2024-04-25T10:27:22.981Z

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Das Team von Hellas Gießen belegt derzeit Platz acht in der B-Liga. Foto: Hellas Gießen
Das Team von Hellas Gießen belegt derzeit Platz acht in der B-Liga. Foto: Hellas Gießen

Bunt und multikulturell

KLB1 GIESSEN: +++ Bei B-Ligist Hellas Gießen steht die Integration von Flüchtlingen im Mittelpunkt / Ederstraße als Kontaktort / „Spaß am Fußball“ +++

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giessen. Es ist noch gar nicht lange her, nur eine halbe Ewigkeit, da schaffte ein kleiner Fußballverein aus der Gießener Weststadt den Sprung in die tabellarische Einstelligkeit. Der „ewige B-Ligist“, der seit der Gründung in den frühen 1980er Jahren erst zweimal den Aufstieg schaffte und damit ein Gastspiel in der A-Liga gab, sicherte sich vor knapp zehn Jahren den neunten Rang im Abschlussklassement der Gießener Kreisliga B2. Seither ist viel passiert. Im großen und im kleinen Fußball hat sich die Kugel immer schneller gedreht.

Vereine gingen oder gingen in Spielgemeinschaften, an denen andere Clubs wiederum scheiterten. Dem Griechischen SV blieb der sportliche Erfolg in dieser Zeit stets verwehrt, der Verein lief nur im unteren Tabellendrittel ein. 2011/12 konnte man den Spielbetrieb nicht bis zum Saisonende aufrecht erhalten und zog zurück. In dieser Zeit wurde auch der Sportplatz, der bis dato einer „parkplatz-ähnlichen Fläche“ glich, die mit weißer Asche und Steinen überzogen war, überarbeitet und das Sportlerheim saniert. Nach Plan des Sportamtes der Stadt Gießen, und keineswegs unumstritten, da der Verein zu jener Zeit darum kämpfte, überhaupt ein Team auf den Platz zu bringen. So entstand ein Rot-Asche-Platz, das Vereinsheim wurde schmucker, der rustikale Charme des knochentrockenen Hartplatzes aber blieb. Der nächste Anlauf, nicht in Richtung Aufstieg, sondern um überhaupt Kicken zu können, lief unterdessen weiter. Sportlicher Erfolg aber stellte sich beim Club, der ohne größere Sponsoren auskommt, nicht ein. Das Tabellenende blieb stets greifbar.

2014/15 der nächste Rückschlag. Keine Spieler, kein Trainer, kein Umfeld, kaum Struktur. Doch es ging weiter. 2015 wurde neu gemeldet. Apostolos Apostolidis, selbst als Spieler beim ersten Aufstieg dabei gewesen, übernahm als Übungsleiter. „Ich wurde damals gebeten, wieder ein Team auf die Beine zu stellen“, so Apostolidis. Nach nur zwei Siegen in der Hinserie, folgten immerhin sechs Siege nach der Winterpause. Schon damals standen mit Michaele Gebregergish Kidane und Daniel Mokonen Weldeslose zwei Flüchtlinge regelmäßig auf dem Platz. In der letzten Saison lief es wieder durchwachsener. Am Ende standen fünf Siege und ein elfter Platz zu Buche. Apostolidis, aufgrund seiner beruflichen Selbstständigkeit zeitlich immer stärker eingespannt, bekam in der Rückserie Unterstützung von Zoran Mrkonjic. „Er hat tolle Arbeit geleistet“, lobt Apostolidis seinen Co noch einmal ausdrücklich. Fernab des Sportlichen wurde im Hintergrund an neuen Strukturen und einem neuen Konzept geschraubt, der Vorstand um Beisitzer und Kassierer erweitert.

Zur neuen Saison konnte Apostolidis Traineramt und Beruf endgültig nicht mehr unter einen Hut bringen. Hier kommt nun Filimon Yemane ins Spiel. Ihn brachte Apostolidis 2015 von seiner vorherigen Trainerstation bei VfB 1900 Gießens zweiter Garde mit zu den Hellenen und bot ihm das Spielertrainer-Amt an. Yemane, der ein „super Verhältnis zu ,Tolli‘ pflegt“, nahm an. Neuer Trainer, neue Strukturen, neues Konzept. Für Letzteres sorgte vor allem der gerade einmal 23-Jährige, der gemeinsam mit Teamkollege Mustafa Aktas das Team trainiert und selbst noch auf dem Platz steht. Yemane setzt dabei ganz auf „den Spaß am Fußball“, mit einer Truppe die größtenteils aus Flüchtlingen aus seiner Heimat Eritrea, aber auch aus Somalia sowie Spielern aus der Türkei, Algerien, Griechenland und Deutschland besteht. „Wir sind ein offener Verein. Bei uns sind alle willkommen. Im Training sind auch immer Freunde der Spieler dabei“, erklärt Yemane.

Die Kontakte zu den Flüchtlingen stellte der Spielertrainer über den Bolzplatz Ederstraße in der Gießener Nordstadt her, auf dem er selbst noch regelmäßig kickt. „Viele der Flüchtlinge sind seit ein oder zwei Jahren hier. Ich bin einfach auf sie zugegangen und habe gefragt, ob sie nicht auch in einem Verein spielen wollen“, erklärt Yemane. Dafür sei Hellas der perfekte Verein: „Hellas war schon immer bunt. Die Bereitschaft zu helfen ist hier sehr groß. Ich habe noch nie bei einem Verein wie Hellas gespielt“, lobt Yemane. Die Vereinsidee fand Zustimmung bei vielen Flüchtlingen, stellte Yemane und den Club anschließend aber auf eine Geduldsprobe. „Bis alle Daten kontrolliert und alle Pässe da waren, hat es einige Monate gedauert. Das war viel Papierkram.“ Erst zur aktuellen Saison waren die meisten Akteure spielberechtigt und konnten auflaufen, was zu neuen Herausforderungen führte. „Auf so einem großen Feld haben die meisten noch nie gespielt. Außerdem war auch der Schiedsrichter für viele neu. Wir mussten erst einmal erklären, dass man auf den Schiedsrichter hören muss, auch nach Spielende den anderen Spielern die Hand gibt und sich fair verhält.“ Wissen weitergeben, den Spielern etwas beibringen – darin sieht Yemane, der vor 15 Jahren nach Deutschland kam, einen wichtigen Teil seiner Arbeit. „Ich kenne das Gefühl, in ein neues Land zu kommen und die Sprache nicht zu sprechen.“

Deshalb verzichtete Yemane, der früher unter anderem bei der TSG Wieseck und dem VfB gekickt hat, auf einen Wechsel zu einem höherklassigen Klub. „Hier und da gab es dafür dumme Sprüche und ich habe mich anfangs auch dafür geschämt. Mittlerweile stehe ich da aber drüber“, räumt Yemane ein. „Mein Ziel ist es, den Flüchtlingen meine Erfahrungen weiterzugeben.“ Deshalb sieht er seine Tätigkeit bei Hellas nicht nur als Trainer. „Wir sind ein multikulutreller Verein. Herkunft und Religion spielen keine Rolle. Es geht um gegenseitigen Respekt, darum Sprachbarrieren zu überwinden und die Flüchtlinge zu unterstützen.“ Konkret geht es um das Lernen der Sprache, Gänge zum Amt, Hilfe bei der Wohnungs- und Jobsuche oder Kleiderspenden. Aber auch um die Vermittlung von Werten, die Yemane als unerlässlich für das Leben in Deutschland ansieht – wie Pünktlichkeit, Disziplin oder Fairness. Aber auch die Hilfe mit dem Mannschaftsverbund, beispielsweise bei Umzügen.

Aber auch die Zeit des 23-Jährigen ist nicht unendlich. Neben Vorbereitung auf das Training, die Durchführung, das Kicken und die Hilfe abseits des Platzes steckt der Elektriker gerade mitten in den Lernphase für seine Abschlussprüfung im Dezember und Januar. Und da kommen wieder Ex-Trainer Apostolidis und der vergrößerte Vorstand ins Spiel. Athanasia Karasawidis, Frau von Spieler Awraam Karasawidis und Beisitzerin im Verein, hilft beispielsweise bei der Wohnungssuche und Problemen auf der Arbeit. Apostolidis, zwar kein offizielles Vorstandsmitglied, aber als selbstbetitelter Teammanager nah am Team, gibt Yemane und Co Aktas Tipps für Training und Umgang mit den Spielern oder hilft kleinere Werbeträger heranzuziehen. Der Vorstand wiederum stellt nach den Partien Essen und Getränke im Sportheim, sodass die Gemeinschaft nicht mit dem Schlusspfiff endet, oder sorgt für kleine Klamottenspenden. All das spiegelt sich im sportlichen Verlauf. „Wir haben immer wieder Lob für unsere Leistungen und Fairness bekommen“, sagt Yemane. Mit viel Offensivdrang und großer Moral ausgestattet, sind den Hellenen der Spaß und die Lust am Kicken jederzeit anzumerken. Derzeit rangiert Hellas auf dem einstelligen achten Tabellenplatz. Deftige Niederlagen waren bislang die Ausnahme. Und so rückt der Sprung in die Einstelligkeit endlich wieder in greifbarer Nähe. „Jetzt sollen alle erst einmal Erfahrung und Spielpraxis sammeln. Nächste Saison greifen wir dann richtig an“, sieht Yemane seinen „bunten Haufen“ gut gerüstet für höhere Aufgaben.

Aufrufe: 010.11.2017, 20:45 Uhr
Tim Georg (Gießener Anzeiger)Autor