2024-04-25T10:27:22.981Z

Interview
Ralf Klohr setzt sich engagiert für den Kinderfußball ein
Ralf Klohr setzt sich engagiert für den Kinderfußball ein

DFB braucht ein eigenes Ressort für Kinderfußball

Die mögliche Weiterentwicklung der FairPlayLiga in den D-Jugendfußball - Spieler sollen Schiedsrichtern einen Teil der Verantwortung abnehmen

Ralf Klohr ist der Erfinder der FairPlayLiga im Kinderfußball. Er plädiert unter anderem dafür, dass die Spieler den Schiedsrichter unterstützen sollen, indem sie Entscheidungen selbstständig treffen. Seine Ideen wurden inzwischen in mehreren Jugendligen bundesweit zum Erfolgsmodell. Klohr sieht das Projekt damit aber noch nicht abgeschlossen. FuPa hat mit Ralf Klohr gesprochen.

Herr Klohr, zwölf Jahre ist es jetzt her, dass Sie die FairPlayLiga (FPL) im deutschen Kinderfußball ins Leben gerufen haben. Sie sind der Erfinder der FairPlayLiga. Erläutern Sie uns bitte kurz, was die FairplayLiga überhaupt ist.

Ralf Klohr: Die FPL ist eine Spielform für den Kinderfußball, also für Kinder im Alter von vier bis zehn Jahren. Wegen unverhältnismäßiger Erwartungshaltungen an die spielenden Kinder und der daraus erwachsenden Aggressionen rund um das Kinderfußballspielfeld habe ich drei Zusatzregeln entwickelt. Sie minimieren die angesprochenen Aggressionen und ermöglichen den Kindern maximale Freiheit für ihr Spiel. Kurz erklärt bedeutet dies: 1. Die Zuschauer halten einen Mindestabstand (ca. 15 m) zum Spielfeld ein. 2. Die Kinder achten selbst auf die Einhaltung der Spielregeln. 3. Die Trainer begleiten das Spiel aus einer gemeinsamen Coachingzone heraus und greifen nur bei Uneinigkeit der Kinder helfend ein. Diese Herangehensweise ist im Kinderfußball möglich, weil mit vereinfachtem Regelwerk (kein Abseits, keine Rückpassregel) gespielt wird.

Auszeichnungen von höchster Ebene, zuletzt sogar von der UEFA, haben Sie für Ihr Engagement erhalten. Sind Sie zufrieden?

Ralf Klohr: Ich möchte nicht undankbar klingen, aber ich denke konsequent und somit weiter über den Tellerrand hinaus. Die FPL ist ein Anfang. Ziel war es zunächst, den Kinderfußball zu beruhigen und für die Belange der Kinder zu sensibilisieren. Das erste Ziel ist erreicht, die FPL hat sich deutschlandweit etabliert. Das darf allerdings nicht das Ende sein. Aus dieser Sicht heraus bin ich noch nicht zufrieden.

Das müssen Sie uns näher erläutern.

Ralf Klohr: Wie gerade gesagt: Mein erstes Ziel war es, für den Kinderfußball zu sensibilisieren. Ich habe dann versucht, eine Weiterentwicklung in den D-Juniorenfußball einzuleiten. Damit habe ich, trotz vielfältiger Bemühungen, bisher noch keinen Erfolg gehabt.

Was meinen Sie mit Weiterentwicklung?

Raldf Klohr: Um eine folgerichtige Nachhaltigkeit anzustreben, rückt bei der Weiterentwicklung der FPL in den D-Jugendbereich der Schiedsrichter in den Mittelpunkt. Meist ist er frisch ausgebildet und somit noch unerfahren. Oftmals ist er nur unwesentlich älter als die Spieler, deren Begegnung er pfeifen soll. Er soll alleinverantwortlich ein Fußballspiel leiten, bei dem das Regelwerk komplett greift. Kann das gut gehen? Ist er damit nicht überfordert? Meine Beobachtungen zeigen mir, dass er überfordert ist. Genau hier setzt die Weiterentwicklung an.

Meine Auffassung ist, dass dieser unerfahrene junge Schiedsrichter maximale Unterstützung bekommen muss. Ein Großteil dieser Unterstützung können ihm die Spieler gewähren.

Die D-Jugendspieler sollen den Schiedsrichter unterstützen. Wie stellen Sie sich das genau vor?

Ralf Klohr: Betrachten wir zunächst die derzeit gelebte Realität und schauen uns eine Spielsituation an, in der der Ball aufgrund eines Zweikampfes ins Seitenaus geht: Wir kennen alle die Reaktion der beteiligen Spieler, die dann beide ihren Arm in die Höhe heben, um den Einwurf für sich zu reklamieren. Der junge unerfahrene Schiedsrichter muss nun allein eine verbindliche Entscheidung treffen. Allein, da er noch nicht mal Unterstützung von einem Linienrichter hat. Oft kommt es dann wegen der vermeintlichen Fehlentscheidung zu negativen, manchmal sogar zu aggressiven Reaktionen.

Betrachten wir jetzt die Situation neu und fragen uns, welche einfachen Möglichkeiten wir haben, um den jungen Schiedsrichter zu unterstützen: Setzen wir dort an, wo die FPL im Kinderfußball aufhört und weiten gedanklich deren drei Grundsätze auf die D-Jugend aus. Die Trainer- und die Zuschauerregel bleiben möglichst erhalten. Weiterhin bleibt bestehen, dass die Spieler über Seitenaus und Toraus selbstständig entscheiden. Sie haben es in der FPL gelernt und sicher noch nicht vergessen. Entscheiden die Spieler eigenverantwortlich, nehmen sie dem unerfahrenen Schiedsrichter Entscheidungen ab, die er realistisch gesehen allein noch gar nicht richtig treffen kann. Die Spieler nehmen ihm also Verantwortung ab!

Für den Schiedsrichter bleiben die spielrelevanten Szenen übrig. Er entscheidet über Abseits, Hand- und Foulspiel, die Rückpassregel und Tor. Ich denke, das ist schon anspruchsvoll genug für einen unerfahrenen Schiedsrichter.

Viele Experten werden das sicher kritisch sehen. Sie werden Sie fragen, was passiert, wenn sich die Spieler an den Seiten- und Torauslinien nicht einigen können?

Ralf Klohr: Wenn die Spieler keine Einigung finden, kann das Spiel nicht weitergehen. Provokant ausgedrückt ist die Begegnung dann vorbei.

Was bestimmt nicht im Sinne einer Weiterentwicklung ist.

Ralf Klohr: Nein, natürlich nicht. Schauen wir bei der gerade beschriebenen Situation nochmal genauer hin. Meine langjährigen Beobachtungen zeigen mir, dass in 95% der Fälle für die Spieler klar ist, wer als letztes den Ball berührt hat und somit wer Einwurf hat. Die restlichen 5 % können die Spieler mit ihrem guten Willen auch hinbekommen.

Mit ihrem gutem Willen vielleicht. Es wird dennoch Situationen geben, in denen sich die Spieler nicht einig werden. Was passiert dann?

Ralf Klohr: Dann wird es spannend. Der Schiedsrichter geht auf die Spieler zu und bietet ihnen seine Hilfe an. Auf keinen Fall aber wird er eine absolute Entscheidung treffen. Das ist nicht mehr seine Aufgabe. Die Verantwortung muss ganz klar bei den Spielern bleiben. Er geht also auf die Jungs oder Mädchen zu und fragt nach, ob er ihnen helfen kann. Wird sein Angebot bejaht, bietet er an, eine Entscheidung aus seiner Wahrnehmung heraus zu treffen, die dann aber keinesfalls mehr zu kommentieren ist.

Was aber bringt diese neue Herangehensweise der Entwicklung des jungen und unerfahrenen Schiedsrichters?

Ralf Klohr: Er lernt, auf kritische Situationen zuzugehen und sich ihnen anzunehmen, ohne dabei Entscheidungsdruck zu haben. Er lernt zu kommunizieren. Mit einer guten Kommunikation kann er viel Druck aus den kritischen Situationen nehmen und somit aggressive Spannungen vermeiden. Das ist ganz im Sinne der Schiedsrichterausbildung.

Setzen wir mal voraus, dass die Jugendlichen diese Herausforderung annehmen. Bleibt dann nicht das Problem, dass die Vorbildfunktion aus dem Erwachsenen- bzw. Profifußball fehlt. Wie kann man dieser Realität begegnen?

Ralf Klohr: Gar nicht, das werden wir nicht ändern können. Sich daran zu orientieren ist allerdings grundlegend falsch. Schauen wir doch mal, was ganz oben passiert. Da es auf dem Platz nicht funktioniert, sind wir doch schon so weit, dass der Videobeweis benötigt wird. Soll der denn auch bei der D-Jugend eingeführt werden?

Vorbildfunktion fängt für Kinder und Jugendliche im näheren Umfeld an und das bedeutet im Fußball zuerst beim Vereinstrainer und den Vereinsverantwortlichen. Wenn die Vereinsverantwortlichen und die Jugendtrainer gemeinsam in der Lage sind, sich nicht hinter der Vorbildfunktion von oben zu verstecken, sondern sich selbst als Vorbild zu verstehen, wird es einfach sein, eine neue Perspektive auf den Platz zu bekommen.

Dennoch, man hört immer wieder, dass Fußballer der Meinung sind, was der Schiedsrichter nicht sieht, ist erlaubt? Denken Sie, dass die neue Herangehensweise bei Kindern und Jugendlichen diese Sichtweise in eine neue Richtung lenken kann?

Ralf Klohr: Davon bin ich fest überzeugt. Ich vertraue auf die Entwicklungsfähigkeiten der Jugend. Mit einer klaren Richtung und deren Glaubwürdigkeit bin ich mir sehr sicher, dass jugendliche Fußballer solch einfache Entscheidungen selbstständig und ohne ausufernde Aggressionen treffen können. Meiner Meinung nach sind Fußballer nicht blöd. Sie werden allerdings durch das bestehende System fehlgeleitet.

Fehlgeleitet. Was meinen Sie mit damit?

Ralf Klohr: Schauen wir uns auch hier die Realität an und nehmen das Beispiel verbale Aggressionen: Es ist doch so, dass Schiedsrichter sich an die verbalen Entgleisungen von Spielern und dem äußeren Umfeld gewöhnt haben. Es heißt oftmals sogar, dass solche Unverschämtheiten dazu gehören und Schiedsrichter sie aushalten müssen. Wer lässt sich denn gerne beleidigen? Wenn Erwachsene das in Ordnung finden, ist ihnen aus meiner Sicht nicht zu helfen. Bei Jugendlichen darf das unmöglich sein. Wie sollen unter diesen Umständen die jugendlichen Spieler den Respekt lernen und die jugendlichen Schiedsrichter Spaß am Schiedsrichterwesen entwickeln? Hier gilt es von oben eine ganz klare Position einzunehmen und zu handeln.

Ihre Ausführungen hören sich bisher so an, als streben Sie mit der Weiterentwicklung der FPL einen ernsthaften Perspektivenwechsel an.

Ralf Klohr: Ganz genau, der ist auch dringend nötig!

Haben Sie schon mit aktiven Schiedsrichtern bzw. Verantwortlichen der Landesverbände und des DFB darüber gesprochen?

Ralf Klohr: Ja, ich habe mit allen Ebenen gesprochen. Alle verantwortlichen Stellen sind leider der Auffassung, dass Fußballspieler solch ein faires Verhalten nicht selbstständig hinbekommen. Ich teile diese Meinung nicht. Ich verstehe nicht, dass man Fußballer auf solch ein niedriges Niveau reduzieren kann. Ich empfinde solch eine Auffassung als höchst unfair! Ich kann mich nur wiederholen. Es fehlt an einer verbindlichen Richtung, an Glaubwürdigkeit und deshalb an Vertrauen in die Fußballspieler.

Eine gewagte und provokante Aussage.

Ralf Klohr: Eine wahre Aussage! Der DFB - und das ist immerhin unser verantwortlicher Dachverband - gibt keine klar erkennbare ernsthafte Richtung vor und somit kann sie nach unten nicht gelebt werden. Jedes System entfaltet sich nun mal nur so gut, wie sein Input ist und seine Schnittstellen funktionieren.

Herr Klohr, Sie wollen es besser machen. Sie haben auf Wunsch des Kicker Sportmagazins einen 5 Punkteplan für den Kinderfußball entwickelt. Wie hat der DFB darauf reagiert?

Ralf Klohr: Gar nicht, das habe ich nach meinen bisherigen Erfahrungen auch nicht erwartet. Betrachten wir doch auch hier mal die Realität: Der DFB versucht momentan, neue Spielformen (Funino, Minifußball) einzuführen. Er nennt es sogar eine Neuausrichtung im Kinderfußball. Der Aufschrei an der Basis ist in dieser Sache sehr groß. Das ist nur ein Grund, warum ich sage, dass der DFB noch nie eine Ausrichtung im Kinderfußball hatte und dringend ein eigenes Ressort für den Kinderfußball benötigt. Wie sollen sich neue Spielformen etablieren, wenn nicht mal eine grundsätzliche Struktur existiert, geschweige denn eine verbindliche Richtung.

Was stimmt denn nicht beim DFB?

Ralf Klohr: Die Eigenwahrnehmung und Kommunikation bezüglich Kinderfußball sind einfach nur schlecht!

Diese Feststellung wird den Verbands- und DFB-Oberen bestimmt nicht gefallen.

Ralf Klohr: Es geht nicht darum, dass meine Feststellung jemandem gefällt. Mir geht es um elementare Aufgaben, die der Fußball mit einfachen Mitteln leisten kann. Es geht um Kinder und Jugendliche. Es geht um deren Entwicklung aus fußballerischer Sicht und selbstverständlich auch für die Gesellschaft.

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Aufrufe: 016.5.2019, 11:00 Uhr
kel/FuPa-RedaktionAutor