friedrichshafen allein in den vergangenen fünf Jahren rund 1,4 Millionen Euro in Kunstrasenplätze investiert, wie die städtische Pressestelle auf SZ-Anfrage mitteilt.

Hinzu kommt das Geld der Vereine, das zuletzt in die Sanierung und Instandhaltung der Plätze geflossen ist. Unklar ist noch, welche Kosten eine Umrüstung der Plätze zu einer umweltfreundlichen Variante mit sich bringen würde. "Hierzu stehen wir in engem Kontakt mit einer Fachfirma und verschiedenen Landschaftsplanern, die uns diesbezüglich beraten", heißt es in der Stellungnahme der Stadt.

Gibt es schon Kunstrasenfelder in der Region ohne Granulat?

Der TSV Schlachters spielt bereits auf einem Feld mit Kork. In Lindau wird derzeit ein neuer Kunstrasenplatz gebaut. Ursprünglich war auch dort ein mit Kunststoffgranulat oder Kork verfülltes System geplant und von den Stadträten genehmigt. Aufgrund der politischen Situation habe man dann aber nach Alternativen gesucht, sagt Jan Wragge, der Fachbereichleiter Stadtgärtnerei in Lindau.

Beim neuen Modell sind die Kunstfasern an sich stärker ausgeführt und übernehmen damit den Dämpfungseffekt komplett. Quarzsand wird nur als Beschwerung der Bahnen eingebracht. "So gilt der Platz als unverfüllt, ist umweltfreundlich und unbedenklich", meint Wragge.

Warum wird überhaupt Mikroplastik als Füllmaterial für Kunstrasen genutzt?

Das Granulat bietet die besten Spieleigenschaften und den höchsten Spielerschutz, sagt Tobias Müller, Pressesprecher des Kunstrasensystemherstellers Polytan. Deswegen würden sich die meisten Vereine für eine Mischung aus Granulat und Sand entscheiden.

Nach Ansicht von Ex-Nationalspieler Michael Rummenigge, Geschäftsführer eines Unternehmens für Kunstrasen-Mini-spielfeldbau, könne das Granulat jedoch problemlos durch Kork ersetzt werden: "Da spürt man keinen Unterschied". Die UEFA dagegen bezeichnete existierende Alternativen als "weder machbar noch nachhaltig" und verwies auf hohe Kosten.

Welche anderen Füllmaterialien gibt es?

Laut Polytan-Sprecher Müller gibt es im Wesentlichen drei Alternativen: eine Mischung aus Sand und Kork, reiner Sand und ein komplett unverfüllter Platz. Dies hätte jedoch Nachteile. Kork sei anfälliger für die Witterung und müsse häufiger nachgefüllt werden.

Auf reinem Sand komme es schneller zu Schürfverletzungen und die unverfüllten Plätze müssten bei großer Dürre gewässert werden, damit sie nicht stumpf werden. Ein mit Kork gefüllter Platz sei nicht wesentlich teurer als einer mit Granulat, sagte Arnd Schade, Geschäftsführer eines Unternehmens für Kunstrasen-Minispielfeldbau. Sand sei sogar billiger und auch unverfüllte Plätze nicht "unbezahlbar".

Wie hoch wären die Kosten für eine Umrüstung?

Wenn lediglich das Füllmaterial abgesaugt und ersetzt wird, kostet eine Umrüstung laut Polytan-Sprecher Müller rund 75 000 Euro. Der Städte- und Gemeindebund schätzt die Kosten für eine Sanierung auf 250 000 Euro, in Einzelfällen auch höher. Bei dieser Summe müsste dann vermutlich der komplette Rasen neu verlegt werden, so Müller.

Ist Mikroplastik auf Kunstrasenplätzen auch gefährlich für den Menschen?

Es bestehen nach Angaben der ECHA von 2017 höchstens geringe gesundheitliche Bedenken beim Spielen auf Kunstrasenplätzen mit Plastikgranulat. Bei der Verwendung von Gummigranulaten in Hallen könnten die freigesetzten flüchtigen organischen Verbindungen jedoch zu einer erhöhten Haut- und Augenreizung führen.

Das Umweltbundesamt vermutet, dass die gesundheitlichen Auswirkungen sehr gering sind. Das Granulat sei zu groß, um vom Körper aufgenommen zu werden. Selbst, wenn es versehentlich verschluckt werde.

Aufrufe: 026.7.2019, 19:38 Uhr
Schwäbische Zeitung / Martin DeckAutor