2024-04-19T07:32:36.736Z

Allgemeines
Bald Fußballprofi? Der 17-jährige Hossein Atai. Foto: Privat.
Bald Fußballprofi? Der 17-jährige Hossein Atai. Foto: Privat.

Hosseins Traum vom Unmöglichen

Biebrich 02: Nach seiner Flucht aus dem Iran will der 17-jährige in Deutschland Fußballprofi werden

Verlinkte Inhalte

Wiesbaden. Wenn irgendjemand Hossein Atai heute Abend einen Profivertrag bei einem Fußball-Bundesligisten unter den Tannenbaum legen würde – er würde ihn womöglich nicht annehmen. Und das, obwohl es sein größter Wunsch ist, Profifußballer zu werden, sein Lebensziel. Das allein unterscheidet den 17-jährigen gebürtigen Afghanen vermutlich kaum von den meisten seiner männlichen Altersgenossen. Seine Geschichte und sein unbändiger Wille, mit dem sich diesen Traum selbst verwirklichen will, allerdings schon.

„Ich will Fußballprofi hier in Deutschland werden. Das ist nahezu unmöglich. Und genau das liebe ich“, sagt Hossein und vergleicht sein Vorhaben mit seiner Flucht aus dem Iran. Dort ist er geboren und aufgewachsen, seine Eltern sind vor 30 Jahren vor dem Krieg aus Afghanistan in das Nachbarland geflohen. Millionen Fußballer wollten Profis werden, den wenigstens gelinge es, sagt Hossein. Genauso wie Millionen Menschen versuchen aus ihrer Heimat nach Deutschland zu fliehen. Der junge Afghane ist ihnen auf seiner Flucht begegnet. Viele haben irgendwann aufgegeben, erzählt er. Hossein nicht. „Ich habe immer weiter gemacht, gedacht, ich schaffe das noch. Und jetzt habe ich all das hier in Deutschland.“ Der 17-Jährige mit dem ernsten Gesicht, über das immer wieder ein verschmitztes Lächeln huscht, breitet die Arme aus. Er meint damit weder das Handy in seiner Hand noch die Uhr an seinem Arm. Er meint die Rechte, die er hat, „dass ich meine Meinung sagen kann“ und die Schule, die er in Eberstadt besucht.

Im Iran war all das undenkbar. Eine Schule hat Hossein dort nie besucht. Mit sieben Jahren begann er zu arbeiten, um die Familie finanziell zu unterstützen. „Leider“, sagt er, „wurde ich im Iran geboren. Man habe ihn dort schlecht behandelt, er habe keine Rechte gehabt, nichts dagegen tun können, wenn ihn sein Arbeitgeber nicht bezahlt hat. Als er 13 war, ist Hossein mit seinen Eltern, drei Brüdern und einer Schwester geflohen. Mit gefälschten Pässen und einem teuren Schmuggler gelangten sie in die Türkei, von dort mit dem Boot nach Griechenland. „Auf meinem Boot waren 32 Menschen, es ist gekentert. Die meisten konnten nicht schwimmen, bis auf vier, fünf Männer sind alle gestorben.“ Von der Familie getrennt, hat sich Hossein in Griechenland durchgeschlagen, gearbeitet, auf der Straße geschlafen, im Gefängnis gesessen, hat es schließlich nach Frankreich und Deutschland geschafft. Auf seinem Weg hat der 17-Jährige Sprachen gelernt, acht spricht er mittlerweile und das, obwohl er bis zu seiner Ankunft in Deutschland Analphabet war. Das Sprachenlernen fällt ihm wohl leicht? Nein, sagt Hossein, es macht einfach Spaß.

Genau wie das Fußballspielen. „Ich habe schon als kleines Kind Fußball gespielt. Aber immer nur barfuß auf der Straße.“ Kaum in Deutschland begann Hossein sich selbst zu trainieren, in Technik und Ausdauer. Abermals auf der Straße, in Wohratal, wo er im Asylbewerberheim lebte. „In Deutschland ist Fußball so wichtig“, sagt Hossein. Wo also sollte er versuchen, Profi zu werden, wenn nicht hier? Sein Talent brachte den 17-Jährigen schnell bis in die Hessenliga. „Ich hatte ein Probetraining beim TSV Wohratal. Danach hat der Trainer gesagt, du bist zu gut, du musst zu Wieseck gehen, die spielen in der Hessenliga“, erzählt Hossein. Nach Stationen in Wieseck („Die hatten irgendwie kein richtiges Ziel, das hat mir nicht gefallen“) und bei der U 17 des SV Darmstadt 98 („Da gab es Probleme mit meinem Spielerpass, heute glaube ich, dass sich der Trainer gar nicht richtig drum gekümmert hat“) ist Hossein schließlich bei Biebrich 02 gelandet. Dort hat er nun endlich auch einen Spielerpass.

Weihnachten verbringt der 17-Jährige mit seiner Familie, mit der er teilweise wieder vereint ist und in Eberstadt wohnt. Gefeiert wird bei den Ateis nicht, aber für die kleineren Familienmitglieder gibt es Geschenke. Ein Profivertrag für Hossein wird wohl nicht dabei sein, aber den wird sich der 17-Jährige schon selbst erarbeiten. Bekäme er ihn doch geschenkt, der junge Afghane wüsste zumindest, wie dankbar er dafür sein könnte. „Bei welchem Verein ich spielen würde, ist mir egal, aber ich will alles für mein Team machen, will wichtig für die Mannschaft sein.“ Was Robert Lewandowski gemacht habe, der jetzt bei Bayern München zwar mehr Geld verdiene, dessen Ex-Mannschaft Borussia Dortmund aber am Boden sei, das findet der 17-Jährige jedenfalls nicht gut.

Aufrufe: 025.12.2014, 05:00 Uhr
Nina HenrichAutor