2024-05-02T16:12:49.858Z

Querpass
Freidribbeln aus der Isolation: Der aus Syrien geflüchtete Bashar Musa trainiert beim VfR Nierstein. Foto: hbz/Michael Bahr
Freidribbeln aus der Isolation: Der aus Syrien geflüchtete Bashar Musa trainiert beim VfR Nierstein. Foto: hbz/Michael Bahr

Gelungene Integration

Fußball: Wie der Syrer Bschar Musa (12) beim VfR Nierstein eine neue sportliche Heimat findet

„Ich liebe Fußball“, sagt Bashar Musa. In einem Verein gespielt hat der Zwölfjährige zwar noch nie, ein Kunstrasen wie jener an der Niersteiner Carl-Zuckmayer-Realschule ist für ihn völliges Neuland. Aber als er mit dem Ball um die Stangen dribbeln und ein paar Pässe zu seinen neuen Mannschaftskameraden spielen soll, stellt sich der schwarzhaarige Schlaks, der einige Kameraden um einen Kopf überragt, durchaus nicht ungeschickt an. „Für die D1-Jugend reicht das“, ist Leo Bernard, Jugendleiter beim VfR Nierstein, überzeugt.

Bashar Musa ist Kurde, aufgewachsen im syrischen Ort Kamechli an der türkischen Grenze, und lebt erst seit ein paar Wochen in Deutschland. Geflohen vor dem Bürgerkrieg, über Bulgarien in der Erstaufnahme in Trier gestrandet, dann nach Undenheim, wo die sechsköpfige Familie schließlich wegen Schimmels aus der Wohnung raus musste und nun in Nierstein eine neue Bleibe gefunden hat – Bashar hat etwas mitgemacht. „Was er genau erlebt hat, weiß ich nicht“, sagt Saida Schulze, die Integrationslotsin der Familie. „So lange er von sich aus nicht darüber redet, frage ich auch nicht.“

Um so wichtiger ist für einen Jungen wie Bashar Musa das Stückchen Normalität auf dem Rasen. Er ist bereits der zweite Flüchtling, der beim VfR eine neue sportliche Heimat gefunden hat. Das Eis zwischen ihm und den anderen Jungs ist beim ersten Training nach der Sommerpause schnell gebrochen – dank der Sprache. Trainer Zouhir Ghazi stammt selbst aus dem Libanon, spricht ebenso Arabisch wie sein Sohn, der in der D1 kickt. Als er in seiner Muttersprache begrüßt wird, huscht sofort ein Lächeln über Bashars Gesicht. „Das ist für ihn eine unheimliche Erleichterung“, weiß Schulze.

Die Eltern haben den Jungen zum Fußball geschickt. „Sie hoffen, dass ihre Kinder hier Fuß fassen können“, berichtet Saida Schulze – wobei sich Kinder ohnehin leichter tun. „Normalerweise ist es nur eine Frage der Zeit, bis sie in der Schule und im Verein Kontakt finden und Freundschaften schließen. Sie tun sich da leichter als ihre Eltern, die zu Hause sitzen und hoffen müssen, dass die Nachbarn auf sie zukommen.“

Förderunterricht Deutsch

Bashar hat in der Schule zwei Stunden Förderunterricht pro Woche bekommen, geht jetzt auf die Realschule plus. Ein bisschen Deutsch beherrscht er schon. Die Familie wollte auch deshalb nach Nierstein, weil sie hier Kontakt zu anderen Syrern und Flüchtlingen aus dem Iran halten kann. Sie will (und kann) sobald nicht zurückkehren, weshalb für Bashar das Spielen in einem Fußballverein ein besonders wichtiger Teil der Integration ist.

„Mit den Sportvereinen klappt das richtig gut“, sagt Saida Schulze, „wenn ich da jemanden anspreche, sagt niemand Nein.“ Der Mitgliedsbeitrag ist ohnehin kein Thema – den bezahlt bei Flüchtlingen wie bei Hartz-IV-Empfängern der Kreis über das Teilhabepaket. Währenddessen versenkt Bashar – rotes Trikot und schwarze Hose mit DFB-Adler (das Geschenk eines Freundes) – die Kugel gekonnt in einem der kleinen Übungstore. Als Geburtsdatum steht in seinem Pass übrigens der 1. Januar 2003. Das ist keine Unwissenheit oder Behördenwillkür, wie sie in einigen weniger entwickelten Ländern durchaus vorkommt, sondern das richtige Datum. „Ich habe seine Mutter gefragt“, grinst Schulze. „Bashar ist tatsächlich ein Neujahrskind.“ Ein Neujahrskind, das in Nierstein einen Neuanfang wagt.

Aufrufe: 02.9.2015, 19:30 Uhr
Ulrich GereckeAutor