2024-05-10T08:19:16.237Z

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Da ist das Ding! Henry Mohr und Christian von Berg haben die Punktlandung geschafft. Und auf der Tribüne wird‘s verteilt.	Foto: Bär
Da ist das Ding! Henry Mohr und Christian von Berg haben die Punktlandung geschafft. Und auf der Tribüne wird‘s verteilt. Foto: Bär

Kellergeister für die runde Sache

KREIS GIESSEN: +++ Henry Mohr und Christian von Berg erstellen Buch zu „75 Jahre Fußballkreis“ / Am kleinen Kreisfußballtag wurde es verteilt / 280 Seiten +++

Gießen. Es gibt mehrere Möglichkeiten, sich der größten Hitze zu entziehen: Schattenplatz am Baggersee, Rollladen runter und Ventilator vor die Couch stellen, gut ausgebaute Kellerräume, die ganz gemütlich sind. Das war wohl die Lösung für den Kreisfußballwart. Wenn Uli, Frau von Henry Mohr, ihren Göttergatten in den letzten Wochen suchte, musste sie sich meistens nur Richtung Keller orientieren. Da saß er mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit.

Das Headquarter von Henry Mohr war zunächst in erster Linie dazu da, in unzähligen Videokonferenzen den Spielbetrieb 2019/2020 abzuwickeln, um dann die Saison 2020/2021 auf die Beine zu stellen. Und weil es gerade so angenehm in den Katakomben des Mohrschen Domizils war, blieb er zwischendurch gleich sitzen, um mit Akribie und Leidenschaft an einer Festschrift zu arbeiten, die zu einem Festbuch werden sollte, das nun – „ich bin ganz ehrlich, ich wusste nicht, ob ich es fertig bekomme“ – am Samstag beim kleinen Kreisfußballtag im Waldstadion verteilt werden wird.

Tatsächlich ist es ein Fest von einem Buch geworden. Der Anlass: 75 Jahre Fußballkreis Gießen, der älteste Hessens, dabei immer noch einer jener Kreise, die am besten aufgestellt sind, mit langer Tradition, vielen Erfolgen, aber vor allem breiter Basis, denn – Erfolge hin, Erfolge her –, der ganz große (Profi-)Wurf gehört (noch) nicht zur Historie.

Die Dokumentation in Text und Bildern, wie es im Untertitel heißt, hat den Ehrgeiz des 66-Jährigen auch deshalb so angestachelt, weil die Pandemie verhindert, das Jubiläum würdig (wie geplant) zu begehen. Gerade deshalb sollte das Buch etwas Besonderes werden.

Auch der „Kleine Kreisfußballtag“, traditionell läutet er den Ligabetrieb am Samstag vor dem Rundenstart ein, fand aus bekannten Virengründen in ungewöhnlichem Ambiente statt. Nicht, wie vorgesehen, in der Turnhallengaststätte in Heuchelheim, sondern draußen im Gießener Waldstadion. Aus Abstands- und Freiluftgründen, mit auf der überdachten Tribüne platzierten Vereinsvertretern.

Die wiederum durften sich außer dem üblichen Adressenheft „Fußball aktuell“ („habe ich nebenbei auch noch gemacht“), den Betreuerausweisen und letzten (diesmal sicher diffizilen) Informationen zum Spielgeschehen, eben jene Fußballchronik zu erhalten. Für schlappe 20 Euro pro Verein/Spielgemeinschaft, die auch in den vergangenen Jahren (ohne dickes Buch) stets fällig wurden.

Was haben sie gewerkelt, gesichtet, sortiert, gesammelt und layoutet. Sie, das heißt, Henry Mohr und Gießens versierter Fußball-Historiker und Autor Christian von Berg, der maßgeblich für die umfangreichen Statistiken, aber auch die Texte zuständig war. Deren Grundlage stellt übrigens die fünfteilige Serie „75 Jahre Fußballkreis“ dar, die von Mai bis Juli im Gießener Anzeiger erschienen ist. „Ohne Christian wäre es nicht gegangen“, lobt Mohr seinen engagierten Mitstreiter, mit dem er das Werk vorangetrieben hat. Die beiden waren als Kellergeister im Dienste der runden Sache im Einsatz. Wobei von Berg, der als Autor von „Damals auf dem Waldsportplatz...“ und „Vergessene Siege“ bereits in Erscheinung trat, bei den Mohrschen Bilderwelten sich zwischenzeitlich verabschiedete. „Da bin ich raus“, sagte er zum Kreisfußballwart, der ins gehobene Fotomanagement einstieg. 2500 (!) Fotos galt es zu sichten, zu sortieren und auszuwählen. „Eine Arbeit für jemand, der Vater und Mutter erschlagen hat“, sagt Mohr, wobei das nur die brachial-augenzwinkernde Sicht darauf ist, denn „es hat ja auch mordsmäßig Spaß gemacht.“

Klar, könnte man sagen, denn ein Stück weit war es ja auch selbst gewähltes Schicksal. Durch dutzende Kisten des Archivs beim Anzeiger hat sich Mohr gewühlt, etliche Vereine angespornt, ihm altes Bildmaterial zukommen zulassen, zudem schöpfte er aus dem reichen Fundus seines Mitstreiters von Berg. Ein besonderes Lob lässt Henry Mohr dabei den Sportfreunden Burkhardsfelden, Eintracht Lollar und dem FSV Fernwald zukommen, die „schon tolle Archive haben“. Die Qual der Wahl war folglich vorprogrammiert. Denn auch, wenn von Beginn an das Ziel gewesen sei, „vor allem auf Bilder“ zu setzen, so musste angesichts der schieren Masse kräftig gesiebt werden. Sonst wäre der Band ein Fall für das „Guiness-Buch der Rekorde“.

Denn auch so sind schließlich aus den geplanten 100 bis 120 Seiten deren 280 geworden. Ein echter Prachtband über den heimischen Fußball, bei dem es, so ist Mohr von jeher gestrickt, nicht darum ging, „nur ein paar erfolgreiche Vereine“ unterzubringen, sondern „möglichst viele oder gar alle“ abzubilden.

Vereine, die im Foto nicht auftauchen („einige haben auch auf mehrmalige Aufforderung hin nichts geschickt“) finden sich in den Statistiken wieder, in den Tabellen bis zur C-Liga oder den Kurztexten. Und jeder, der dem Fußball verbunden ist, wird mit Sicherheit Fotos entdecken, mit denen er etwas verbindet. Als Zuschauer, als Freund oder Bekannter der Abgebildeten, als Spieler. Auch findet sich all das, was den Gießener Fußballkreis besonders macht, zwischen den Buchdeckeln: SWG-Kreispokal, Jahresempfänge, besondere Veranstaltungen — aber auch der Frauenfußball, der wird 50 in diesem Jahr oder die Aktivitäten der Trainervereinigung.

Die ganze Bandbreite ist bereits auf dem Cover zu sehen. Von Seeler im Waldstadion bis zu den allerersten Partien nach dem Krieg, als die „Sportfreunde Burckhardsfelden“ (mit ck) von den US-amerikanischen Behörden mit einem Dokument bestätigt, die Genehmigung erhielten, wieder Vereinsfußball spielen zu dürfen.

Henry Mohr hat gemeinsam mit Christian von Berg ein Buch erstellt, das ins Regal und nicht in den Keller gehört. Und leitet es so ein, wie man ihn kennt: Mit einem Foto „nicht in Schlips und Kragen, sondern so wie das Leben ist“. Authentisch grinst der seit 30 Jahren an der Fußballfront aktive Mohr bei seinem Vorwort hinterm Weizenbier hervor. 200 Exemplare, auch von Gönnern mitfinanziert, sind zunächst „auf dem Markt“, danach „schauen wir, wie die Resonanz ist“, sagt der gebürtige Burkhardsfeldener, der auf übliche langatmige Grußworte verzichtet hat. Auch das ein Plus des Buches, das man so loben darf, wie Henry Mohr am Mittwochnachmittag in Wiesbaden von Volker Bouffier Lob erhielt. Und die Verdienstmedaille der Bundesrepublik Deutschland. Das steht zwar nicht im Buch, aber am Samstag im Stadtteil des Gießener Anzeigers.

Aufrufe: 031.8.2020, 08:00 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor