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"Ich wollte nicht wahrhaben, dass ich schwul bin"

Steven Becker hat sein Coming-out bei Bundeswehr und im Fußballverein als Befreiung erlebt +++ 17. Mai ist der Tag gegen Homophobie

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Auf den Augenblick der Befreiung hat Steven Becker lange gewartet. Viele Jahre, qualvolle Jahre. Gefangen von seiner eigenen Angst und inneren Unruhe. Ohne erkennbaren Ausweg. „Ich war kurz davor, mir das Leben zu nehmen, hätte es fast nicht mehr ausgehalten“, sagt Becker. Heute spricht der 34-Jährige mit starker Stimme über eine Zeit, in der er sich schwach fühlte. Die Zeit vor der Befreiung, dem Coming-out.

Freundin als Alibi

„Als ich 15 Jahre alt war, kamen erstmals diese Gefühle. Aber ich wollte einfach nicht wahrhaben, dass ich schwul bin.“ Mit 20 Jahren war seine gleichgeschlechtliche Neigung ausgeprägt, trotzdem führte Becker Beziehungen mit Frauen, als Alibi, zum Selbstschutz.


„Ich hatte unglaubliche Angst, mich als homosexuell zu outen, denn ich hatte gerade beim Bund angefangen, und da schien mir das besonders heikel.“ Außerdem hatte sich Beckers Schwester bereits als lesbisch geoutet: „Wie sieht denn das aus, wenn jetzt auch noch der Bruder schwul ist, habe ich mir gedacht.“

Heimlich las der Zeitsoldat in Internetforen, tauschte sich mit anderen Schwulen aus, suchte Rat und Hilfe. Die innere Unruhe und der Druck blieben, in ihm brodelte es. „Meine Leistung ging bergab, sowohl auf der Arbeit als auch beim Sport. Oft fehlte die Konzentration. Ich war einfach körperlich total platt und im Kopf ganz leer. So stelle ich mir ein Burnout vor.“

Das Bekenntnis kam ganz spontan

Plötzlich wirkt Becker ganz weit weg. Er schaut auf den Boden und sagt leise: „So ging es bestimmt auch Robert Enke.“ Im November 2009 hatte sich der Nationaltorwart wegen Depressionen das Leben genommen. Auch Becker war depressiv, stand kurz vor dem Suizid. Seine Rettung war ein Riss in der Fassade: ein Spalt, ein Ausweg. Steven Becker vertraute seinem besten Kumpel seit Kindertagen an, was er so lange geheim gehalten hatte. „Der hat so super reagiert und gesagt, dass sich für ihn dadurch nichts ändert. Das hat mich motiviert, es publik zu machen.“

Der Rahmen ist kurios, das Coming-out im September 2009 spontan. 1:1 endet das Derby gegen Germania Eich. Spieler und Fans sind frustriert, der Trainer schmeißt hin. Und dann ist auch noch Markt, das große Volksfest im Ort. „Das war echt witzig. An diesem Tag ging alles drunter und drüber. Da dachte ich mir: jetzt oder nie.“ Noch am Spielfeldrand erklärt er sich den Eltern. „Meine Mutter hat sofort gesagt: ,Ich hab es schon immer gewusst‘ und mein Vater rief: ,Darauf trinken wir jetzt erstmal ein Bier.‘“ Auch das Vereinsumfeld reagiert unaufgeregt. „Die Leute standen in Grüppchen rum, ich bin überall hin und habe mich geoutet. Einige meinten, ich wolle sie verarschen, sonst waren alle super locker und freundlich.“

Beckers damalige Partnerin fiel freilich aus allen Wolken. „Sie war arbeiten und erfuhr es, noch bevor ich mit ihr sprechen konnte, von jemand anderem.“ Die Nachricht verbreitete sich im 2200-Seelen-Ort wie ein Lauffeuer. Auch bei den Gegnern sprach sich schnell herum, dass bei Rheingold Hamm ein Schwuler im Tor steht. Dumme Sprüche oder Anfeindungen? Fehlanzeige. Das überraschte auch Becker, der mittlerweile bei den Alten Herren kickt. „Alles lief total unkompliziert. Ich hab auch meine Jungs gefragt, ob es okay ist, wenn ich weiterhin mit ihnen dusche. Die haben sofort bejaht und waren fast gekränkt, dass ich das überhaupt frage.“

Ist das Coming-out von Hitzlsperger ein Vorbild?

Rund fünf Prozent aller Amateur-Kicker seien schwul, hat Steven Becker in Internet-Foren gelesen, doch kaum einer macht das öffentlich. „Die Angst dominiert. Drei Fußballer aus Bayern hatten sich geoutet und mussten wegen Mobbings ihren Klub verlassen.“ Becker hielte es für äußerst hilfreich, wenn sich nach dem ehemaligen Fußball-Nationalspieler Thomas Hitzlsperger mal ein aktiver Profi outen würde. „Das könnte ein echtes Vorbild sein.“

So wie Steven Becker bei der Bundeswehr. „Die ersten Wochen nach dem Coming-out waren schwierig, aber dann haben sich alle daran gewöhnt. Blöde Sprüche gab es höchstens von Leuten, die mich gar nicht kannten.“ Becker wurde zum Vorreiter, kurz nach ihm machten Kameraden aus anderen Kompanien ihre Homosexualität öffentlich. „Dann kam sogar eine Studentin nach Speyer in unsere Kaserne und hat uns für eine wissenschaftliche Arbeit befragt.“ Aufklärung und Öffentlichkeit hält Becker längst für den richtigen Weg. „Ich bereue, dass ich mich erst mit 29 geoutet habe, denn es war ein großartiges Gefühl.“ Seine Augen leuchten, immer wenn er davon spricht. Von seinem Augenblick der Befreiung.

Aufrufe: 017.5.2014, 09:42 Uhr
Olaf StreubigAutor