2024-04-25T10:27:22.981Z

Allgemeines
Wer es nicht weiß, dem fällt es bei dieser Schusstechnik nicht auf, dass Leon (in grauem Trikot) einen Nachteil gegenüber seinen Mitspielern hat. Sein Vorbild steht hinter ihm: Simon Ollert vom FC Ingolstadt II. F: privat
Wer es nicht weiß, dem fällt es bei dieser Schusstechnik nicht auf, dass Leon (in grauem Trikot) einen Nachteil gegenüber seinen Mitspielern hat. Sein Vorbild steht hinter ihm: Simon Ollert vom FC Ingolstadt II. F: privat

Fußball im Kopf mit einem Knopf im Ohr

Der zwölfjährige Leon Grätz aus Tuchenbach kickt mit Hörgerät bei der JFG Nördlicher Landkreis

Fußballspielen mit Hörverlust – für den zwölfjährigen Leon aus Tuchenbach stellt seine Beeinträchtigung kein Hin­dernis dar. Trotz seiner Abhängigkeit vom Hörgerät träumt er von der großen Karriere.

Von morgens nach dem Aufstehen an ist das Hörgerät Leon Grätz jeden Tag ein treuer Begleiter. Nur zum Schlafen und Duschen nimmt er die beiden bogenförmigen Schläuche, die sich um seine beiden Ohren schmiegen, ab. Leon leidet seit seiner Geburt an einem mittelgradi­gen Hörverlust, ohne sein Hilfsmittel hört der Zwölfjährige nur sehr schlecht. Mit Gerät nimmt er bei opti­malen Bedingungen Geräusche zwar gedämpft, aber annähernd normal wahr. Sobald aber jemand leise spricht oder Leute durcheinanderre­den, wird es schwer für ihn. Auch pras­selnder Regen oder ein vorbeirau­schendes Flugzeug stören. „In der Klasse sind die Mitschüler teilweise sehr laut“, erzählt Leon.

„Deswegen sitze ich ganz vorne, damit ich mög­lichst viel verstehe.“ Viel Freizeit hat er an den meisten Tagen aufgrund seiner Beeinträchti­gung nicht: Wenn er um fünf Uhr aus der Ganztagsschule kommt, stehen am Abend noch Therapiestunden beim Logopäden und Termine beim Akustiker oder Hals-Nasen-Ohren­Arzt an. Weil Mediziner seinen Hör­verlust erst im Alter von vier Jahren endgültig diagnostizierten, war Leons Sprachfähigkeit damals nur schwach ausgeprägt. Für die Schule muss er oft noch Stoff nacharbeiten, trotz des Hörgeräts hat er teilweise Verständ­nisprobleme.

Seine große Leidenschaft ist Fuß­ball, auf dem Bolzplatz und dem Pau­senhof jagt er regelmäßig dem Ball hinterher. Seit einem Jahr spielt er zudem bei der JFG Nördlicher Land­kreis Fürth im Sturm und schießt wie sein Vorbild Thomas Müller Tore am laufenden Band. Diese Jugendfördergemeinschaft (JFG) ist ein Zusammenschluss der Vereine aus Tuchenbach, Puschen­dorf, Veitsbronn und Obermichel­bach.

„Ich freue mich einfach, wenn ich der Mannschaft helfen kann“, erklärt Leon abgeklärt im Stile eines Bundes­ligaprofis. Irgendwann will auch er in der höchsten deutschen Spielklasse auflaufen.

Die Verständigung auf dem Feld ist für ihn nicht immer einfach. „Wenn alle durcheinander schreien oder der Trainer mir eine neue Taktik zuruft, habe ich Probleme, alles zu verste­hen.“ Doch eine sogenannte FM-Anlage hilft: Über einen Sender bekommt Leon die Anweisungen des Trainers direkt auf sein Hörgerät.

Vor kurzem hat er bereits ein wenig Bundesliga-Luft geschnuppert: In einem internationalen Fußballcamp für Kinder mit Hörverlust trainierte er mit 19 anderen Hobby-Kickern drei Tage lang unter Top-Bedingun­gen. Organisator war Nachwuchspro­fi Simon Ollert vom FC Ingolstadt II; der 19-Jährige ist selbst gehörlos und stellte den Lehrgang mit einem Hörge­räte- Hersteller im oberbayerischen Ettal auf die Beine.

„Die Kinder dort hatten alle die glei­chen Probleme, wenn jemand mal etwas nicht verstanden hat, gab es ein­fach mehr Verständnis als sonst“, berichtet Leons Mutter Andrea, die ebenfalls mit vor Ort war. „Das war Urlaub für die Seele.“ Am Ende des Camps stand ein Tur­nier mit anderen Jugendmannschaf­ten an. „Wir waren wohl die erste Mannschaft, die nur aus Schwerhöri­gen besteht“, berichtet Leon stolz. „Wir haben Geschichte geschrieben.“ Der angehende Profi Ollert gab den Camp-Teilnehmern viele motivieren­de Tipps mit auf den Weg. „Wir sollen zum Beispiel bei einem Gegentor nicht den Kopf hängen lassen, son­dern einfach weitermachen“, erzählt Leon. Mit Rückschlägen und Hinder­nissen umgehen lernen und positiv denken – eine Einstellung, die Leon auch außerhalb des Feldes umzuset­zen versucht.

Aufrufe: 08.9.2016, 09:47 Uhr
Jonathan Lyne (Fürther Nachrichten)Autor