2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines
Meidet meistens Kopfbälle: Lucas Thiel (links)   | Foto: Meinrad Schön
Meidet meistens Kopfbälle: Lucas Thiel (links) | Foto: Meinrad Schön

Superschlauer lässt auf dem Platz die Sau raus

Lucas Thiel ist 23, spielt Fußball, war in Harvard und ist auf dem Weg zum Doktor +++ Bei Lörrach-Brombach spielt er in der Viererkette.

Lucas Thiel kickt beim FV Lörrach-Brombach in der Viererkette. Mit 23 Jahren hat der Verteidiger seinen Physik Master in der Tasche, war ein Jahr in Harvard und promoviert nun an der Universität Basel.
So weit wie beim SC Freiburg in den 1990er Jahren ist es beim FV Lörrach-Brombach noch nicht gekommen. "Vor lauter Philosophieren über Schopenhauer kommen wir gar nicht mehr zum Trainieren", umschrieb Torhüter Richard Golz einst ironisch die studentischen Umtriebe beim Freiburger Vorzeigeklub. SC-Profis wie Uwe Spies und Andreas Zeyer waren regelmäßige Besuche örtlicher Vorlesesäle nachgesagt worden, und das wollte partout nicht passen zum hemdsärmeligen Fußballsport.

Von Kant oder Hegel ist im Grütt selten die Rede, beim Lörracher Fußballklub aus der Landesliga kann im Training, wenn Coach Ralf Moser zu einer fußballspezifischen, aber nicht zwingend intellektuell herausfordernden Übung bittet, aber hin und wieder der Satz fallen: "Lucas, das ist jetzt nicht Harvard."

Lucas Thiel, Adressat solch frotzelnder Kommentare, ist 23 Jahre jung. Thiel spielt beim FV Lörrach-Brombach in der Verteidigungskette hinten rechts, und er ist, wenn auch unabsichtlich, der zuweilen immer noch zu begegnenden Meinung entgegen getreten, dass Fußball und Intelligenz ein ungleiches Geschwisterpaar sind.

"Sicherlich ist mir die Schule nie wirklich schwer gefallen."

Lucas Thiel kommt aus Brombach, wo er die Hellberg-Schule besucht hat, ehe er auf das Hebel-Gymnasium nach Lörrach gewechselt ist. Erste Tendenzen, dass er manches besser oder zumindest schneller blickt als andere, gab seine Gymnasiums-Zeit. "Ich habe praktisch ein Jahr übersprungen", sagt er. Heute hat er seinen Master in Physik in der Tasche, er war ein Jahr in Harvard, und seit einigen Wochen ist er Doktorand an der Universität Basel. Thiel spielt seit jeher Fußball, früher beim FV Brombach und beim FC Wittlingen. Doch das hindert ihn nicht daran, mit 23 Lenzen seine Doktorarbeit zu beginnen; rund zwei Jahre unter dem angeblichen Altersschnitt. Der Vollständigkeit halber sei gesagt: Die Doktorarbeit handelt über Defektstellen an Diamanten. Was wohl bei der Entwicklung modernster Quanten-Computer eine Rolle spielt. "Eher praktische Arbeit", sagt Lucas Thiel.

Der Lörracher Abwehrspieler käme nicht auf die Idee, sich als Intelligenzbestie zu bezeichnen, er erzählt ohne große Sensationslust, dass er es durchaus glücklichen Umständen zu verdanken habe, in jungen Jahren so weit zu sein. "Sicherlich ist mir die Schule nicht so schwer gefallen, vielleicht habe ich da eine Begabung", sagt er. "Es gibt aber viele, die schlauer sind als ich, bei mir ist es glücklich gelaufen." So ist er nach eigener Aussage "mit etwas Vitamin B" in Harvard, im Großraum Boston an der Ostküste der USA, gelandet. "Etwas elitäre Luft schnuppern." In Boston hat er mit einem Franzosen, Schweizer und Deutschen in einer Wohngemeinschaft gelebt; im Dreiländereck sozusagen, wie er es von zu Hause kennt. Der Name Harvard ist nun auch eine Art Türöffner geworden, wenngleich es Mühen gekostet hat. "Da waren wir 60 bis 70 Stunden pro Woche im Labor, das war krass." Nach einem Jahr wollte er wieder in die Heimat, nicht zuletzt, weil ihm sein Lieblingshobby gefehlt hat. "Dort habe ich gemerkt, dass mir ein Mal pro Woche Fußball nicht reicht, dort ist es mit dem Fußball weniger ambitioniert." Bei den Campus-Kicks sei es zum Beispiel normal, dass Jungs mit Mädels spielen. Für einen deutschen Landesligafußballer, obwohl jeglichen Machogehabes unverdächtig, kein wirkliches Vergnügen.

"Es ist schon so, dass man richtig die Sau raus lassen kann."

Zurück in Lörrach beim FVLB, der um den Aufstieg in die Verbandsliga bemüht ist ("bin guter Dinge, wir sind stark besetzt, vor allem in der Offensive"), fühlt er sich pudelwohl. "Wir haben viel Spaß zusammen, harmonieren sehr gut. Es gibt fast nie Knatsch. Bei dieser Mannschaft, macht es mir wirklich immer Spaß ins Training zu gehen." Auch außerhalb des Sports sei das Team homogen. "Da prallen keine Welten aufeinander."

Fußball empfindet Thiel als Ausgleich, als perfekten Gegenpart zum kopfgesteuerten Alltag. "Es ist schon so, dass man mal richtig die Sau raus lassen kann." Deshalb versucht er auch, koste es was es wolle, das Kicken im Terminkalender unter zu bekommen. "Drei Mal pro Woche Training und ein Spiel, das nimmt viel Zeit in Anspruch, doch ich probiere immer, es mir frei zu halten", sagt Lucas Thiel, der mit seiner Freundin in einer Basler WG wohnt. Von den Kollegen im Grütt "gibt es schon mal ein paar Sprüche", sagt er. Doch mit den Foppereien der Mitspieler kann er sehr gut leben, sie gehören dazu. "Es heißt schon mal: das einzige Genie mit \'ner Freundin." Dabei ist er kein Nerd, kein hochbegabter Sonderling, der sich isoliert. Er ist nicht mal eine Leseratte. "Eigentlich lese ich gar keine Bücher. Ich mache lieber Computerspiele." Fußball vermutlich.

Auf dem Platz hält er sich, obwohl Abwehrspieler, bei Luftduellen eher zurück. "Ich meide Kopfbälle", sagt Lucas Thiel. Was manches erklären könnte.
Aufrufe: 021.2.2014, 00:00 Uhr
Uwe Rogowski (BZ)Autor