2024-05-10T08:19:16.237Z

Querpass
Ball im Aus oder Eckball? Was der Schiedrichter aus der Entfernung nicht sehen kann, entscheiden die jungen Spieler selbst. Bilder: Heinz Osten/Fußballkreis Köln
Ball im Aus oder Eckball? Was der Schiedrichter aus der Entfernung nicht sehen kann, entscheiden die jungen Spieler selbst. Bilder: Heinz Osten/Fußballkreis Köln

Kinder entscheiden selbst über Einwurf und Eckball

Ein Pilotprojekt in Köln testet Tauglichkeit einer FairPlayLiga bei den D-Junioren: Kinder helfen als "Entscheidungsträger" auf dem Platz dem Schiedsrichter und erreichen so mehr Fairness.

Köln. Es geht um Fairness, um Eigenverantwortung, um Erziehung. Es geht aber vor allem um Fußball. Auch an diesem Sonntagmorgen in Ostheim. Ein frischer Wind weht um die Platzanlage im rechtsrheinischen Stadtteil. In der D-Junioren-Kreisklasse treffen der SSV Ostheim und die dritte Mannschaft von Vorwärts SpoHo aufeinander. Es ist eines der ersten Spiele, das in diesem Jahrgang nach neuen Regeln ausgetragen wird. Denn im Fußballkreis Köln läuft sein Saisonbeginn in dieser Altersklasse ein deutschlandweites Pilotprojekt: In der Staffel 7 der Kreisklasse werden die Partien nach modifizierten Bestimmungen der FairPlayLiga ausgetragen.

Erfinder dieser Regeln ist Ralf Klohr (Bild unten). Der 51-Jährige ist Mitglied des Arbeitskreises Fairplay des Deutschen Fußball-Bundes, weil er vor fast acht Jahren den entscheidenden Einfall hatte – die Gründung der FairPlayLiga für E- und F-Junioren, also für sechs- bis zehnjährige Kinder. Die Idee dahinter basiert auf drei Säulen:
1. Es gibt keinen Schiedsrichter, die sieben- bis zehnjährigen Fußballer entscheiden also selbst über die Einhaltung der Spielregeln.
2. Die Trainer halten sich mit Anweisungen zurück und unterstützen die Kinder aus einer gemeinsamen Coachingzone. Die Trainer müssen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein.
3. Die Zuschauer und Eltern halten respektvollen Abstand zum Spielfeld, mindestens 15 Meter.




Nicht nur Gewinnen und Verlieren sollen im Mittelpunkt stehen, auch die sozialen Aspekte sollen eine wichtige Rolle spielen. Ziel der FairPlayLiga bei den F-/E-Junioren sei es, die Rahmenbedingungen im Kinderfußball zu beruhigen und alle Beteiligten – Vereine, Trainer und Eltern – für die eigentlich Aufgabe des Kinderfußballs zu sensibilisieren, betont Klohr: „Ich bin fest davon überzeugt, dass Fußball ein geeignetes Mittel zur Erziehung sein kann.“ In weiten Teilen Deutschland hat sich die FairPlayLiga in den untersten Altersklassen längst etabliert. Nun soll sich erweisen, dass das Spiel nach besonderen Fairness-Regeln auch in der nächsten Altersklasse funktioniert.

Deshalb spielen im Fußballkreis Köln inzwischen nicht nur die Kleinsten nach den neuen Vorgaben, sondern auch D-Junioren in einer Staffel – zunächst zum Test. Das Besondere: Es gibt einen Schiedsrichter, und dieser leitet auch das Spiel. Über Einwurf, Eckstoß und Abstoß entscheiden die elf- bis 13-jährigen Spieler jedoch selbst. Der Einfluss von außen soll reduziert werden. „Oft sind die Erwartungen an den Kinderfußball sehr hoch gesteckt. Nicht selten suchen Eltern im Fußball den großen Erfolg für ihre Kinder und sich selbst“, sagt Klohr. „Im Kinderfußball geht es jedoch einzig und allein darum, im spielerischen Miteinander Spaß am Sport und der Bewegung zu vermitteln. Bestrebungen aus der Erwachsenenwelt nach der reinen Ergebnisorientierung und die damit verbundenen Probleme sind hier völlig fehl am Platz.“
Das Spiel in Ostheim leitet der 14-jährige Elmar Shakiba als Unparteiischer ohne Unterstützung von Linienrichtern und ist angetan: „Für mich ist es so viel einfacher, weil es für mich dort außen normalerweise sehr schwer ist, eine Entscheidung zu treffen. Die Spieler sind doch viel näher dran, so ist es besser. Ich merke, dass es insgesamt eine viel fairere Atmosphäre hier gibt.“ Nur wenige Szenen sind kniffelig. „Ich bin dann gefragt worden, wer jetzt den Ball hat. Daraufhin habe ich nur gesagt, dass sie das untereinander klären sollen“, sagt Shakiba. „Das war überhaupt kein Problem und hat super geklappt.“

Das meinen auch die Zaungäste. Denn sie sind alle gekommen, um den Start ins Abenteuer mitzuerleben. Erfinder Klohr mit seiner Frau ist da, Oliver Zeppenfeld als Verantwortlicher des Fußball-Verbands Mittelrhein, Staffelleiter Hans Joachim Schmitz, Schiedsrichteransetzer Kai Köhler und Detlef Winkler, Vorsitzender des Kreisjugend-Ausschusses Köln. „Wir sind sehr zufrieden. Das klappt aber nur, weil hier wirklich alle Instanzen hervorragend zusammenarbeiten“, sagt Klohr stellvertretend für seine Kollegen. „Aber dieser Auftakt war sehr dankbar, weil es zwei extrem faire Mannschaften sind. Wir müssen sehen, wie es funktioniert, wenn die wichtigen Partien in der entscheidenden Phase der Saison auf dem Programm stehen.“

Auch die beiden Trainer sind überzeugt. Simon Kantz als Verantwortlicher von Vorwärts SpoHo begrüßt die neue Regelung sehr: „Die Kinder lernen auf diesem Weg noch schneller, selbst Verantwortung zu übernehmen. Ich als Trainer erziehe sie sowieso immer zu Fairness. So erleben sie es im Meisterschaftsalltag direkt in der Praxis. Das ist sehr wichtig für ihre Entwicklung.“ Dass seine Mannschaft am Ende ziemlich klar verliert, ist ärgerlich, aber doch zweitrangig. Auch in diesem Alter ist der Erfolg wichtig, geht es um Tore, um Punkte. Aber es gibt auch den Erziehungsauftrag. Sein Ostheimer Kollege Burak Akcam kann nur zustimmen: „Ich habe meine Spieler vorher über die Neuerung aufgeklärt. Alle waren sehr interessiert. Wichtig ist jedoch, dass das Spiel dadurch nicht verändert wird. Heute war das definitiv nicht der Fall.“

Beide haben in der Vergangenheit immer wieder Partien erlebt, in denen durch übermotivierte Eltern, die direkt am Spielfeldrand stehen, Hektik und Verunsicherung auf die Spieler übertragen wurde. „Genau das wollen wir dadurch verhindern, dass die Eltern einen gewissen Abstand vom Spielfeld halten sollen“, sagt Klohr. „Wir wollen ihnen nicht den Einfluss auf ihre Kinder nehmen. Aber wir wollen erreichen, dass sich die Kinder auf den Fußball konzentrieren können und nicht immer durch Rufe und Hinweise von außen abgelenkt und womöglich emotionalisiert werden.“

An diesem Sonntagmorgen findet man keine negativen Stimmen zu der Neuerung. Selbst die Eltern sind überzeugt. Klohr hat in der Vergangenheit jedoch auch schon das Gegenteil erlebt. Trotzdem kämpft er für seine Idee, die er als Jugendleiter des SuS Herzogenrath entwickelt hat: „Ich habe mal einen Zeitungsartikel gelesen über einen Spielabbruch im Kinderfußball wegen Zuschauerausschreitungen. Unglaublich!“ Auf der Suche nach einer Lösung ist er auf die Regeln der FairPlayLiga gestoßen. In der Schweiz und in den Niederlanden haben die Verbände nachgezogen. Nun soll der nächste Schritt folgen, der in die Altersklassen oberhalb der E-Junioren Der Fußballkreis Köln will zeigen, dass es funktioniert. Der erste Schritt ist gemacht.

Die Fairness-Regeln in der Pilotstaffel (D-Junioren):

1. Spieler entscheiden selbst über Einwurf, Abstoß oder Eckball. Bei Uneinigkeit tritt der Schiedsrichter als Moderator auf und versucht die Situation gemeinsam mit den Spielern aufzuklären.

2. Die Trainer stehen in einer gemeinsamen Coachingzone und halten sich mit ihren Anweisungen ihren Spielern gegenüber zurück. Eine negative Ansprache an den Schiedsrichter ist tabu.

3. Fans und Eltern halten Abstand zum Spielfeld und befinden sich idealerweise hinter der Spielfeldumrandung. Jegliche direkte Ansprachen an Spieler, Trainer und Schiedsrichter sind unerwünscht.

4. Jeder zeigt Respekt vor jedem.

Aufrufe: 020.11.2013, 12:46 Uhr
Kölner Stadt-Anzeiger/Sven WinterschladenAutor