Von morgens nach dem Aufstehen an ist das Hörgerät Leon Grätz jeden Tag ein treuer Begleiter. Nur zum Schlafen und Duschen nimmt er die beiden bogenförmigen Schläuche, die sich um seine beiden Ohren schmiegen, ab. Leon leidet seit seiner Geburt an einem mittelgradigen Hörverlust, ohne sein Hilfsmittel hört der Zwölfjährige nur sehr schlecht. Mit Gerät nimmt er bei optimalen Bedingungen Geräusche zwar gedämpft, aber annähernd normal wahr. Sobald aber jemand leise spricht oder Leute durcheinanderreden, wird es schwer für ihn. Auch prasselnder Regen oder ein vorbeirauschendes Flugzeug stören. „In der Klasse sind die Mitschüler teilweise sehr laut“, erzählt Leon.
„Deswegen sitze ich ganz vorne, damit ich möglichst viel verstehe.“ Viel Freizeit hat er an den meisten Tagen aufgrund seiner Beeinträchtigung nicht: Wenn er um fünf Uhr aus der Ganztagsschule kommt, stehen am Abend noch Therapiestunden beim Logopäden und Termine beim Akustiker oder Hals-Nasen-OhrenArzt an. Weil Mediziner seinen Hörverlust erst im Alter von vier Jahren endgültig diagnostizierten, war Leons Sprachfähigkeit damals nur schwach ausgeprägt. Für die Schule muss er oft noch Stoff nacharbeiten, trotz des Hörgeräts hat er teilweise Verständnisprobleme.
Seine große Leidenschaft ist Fußball, auf dem Bolzplatz und dem Pausenhof jagt er regelmäßig dem Ball hinterher. Seit einem Jahr spielt er zudem bei der JFG Nördlicher Landkreis Fürth im Sturm und schießt wie sein Vorbild Thomas Müller Tore am laufenden Band. Diese Jugendfördergemeinschaft (JFG) ist ein Zusammenschluss der Vereine aus Tuchenbach, Puschendorf, Veitsbronn und Obermichelbach.
„Ich freue mich einfach, wenn ich der Mannschaft helfen kann“, erklärt Leon abgeklärt im Stile eines Bundesligaprofis. Irgendwann will auch er in der höchsten deutschen Spielklasse auflaufen.
Die Verständigung auf dem Feld ist für ihn nicht immer einfach. „Wenn alle durcheinander schreien oder der Trainer mir eine neue Taktik zuruft, habe ich Probleme, alles zu verstehen.“ Doch eine sogenannte FM-Anlage hilft: Über einen Sender bekommt Leon die Anweisungen des Trainers direkt auf sein Hörgerät.
Vor kurzem hat er bereits ein wenig Bundesliga-Luft geschnuppert: In einem internationalen Fußballcamp für Kinder mit Hörverlust trainierte er mit 19 anderen Hobby-Kickern drei Tage lang unter Top-Bedingungen. Organisator war Nachwuchsprofi Simon Ollert vom FC Ingolstadt II; der 19-Jährige ist selbst gehörlos und stellte den Lehrgang mit einem Hörgeräte- Hersteller im oberbayerischen Ettal auf die Beine.
„Die Kinder dort hatten alle die gleichen Probleme, wenn jemand mal etwas nicht verstanden hat, gab es einfach mehr Verständnis als sonst“, berichtet Leons Mutter Andrea, die ebenfalls mit vor Ort war. „Das war Urlaub für die Seele.“ Am Ende des Camps stand ein Turnier mit anderen Jugendmannschaften an. „Wir waren wohl die erste Mannschaft, die nur aus Schwerhörigen besteht“, berichtet Leon stolz. „Wir haben Geschichte geschrieben.“ Der angehende Profi Ollert gab den Camp-Teilnehmern viele motivierende Tipps mit auf den Weg. „Wir sollen zum Beispiel bei einem Gegentor nicht den Kopf hängen lassen, sondern einfach weitermachen“, erzählt Leon. Mit Rückschlägen und Hindernissen umgehen lernen und positiv denken – eine Einstellung, die Leon auch außerhalb des Feldes umzusetzen versucht.