2024-03-28T15:56:44.387Z

Interview
Sieht trotz eines guten Jahres noch viel Verbesserungspotenzial: Holsteins Trainer Karsten Neitzel. Foto: swa
Sieht trotz eines guten Jahres noch viel Verbesserungspotenzial: Holsteins Trainer Karsten Neitzel. Foto: swa

Neitzel: ,,Es hat sich einiges stabilisiert"

Holsteins Coach spricht über die positive Entwicklung des vergangenen Jahres, über Schwächen und Planungen

Eineinhalb Jahre als Trainer liegen hinter Karsten Neitzel bei Drittligist Holstein Kiel. Nach dem Klassenerhalt in der Vorsaison hat sein Team - wie im Sommer als Ziel ausgegeben - keine Abstiegssorgen. Holten die Kieler im Vorjahr noch 1,1 Punkte pro Spiel im Schnitt, sind es jetzt schon 1,5. Als Zehnter haben die Kieler noch Tuchfühlung zu den Aufstiegsplätzen.

Karsten Neitzel, wie wichtig war das 4:0 in Rostock am Wochenende, um zufrieden in die Winterpause zu gehen?
Schon sehr wichtig. Vor allem weil es nicht gerecht gewesen wäre, wenn mit zwei Niederlagen zum Schluss ein Schatten auf dieses Jahr gefallen wäre.

Wie fällt Ihr Gesamtfazit des Jahres 2014 denn aus?

Wenn man das komplette Kalenderjahr nimmt, ist das auf jeden Fall so verlaufen, dass man damit im Großen und Ganzen zufrieden sein kann. Aber Fußball ist Fußball: Da gibt es immer Dinge, die man noch verbessern kann. Aber sowohl was die Mannschaft betrifft als auch die Abstrahlung nach außen, die für Holstein Kiel von großer Bedeutung ist, fällt ein Gesamtfazit positiv aus. Im sportlichen Bereich hat sich einiges stabilisiert.

Was würden Sie da besonders herausstellen?
Wenn man direkt auf den Platz schaut, haben sich Abläufe im Spiel gegen den Ball so stabilisiert, dass sich das auch in Zahlen bemerkbar macht. Wir haben in 18 Heimspielen dieses Jahres 13 Mal zu Null gespielt. Das ist nicht mehr nur eine Phase. Positive Ergebnisse unterstützen so einen Prozess. Die Mannschaft glaubt an das, was vorgegeben wird. Das Umfeld nimmt Dinge auch etwas anders wahr, wenn die Ergebnisse stimmen.

Gibt es irgendetwas, wo Sie rückblickend sagen: Das ist nicht gut gelaufen?
Wir haben uns in vielen Spielen einfach nicht so belohnt. Wir hätten noch mehr Punkte haben können, hätten noch mehr Tore geschossen haben können und vielleicht bei eigenem Ballbesitz noch mehr Chancen kreieren können. Das Muster, was wir gegen den Ball haben, wollen wir bei eigenem Ballbesitz nicht haben. Ansatzweise ist das auf dem Platz zu sehen, dass die vier Offensivspieler ihre Positionen tauschen.Gute Ansätze waren oft zu sehen.

Woran liegt es, dass aus diesen Ansätzen noch nicht so viele Tore werden?
Es fehlt noch zu oft die Ruhe, der finale Pass. Es ist gar nicht in erster Linie das unbedingte Wollen. Wenn man es umgekehrt sieht, ist es aber auch positiv: Es fehlt nicht viel, um auch in diesem Bereich den nächsten Schritt zu machen. Wenn wir uns an das erste Halbjahr erinnern, haben wir daheim Spiele wie gegen Münster, Wiesbaden, Stuttgart und Unterhaching 3:0 oder 4:0 gewonnen. Das muss unser Anspruch sein, das noch öfter hinzubekommen. Bis auf die Spiele gegen Halle und Großaspach waren das in dieser Saison alles knappe Geschichten.

Sie haben angesprochen: Das Wollen ist vorhanden und zu sehen. Wie wollen Sie dahin kommen, dass auch die Kreativität noch mehr in den Vordergrund rückt? Wie gehen Sie da ran?
Das ist erst einmal etwas, was ganz viel mit Qualität der Spieler zu tun hat. Das ist das erste, ohne damit Verantwortung wegschieben zu wollen. Es geht oft um Nuancen. Entweder ich nutze die Torchance schon mit dem ersten Kontakt oder ich brauche halt den zweiten. Diese Dinge versucht man im Training aufzubrechen, ohne dass wir das thematisieren.

Wie muss man sich das vorstellen?
Wir versuchen im Training immer wieder, verschiedene Spielformen anzubieten, bei denen sich den Spielern viele Lösungen eröffnen. Spiele auf mehrere Tore, mit einem Kontakt, unter hohem Gegnerdruck. Da ist dann zu sehen, wer auch unter Druck öfter die richtige Lösung findet. Ein Spieler muss viel sehen, aber sich für die richtige Sache entscheiden. Das ist ein Prozess, den wird man nie abschließen können. Die Videoanalyse ist immer wieder eine sehr große Hilfe. Das Spiel gegen den Ball kann man damit aber leichter perfektionieren.

Ist die öffentliche Wahrnehmung schwierig, auch weil viele Abläufe, wie sie gerade bei der hohen Spielintensität der 3. Liga entstehen, von außen nicht richtig eingeordnet werden?
Mir wird zum Beispiel immer schwindelig, wenn ich im Fernsehen höre, dass die Laufwege der Spieler nicht aufeinander abgestimmt sind. Die kann man so nicht abstimmen. Es gibt Millionen von Spielsituationen. Ein Spieler muss das richtige Gefühl haben, wo er sich hinbewegt.

Das wird aber besser, je länger man zusammen spielt, oder?

Genau. Man muss die Stärken und Schwächen seines Mitspielers kennen. Wenn ein Lindner einen Sprint ansetzt, kann ich eher den Ball vorne rein spielen als wenn da ein Kazior steht.

Ärgert es Sie, dass das noch nicht alles reibungslos klappt?

Natürlich. Wenn wir bei den Stuttgarter Kickers und in Unterhaching mit 1:0 in Führung gehen, wozu wir die Chance hatten, gewinnen wir diese Spiele wahrscheinlich. Und dann fangen alle Leute schon an, Holstein-Kiel-Kugeln an den Weihnachtsbaum zu hängen. Aber man weiß manchmal nicht, für was solche Phasen gut sind. Im letzten Jahr sind wir gestärkt daraus hervorgegangen, weil die Mannschaft gemerkt hat, wie wir damit umgehen. Bestes Beispiel ist immer noch das Spiel in Saarbrücken (nach einer Serie von 13 Spielen ohne Sieg, Anm. d. Red.), wo die Mannschaft sich eben nicht von der Angst hat leiten lassen, sondern das Spiel in die Hand genommen hat. Da darf man sich abends auch mal hinsetzen und sagen: Da haben wir einen guten Job gemacht.

Durchweg gut ist schon alles, was die Arbeit gegen den Ball betrifft. Das war im letzten Jahr bereits so. Jetzt sind Sie noch einen Schritt weiter. Woran liegt das?
Was das betrifft, ist auch ein länger zurück liegendes Spiel sehr entscheidend: Das 3:0 in Münster zu Beginn der letzten Saison. Da hatten wir zum ersten Mal eine klare Zuordnung im Spiel gegen den Ball. Nach dem Spiel hat die Mannschaft so richtiges Vertrauen zu sich selbst gefunden, dass man Mann-gegen-Mann-Situationen auch in dieser Liga aushalten kann. Davon sind heute noch viele dabei. Die große Gruppe ist schon auf einem anderen Ausgangsniveau in die Runde gestartet. Wir haben nur noch an kleinen Dingen feilen müssen. Als Trainer lernen wir ja auch dazu.Nennen Sie mal ein Beispiel.Wir machen ein paar kleine Dinge anders. Wenn ein Gegner mit einem Stürmer spielt, hat im letzten Jahr oft der zweite Innenverteidiger den Zehner übernommen. Jetzt machen wir es oft so, dass der offensive Außen bis auf die Sechserposition reinrutscht. Wie beispielsweise Heider und Siedschlag das in Dresden gemacht haben, war richtig gut. Die Mannschaft hat einen außergewöhnlichen Umsetzungscharakter. Oder gegen die Stuttgarter Kickers, die vom System etwas anders spielen. Da sagt man denen wie sie es machen sollen, und dann wird das sofort umgesetzt.

Und selbst diejenigen, die seltener spielen, bekommen das hin.

Es wissen wirklich alle Bescheid. Es ist nie so gewesen, dass einer gar nicht wusste, was los ist. Aber natürlich hört man auch auf die Spieler. Als beispielsweise Jarek Lindner gegen Duisburg reinkam, habe ich ihn gefragt: Willst Du lieber vorne rein oder auf die Außenbahn? Er kann auf beiden Positionen wertvoll sein. Aber er muss wissen: Wo würde ich mich in diesem Spiel jetzt wohler fühlen? Er sagte, über außen. Also hat er über Außen angefangen, und im Spiel wird dann ohnehin rotiert.

Gibt es einzelne Spieler, die Sie in diesem Jahr besonders überrascht haben?

Ich bin total froh über die Entwicklung von Hauke Wahl. Er hatte ein Loch, dafür gab es Gründe. Da merkt man, dass es bei jungen Spieler solche Entwicklungsphasen gibt. Er hat sich auf vernünftigem Niveau stabilisiert.

Gibt es umgekehrt Spieler, wo Sie sich mehr erhofft haben?
Ich habe von jedem jungen Spieler mehr erhofft. Aber trotzdem enttäuschen sie nicht. Wenn ich Fabian Arndt sehe, würde ich den auch gerne mal bringen. Aber da muss man dann abwarten, wie sich das entwickelt. Bei den Jungen ist es teilweise eine Gewöhnung ans Tempo, teilweise mussten sie sich die Grundfitness erarbeiten. Aber auch bei einem Breitkreuz erhoffe ich mir noch mehr. Er hat eine Nase entwickelt für gefährliche Situationen. Aber das muss noch weiter gehen.

Trauen Sie einem Wirlmann, Arndt oder Kohn den absoluten Durchbruch zu?

Es kann manchmal ganz schnell gehen, wenn einer den richtigen Moment nutzt. Auch für René Guder, der zu Beginn der Saison bei uns noch gar nicht im Fokus war, gilt das. Grundsätzlich traue ich das jedem in unserer Trainingsgruppe zu. Der eine oder andere hat das ja schon angedeutet. Wichtig ist, dass junge Spieler regelmäßig spielen. Wenn nicht bei uns, dann eben in der U23 oder U19.

Finn Wirlmann ist am nächsten dran?

Schon allein deshalb, weil er manches Mal gespielt hat. Er ist nah dran. Aber es ist noch Luft nach oben. Er hat als A-Jugendspieler einen Schritt gemacht und erste Gehversuche im Seniorenfußball gemacht. Er ist in der Lage, 3. Liga zu spielen. Es ist gut für andere junge Spieler, das zu sehen. Es muss das Ziel sein, immer wieder Jungs aus dem Holstein-Nachwuchs dazu zu holen. Die ersten 16 bis 18 sollten gestandene Spieler sein, den Rest müssen wir aus dem eigenen Bereich nehmen können.

Wenn man die Sommer-Neuzugänge nimmt: Wie fällt Ihre Zwischenbilanz aus?
Da ist vieles so gelaufen wie wir uns das vorgestellt haben. Maik Kegel ist ballsicher und kriegt auch unter Druck einen Gegner aus dem Spiel. Er muss aber auch mehr zum Abschluss oder in die torgefährlichen Räume kommen. Aber unser Spiel ist mit ihm etwas besser geworden. Patrick Kohlmann ist etwas stotternd in die Saison gekommen und spielt jetzt einen guten Part. Saliou Sané hat uns vorwärts gebracht, als er fit war.

Kenneth Kronholm ist im Tor auch die erhoffte Verstärkung, oder?
Ja. Er macht seine Sache richtig gut. Aber wenn man einen Spieler herausstellen sollte, muss man auch Niklas Jakusch sehen. Wenn das ein Stinkstiefel wäre, würde Kronholm nicht so halten können.

Ende August haben Sie niemanden mehr geholt, sondern den Kader durch die Abgänge von Danneberg und Schulze sogar verkleinert. Warum?

Wir haben uns nach der Heimniederlage gegen Cottbus, als die Situation kritisch zu werden drohte, Gedanken gemacht. Die neun Tage bis zum Ende des Transferfensters haben wir genutzt, um die Mannschaftsstruktur zu verbessern. In dem Fall eben nicht durch Zugänge, sondern dadurch, dass wir uns von Spielern getrennt haben. In dieser Phase war Wolfgang Schwenke für mich eine große Hilfe, weil er genau weiß wie eine Mannschaft funktioniert.

Viele hatten noch eine Sturm-Verstärkung erwartet...

Ich habe oft gehört, wenn wir einen Stürmer hätten, der 12 bis 16 Tore macht, könnte das den entscheidenden Unterschied machen. Das ist vielleicht so. Aber Heider, Schäffler und Sané - das sind doch Spieler, die das auch können. Ich kann ja nicht immer alles in Frage stellen. Wenn ich als Trainer sicher gehen wollte, würde ich sagen: Lass uns den und den und den holen. Aber es muss in der Kabine funktionieren und für den Verein insgesamt Sinn machen.

Können denn Neuzugänge im Winter Sinn machen?

Sicher bin ich nur, dass es Sinn macht, wenn unsere drei Langzeitverletzten (Gebers, Wetter und Sané, Anm. d. Red.) zurückkommen. Auf dem Markt sind im Winter meistens nur Spieler, die Ablöse kosten oder lange nicht gespielt haben. Es müsste schon jemand sein, der uns sicher weiterbringt. Wenn man jetzt einen holt, vernichtet man in gewisser Weise einen Spieler. Da muss die Qualität des Neuen so groß sein, dass man das in Kauf nimmt. Da müsste man dann gnadenlos sein, das ist das Profi-Geschäft. Aber das ist momentan nicht das Ziel. Stand jetzt ist noch nichts geplant. Aber es geht ja auch erst los.

Im Sommer wird es aber Bewegung geben, oder?

Das ist wohl so. Da wird man sich von einigen Spielern trennen müssen, um den nächsten Entwicklungsschritt zu machen.

Wie stimmen Sie sich da schon mit Ralf Heskamp ab?
Es ist auf jeden Fall gut, dass wir wieder einen Sportlichen Leiter haben. Da landen die ganzen Anrufe nicht mehr bei mir. Wir sprechen schon über alles, was den sportlichen Bereich betrifft. Der erste Eindruck ist gut. Er scheint ein Teamplayer zu sein. Das wird funktionieren, so wie es auch mit Borne funktioniert hat.

Man hatte zwischendurch den Eindruck, dass Sie ohne Sportdirektor lockerer geworden sind.
Das ist ein falscher Eindruck. Wenn das so ist, liegt es an anderen Dingen. Ich habe mit Andreas Bornemann hervorragend zusammen gearbeitet und in vielen Situationen auch Hilfestellung von ihm erhalten. Und ich hätte mich gefreut, wenn er bei uns geblieben wäre.

Ihr Vertrag läuft im Sommer auch aus...

Da wird man sehen, was passiert. Wenn man Gespräche mit Spielern über die neue Saison führt, würde es allerdings Sinn machen, wenn man weiß, wer im nächsten Jahr Trainer ist.

Ist der Aufstieg schon ein Ziel für die Rückrunde?
Natürlich würde auch ich am liebsten in der 2. Bundesliga spielen. Da will ich mit Holstein hin. Aber darüber zu reden ist das eine. Wichtiger ist, auch inhaltlich daran zu arbeiten. Deshalb ist es zu früh, daran zu denken. Ich kann keine Punktzahl voraussagen. Mein Ziel ist es, dass wir Dinge bestätigen und Dinge besser machen. Wenn uns das gelingt, werden wir auch in der Tabelle klettern. Wir wollen natürlich so viele Punkte holen wie möglich. Wir alle gewinnen lieber als wir verlieren. Und wir alle spielen lieber eine Klasse höher. Aber erwarten darf man das jetzt nicht. Es sind noch eine Menge Mannschaften vor uns, wo auch gut gearbeitet wird.

Wer wird am Ende ganz oben stehen?
Auf jeden Fall Bielefeld und Duisburg. Das waren die beiden besten Mannschaften, gegen die wir gespielt haben. Bei denen war insgesamt schon mehr Qualität auf dem Platz. Der Sieg gegen Bielefeld, das waren Bonuspunkte. Die Stuttgarter Kickers gehören oben dazu. Dresden kann mit der Zuschauerunterstützung auch noch eine gute Rolle spielen.
Aufrufe: 028.12.2014, 08:00 Uhr
SHZ / Interview: Christian JessenAutor