2024-05-02T16:12:49.858Z

EM2016
Urlaubsstimmung für Fußballfans in Nizza: Die Fanzone befindet sich hier direkt am Strand.  Foto: Nils Salecker
Urlaubsstimmung für Fußballfans in Nizza: Die Fanzone befindet sich hier direkt am Strand. Foto: Nils Salecker

In Nizza bleibt die Leinwand schwarz

EURO 2016 +++ FuPa-Reporter zieht ernüchterndes Fazit der Fußball-Atmosphäre +++ Deutschlands Halbfinalspielort Marseille ist einer der wenigen Stimmungstiegel

PARIS. Blau, Weiß, Rot. Diese Farben zu sehen, hatte FuPa-Reporter Nils Salecker öfter erwartet. Drei Wochen lang war er bei der Europameisterschaft in Frankreich unterwegs. Die Bilanz zur Stimmung sieht ernüchtert aus, vielleicht wird das Halbfinale in Marseille eine späte Initialzündung.

Blaue Trikots auf den Straßen sind beinahe Unikate. Das irische sowie nordirische Grün sichtet man um ein Vielfaches häufiger. Ebenfalls französische Flaggen an Balkonen und Fenstern oder Fahnen an Autos gibt es so gut wie überhaupt keine.

Wenn nicht die von offizieller Seite an Straßenlaternen aufgehangenen UEFA-Euro2016-Banner und in einigen Bars und Restaurants Wimpel mit europäischen Länderflaggen hingen, man könnte meinen, die EM fände woanders statt. Warum ist das so, ist die Frage, die wir uns, vor allem in der Hauptstadt Paris, immer wieder stellen.

Theorie eins: In Frankreich mag man Fußball nicht. Nein, das ist auf keinen Fall möglich. Dafür treffen wir auf unserem Trip privat viel zu viele fußballverrückte Franzosen.

Theorie zwei: Public Viewing ist weniger verbreitet als in Deutschland. Ein Großteil der Franzosen bevorzugt die Spiele daheim im stillen Kämmerchen zu schauen, also im kleineren Kreis zu zelebrieren. Dies mag schon eher stimmen. Die Fanzones, wie z.B. im südfranzösischen Toulouse, sind eher spärlich besucht. Der 30-Jährige Alexandre bestätigt uns die Annahme zusätzlich: Zwar guckt er jede einzelne EM-Partie, bevorzugt aber die Berichtserstattung per heimischen Pay-TV-Channel gegenüber dem Gemeinschaftserlebnis draußen: „Lieber gemütlich“, begründet er.

Bei dem Mittdreißiger kommen wir in Le Havre unter. An der Ärmelkanal-Stadt in der Normandie, gut zwei Autostunden von Paris entfernt, scheint der Event indes komplett vorbeizulaufen. Eine Location, in der wir uns das zu der Zeit stattfindende 3:0 Belgiens gegen Irland angucken können, suchen wir fast vergebens, werden erst nach 30 müßigen Minuten im Irish Pub fündig – bezeichnend. Vom Phänomen Public Viewing, das in Deutschland mittlerweile in gefühlt jedem Dorf existiert, ganz zu schweigen.

Theorie drei: Das Novum Terrorgefahr, allseits in Form erhöhter Polizei- und Militärpräsenz in den Spielstädten gegenwärtig, bei einem großen Fußball-Turnier drückt die Stimmung, massentaugliche Orte werden gemieden, die Symbolfarben deshalb kaum zur Schau gestellt.

Theorie vier: Der Versöhnungsprozess zwischen der „Équipe“, deren Spieler bei der WM 2010 in Südafrika teilweise gegen Trainer und Verband revoltierten, dauert noch an.

All das ist reine Spekulation. Offenkundig bleibt, dass in Frankreich derzeit mit den Nationalfarben kaum jemand hausieren geht.

Für eine mögliche Feier-Atmosphäre zudem eher kontraproduktiv ist die Wahl eines Städtchens wie Lens als Austragungsort: Die lediglich etwa 30.000 Einwohner zählende, zwischen Lille und Paris eingeklemmte Stadt ist nicht sonderlich attraktiv: In nicht einmal fünf Minuten hat man hier die Innenstadt zu Fuß durchquert, vorbei am Gros der Bars, Restaurants und der winzigen Fanzone. Mit Montpellier, Straßburg, Toulon, Rennes usw. wäre uns auf Anhieb eine Reihe größerer und reizvollerer französischer Spielstätten in den Sinn gekommen.

Zu denen gehören mit Sicherheit Nizza und Marseille. Nizza, ohnehin Multikulti-City mit ansässigen Spaniern, Italienern oder Portugiesen, ist während der Sommermonate sowieso absoluter Stimmungstiegel mit langen Nächten, vor allem am Strand, aber auch in den Clubs. „Eine gute Zeit ist das im Moment, fast schon zu viel“, schildert Estefania, in deren WG wir drei Nächte verbringen, angesichts des parallel zur Euro in Nizza stattfindenden „Fête de la musique“. Die EM, der Fußball und der Erfolg des Nationalteams bilden hierauf das Sahnehäubchen. Doch auch dieses schmeckt etwas ranzig: Uns kommt zu Ohren, dass die offizielle Fanzone hier während Spielen, die nicht in der Stadt an der Côte d’Azur selbst stattfinden, geschlossen hat. Kaum zu glauben, ist dies dann tatsächlich so: Das Achtelfinale Portugal-Kroatien verbringen wir in einer Bar nebenan, mit Blick auf die schwarze Fläche der überdimensionalen Leinwand – ein wirklich seltsames Szenario.



Im Stade Vélodrome in Marseille steigt am Donnerstag der Halbfinal-Kracher zwischen Frankreich und Deutschland. Unser FuPa-Reporter Nils Salecker ist vor Ort. Foto: N. Salecker.

In Marseille steht selbige wohl so schön gelegen wie nirgendwo anders während der Euro: direkt am Strand. Bei herrlich-warmem Sommerwetter herrscht im Fanareal dementsprechend stets hoher Betrieb, viele kommen zum Planschen. Jedoch sticht die zweitgrößte Metropole des Landes nicht nur aufgrund ihres Klimas hervor. Die Kulturhauptstadt Europas 2013 hat in den vergangenen Jahren in ihrem Zentrum ein schickes Facelifting erhalten. Vorrangig das Gebiet um den „Alten Hafen“ und entlang der Strandpromenade macht optisch einiges her. Dieses bildet den Hauptmagneten für die aus den Teilnehmernationen angereisten Fans. Im Gegensatz zu Paris, wo das Fanaufkommen aufgrund der schier unendlichen Weiten außerhalb der Fanzone stark auseinanderdriftet, treffen die Anhänger hier stark komprimiert aufeinander.

Folglich schaukelt sich die Stimmung schnell hoch. Im Falle Russlands und Englands in der Vorrunde äußerst negativ, bei Polen-Portugal zuletzt gegenteilig merklich euphorisch. Eine Symbiose aus Urlaubsstimmung und Fußballfreude, die im Rahmen des Halbfinales am Donnerstag dort auch der Deutsche Anhang spüren wird. Genau wie den durch das 5:2 gegen Island, das erste wirklich überzeugende Auftreten von Pogba und Co,. am Montag langsam entfachten französischen Fußball-Enthusiasmus, der mit einem Sieg gegen Deutschland mitunter weiter befeuert werden dürfte. Wodurch das landesweit bislang eher verhaltene Treiben schlussendlich doch noch wie erwartet in einem blau-weiß-roten Fahnenmeer münden könnte.

Aufrufe: 06.7.2016, 16:30 Uhr
Nils SaleckerAutor