2024-05-02T16:12:49.858Z

Kommentar
SV Buchholz -DJK SW Neukölln (3:2). Foto: Screenshot YouTube
SV Buchholz -DJK SW Neukölln (3:2). Foto: Screenshot YouTube

"Ich leugne bald, dass Du mein Sohn bist!"

Ein ganz normaler Sportnachmittag in Berlin

Wie sangen schon die Ohrbooten: „Morgens piept der Wecker, dit is ne Maschine!“. Meiner klingelte nach Vorabend mit Verlängerung und Elfmeterschießen im Kiez gemütlich um 10.00 Uhr. Sportlerfrühstück mit Pulle Wasser und 'nem Stück Käse. Ein langer Tag wartet auf mich.

10.45 Uhr knallen mein Mitbewohner und ich die Haustür zu. Mein roter Baron (ein edles altes Diamant-Rad) wartet schon auf mich in alter „Night-Rider-Manier“. Meiner heißt aber „Schorsch“, angelehnt an den Film „Go Trabi Go“. Es geht zunächst ans Ehrenmal.

Ist er jetzt verrückt geworden? Kultur, Geschichte, ja sogar Bildung am Samstagmorgen? Beruhigt Euch Freunde, „Am Ehrenmal“ in Pankow ist ne Sportstätte. Auf dem Weg 'ne Mate geholt, fahre ich durch das Tor des Sportplatzes ein. Es riecht nach frischer Wiese. Leicht feucht, optimales Wetter für einen netten Kick.

Die 1.E-Junioren meines Ex-Vereins spielt bei Einheit zu Pankow. Nettes Gespräche, Nachwuchsfußball, viele Tore, was will man mehr. Nach dem Spiel wartet schon die nächste Partie. Die bekloppten Hopper aus Lichtenberg haben eingeladen nach Buchholz, jaaaaaa nach Buchholz. Ich freute mich auf eine idyllische Anfahrt mit dem Rad. Es ging durch die Einfamilienhaus-Siedlungen Pankows, durch beschauliche Gassen, vorbei an großen Hunden, kleinen Schnecken und vielen vielen anderen Radfahrern. Welt, du bist schön. Aus den Kopfhörern schallen die Peppers. Wenn man da so entlang galoppiert fragt man sich schon, warum Mocca Crema, 24h geöffneter Kaisers und Bio-Eis unbedingt sein müssen. Wie wäre es mit Rasenmähen, Holzkohlegrill und Schneeschüppen?

In Buchholz angekommen parke ich den Night-Rider ein. Ein kühles Blondes erworben und auf der kleinen Tribüne, also auf der kalten ca. 50cm hohen Erhöhung neben dem Geläuf, Platz genommen. Um mich herum ungefähr ein Zuschauer. Der Lichtenberger Wandertross auch noch nicht da. Zack ins Netz geschaut, ich bin 45 Minuten zu früh! Buchholzer Fußball beginnt seit dem Krieg um 14.00 Uhr. Natürlich aber nicht, wenn ich dort zuschaue. Also Zeit vertrieben mit dem Vorspiel der B-Junioren. Laut Duden ist ein Vorspiel „ein einem Bühnenwerk vorangestelltes kleines Spiel, eine einleitende Szene“. Die Realität sieht anders aus. Wenig Fußball, viel Gelaber.

Dann endlich trampeln die Lichtenberger pünktlich zum Anpfiff herein. Buchholz im Pokal vs. DJK SW Neukölln. Schwere Kost möchte man meinen, aber das Spiel entwickelt sich prächtig. Gerade Fraktion Schmoldt legt ordentlich los. Eine Großfamilie des Berliner Fußballs. Mit drei von ihnen habe ich zusammen gespielt, vier weitere sind mir bekannt. Schon enorm.

Eine riesige Attraktion sind wieder einmal beide Trainer. DJK Neukölln mit kräftigem Schnurbart und hellhöriger Stimme vs. Buchholzer Norddeutschlegende Rohde mit Dauersupport. Da hätte es die neun Buchholzer Ultras nicht gebraucht. Zensierte Auszüge der Redebeiträge: „Da krieg ick ja Kackreiz, ey!“ „Ich leugne bald, dass du mein Sohn bist!“ „Ein Schauspieler ist das!“ Ja, es ist herrlich. So fröhliche Menschen an einem Samstagnachmittag betrachten zu können ist eine Wonne.

Häufig fällt das Wort „organisieren“ aus dem Munde von Trainer Rohde. Er ist also scheinbar Leiter einer elfköpfigen Eventagentur, deren Auftrag es ist, Feste für die anwesenden Schaulustigen anzubieten, durchzuführen und nachzubereiten. Für die Nachbereitung kam das Buchholzer Bockbierfest am Sportplatz gerade recht. Eisbein mit Sauerkraut für 4,50 Euro, das kann sich sehen lassen. Buchholz gewinnt, also Auftrag erfüllt. 20 Minuten vor Ende war Schluss für mich. Tschüss gesagt und ab aufs Rad. Ziel war der Jahn-Sportpark.


Dort stand der „German Bowl“ an. Meine Fresse, wat ne Aufmachung. Reizüberflutung vom allerfeinsten. Nackte dünne Beine, dicke eingepackte Beine, hübsche lächelnde Frauen, Terrorgesichter in Sportklamotten, Pompons, riesige Getränkebehälter, gefühlte 200 Spieler und Trainer, laute Mucke, völlig übermotivierte Terrier mit Helmen. Wichtig nur, dass nicht so viele Fußballspiele auf dem Rasen stattfinden dürfen. Nachher geht da noch was kaputt.

ABER RIESIGE MASCHINEN KÖNNEN DA WILDE SAU SPIELEN UND DAS DING UMPFLÜGEN?

Einer meiner ganz normalen Samstage. Das ist doch Kultur. Das ist vergleichbar mit dem schiefen Turm von Pisa, mit dem Brandenburger Tor, mit der chinesischen Mauer. Nur halt in echt und ohne anstehen. Der Tag kostete mich ca. 20,00 Euro für Fraß, Suff und Regie. Dafür bekommst du maximal 'ne Postkarte von den oben genannten Attraktionen.

Nein, ich bleibe dabei: Pöblertum statt kulturellem Ruhm!

Wer Peter Rohde noch nicht kennt, dem sei das hier empfohlen:

Aufrufe: 017.10.2014, 19:31 Uhr
HB (ABHB)Autor