2024-04-23T13:35:06.289Z

Kommentar
Stefan Kurz steht in der mittleren Reihe, als Zweiter von links.
Stefan Kurz steht in der mittleren Reihe, als Zweiter von links. – Foto: Verein
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Meine Meinung: "Der Amateurfußball steht vor einem großen Umbruch"

Stefan Kurz ist Abteilungsleiter in Unterkochen. In seinem Kommentar rekapituliert er den Saisonstart und die pandemiebedingten Schwierigkeiten. Er glaubt, dass die Amateurligen schweren Zeiten entgegen gehen.

Der FV Unterkochen II ist zwar 'nur' eine zweite Mannschaft, an den Ambitionen, in der Kreisliga B4 erfolgreich Fußball zu spielen, ändert dieser Umstand allerdings nichts. Wie Stefan Kurz, der Abteilungsleiter des Klubs, in seinem Kommentar beschreibt, kam die Mannschaft ihrem Minimalziel nach den ersten zehn Spielen schon sehr nahe. Geht es nach dem Autor, soll die Saison unbedingt fortgesetzt und zuende gespielt werden.
Stefan Kurz nimmt jedoch nicht nur 'seinen' FV Unterkochen in den Blick. Er benennt strukturelle Probleme, mit denen praktisch alle Vereine zu kämpfen haben, und blickt hinsichtlich des Amateurfußballs allgemein mit gemischten Gefühlen in die Zukunft.

Wie ich die Vorrunde einschätze

Für viele Vereine und Mannschaften war es nach der Corona-Pause und der abgebrochenen Saison 2019/2020 erstaunlich einfach, wieder in den Alltagsbetrieb des Fußballsports zurückzukehren. Man merkte den meisten Spielern und Verantwortlichen an, dass sie wieder richtig motiviert waren, ihrem Sport und ihrer Leidenschaft nachgehen zu dürfen. Dies erleichterte den Start der Runde 2020/2021 erheblich, auch wenn von Anfang an klar war, dass es nicht leicht werden würde.

Das hatte vor allem zwei Gründe: Auf der einen Seite wurden die Ligen oberhalb der Kreisliga B durch eine aus meiner Sicht unnötige Quotienten-Regelung und damit einhergehenden Aufsteigern ohne Absteiger aufgebläht. Es lag also auf der Hand, dass alle Mannschaften sehr viele Spiele in vermutlich eng begrenztem zeitlichen Rahmen haben dürften. Andererseits gab es natürlich Vermutungen, dass es im Herbst nochmal zu einem Aufflammen der Pandemie kommen würde und dies den besagten Rahmen noch weiter einengt.

Dennoch startete die Vorrunde relativ normal zunächst ohne Spielabsagen. Dies änderte sich im Laufe des Septembers, als erste Partien nach Corona-Fällen verlegt werden mussten und die ein oder andere Mannschaft mit den Spielen in Verzug geriet. Bis zum Abbruch Anfang November konnte dieser Rückstand an Spielen auch nicht mehr wettgemacht werden.

Was brachte die Vorrunde sportlich

Relativ klarer Tabellenführer ist im Moment die SG Riesbürg, die nur einmal durch ein Unentschieden überhaupt Punkte liegen gelassen hat. Dahinter kann Nordhausen-Zipplingen durch ein Nachholspiel auf immer noch komfortable vier Punkte herankommen. Diese beiden Mannschaften hatten vor der Saison auch die meisten auf dem Zettel und speziell Riesbürg ist absolut verdient an der Spitze der Tabelle.

Dennoch ist die Saison schwer zu bewerten, denn die Mannschaften kämpfen mit vielen Problemen, die man sonst nicht in diesem Umfang hat. Spieler werden durch die Corona-Pandemie in ihrer Arbeit eingeschränkt, sodass sie zu manchen Spielen, vor allem Nachholspielen unter der Woche (und in höheren Klassen durch die großen Staffeln auch geplante Wochenspieltage) gar nicht da sind. Dazu kommt durch die hohe Intensität eine größere Verletztenzahl als in den vergangenen Jahren und nicht zu vergessen die tatsächlich positiv getesteten Spieler, die dann auch ausfallen.

So geht es quasi Woche für Woche darum, wer von seiner Sollstärke an Spielern am Meisten aufbieten kann und das entscheidet dann sehr oft über den Spielausgang. Die zweiten Mannschaften wie die des FV 08 Unterkochen können dabei noch schwerer planen. In guten Zeiten wird aus der Bezirksliga der ein oder andere Spieler abgestellt, um Spielpraxis zu sammeln, und man wertet so die zweiten Mannschaften auf. In schwierigen Zeiten ist es gerade andersherum. Die erste Mannschaft hat viele Spiele in kurzer Zeit und extrem viele Verletzte (oder auch Corona-Ausfälle) und so muss dort von der zweiten Mannschaft ausgeholfen werden. Speziell bei Auswärts-Wochenenden wird es dann gefährlich, da man als Spieler ja schlecht auf zwei Sportplätzen gleichzeitig spielen kann.

Wie ich unsere Mannschaft sehe

Unsere „Zweite“ ging mit Trainer Christian Borst in dessen zweite Saison und man hatte sich einiges vorgenommen. Doch die Niederlage gleich im ersten Spiel zuhause gegen Elchingen bremste die Erwartungen bereits etwas ein. In vielen Spielen konnte man weder das Personal noch das eigentlich vorhandene Potenzial ausschöpfen. Nur der Auswärtssieg in Ohmenheim und die starke Vorstellung bei Tabellenführer Riesbürg stachen da heraus. So steht man mit gerade einmal zehn Punkten bei auch schon zehn Spielen auf Platz neun der Tabelle. Immerhin hat man ein Teilziel, nämlich beste zweite Mannschaft der Staffel zu sein, im Moment erreicht. Dennoch waren die Ziele andere. Man wollte eigentlich Richtung erstes Drittel kommen, aber davon ist man weit entfernt. Dennoch ist die Motivation für die Fortsetzung der Runde sehr groß, denn dann kann man noch einmal alles in die Waagschale werfen.

Wie sind die Aussichten für die kommenden Jahre

Der Amateurfußball wird in den kommenden Jahren einen der größten Umbrüche in seiner Geschichte erfahren. Bereits seit Jahren sind die Mannschafts- und Spielerzahlen wie auch die Mitgliederzahlen in den Vereinen rückläufig. Bis jetzt helfen die über viele Jahrzehnte gewachsenen und guten Strukturen, um das aufzufangen. Dennoch, speziell im Jugendfußball gibt es fast nur noch Spielgemeinschaften und das wird sich auch weiter auf den Aktiven-Bereich auswirken.

Fehlen erst einmal Jugendspieler, dann fehlen irgendwann Aktiven-Spieler und irgendwann dann auch die Ehrenamtlichen und Leute, die den Fußball erst möglich machen, wie zum Beispiel Schiedsrichter. Die aktuelle Krise verschärft diesen Zustand weiter. Man muss davon ausgehen, dass nach dem Restart eine erhebliche Zahl von Kindern nicht mehr dem Fußballsport nachgehen wird. Entweder sind es Bequemlichkeit, gesundheitliche Bedenken der Eltern oder fehlende Lust durch die lange Pause. Unabhängig davon, wie man das im Einzelnen bewertet, es wird Folgen haben und die begonnene Entwicklung beschleunigen.

Aus meiner Sicht werden auf Dauer dann aus Spielgemeinschaften wieder einzelne Vereine oder Spielgemeinschaften mit weniger Teilnehmern. Der Grund dafür wird sein, dass manche Vereine Ihre Fußballabteilungen, auch nicht in einer Spielgemeinschaft, erhalten können und diese sich dann ganz aus dem Fußball verabschieden oder im Extremfall sich der ganze Verein auflöst. Der Fußball wird seine führende Rolle in Deutschland nicht so schnell verlieren, aber es wird nicht mehr in jedem Dorf (man denke an Bayern wo jeder Ort mit 200 Einwohnern eine Fußballmannschaft hat) Fußball gespielt werden mit den entsprechenden Folgen für das Zusammenleben innerhalb der Ortschaften, weitere Fahrwege und auch das Verkommen der Infrastruktur.

Wie man die Saison sinnvoll fortsetzen könnte

Die aktuelle Pause ist deutlich schlimmer als die erste Pause im Frühjahr. Sprach man damals noch von „Entschleunigung“ und „Atempause“, geht es jetzt um die Existenz des Vereins- und Mannschaftssports. Alle hoffen, dass es möglichst bald weitergehen kann, aber natürlich nicht um jeden Preis. Die Gesundheit aller geht vor und nur dann kann es weitergehen.

Wir beim FV 08 Unterkochen sind der Meinung, dass die Saison auf jeden Fall zu Ende gespielt werden sollte, auch wenn es sehr deutlich in den Sommer hineingeht. Es kann dann eben nicht alles so bleiben wie es war mit Relegation am 10. Juni und Pause dann ab Ende Juni. Kreative Lösungen zum Wohl des Fußballs sind gefragt und diese werden von den Vereinen sicher dann auch mitgetragen.

Der Autor: Stefan Kurz, 32, ist seit 2008 in verschiedenen Funktionen für den FV Unterkochen tätig. Seit 2016 ist er Abteilungsleiter des Vereins – ganz bewusst, wie er erzählt, da er seine Talente eher neben als auf dem Platz sieht. Der Amateurfußball bietet aus Sicht von Stefan Kurz die beste Mischung aus Sport, Vereinsleben und Begegnungen mit Menschen.

Aufrufe: 016.1.2021, 21:29 Uhr
JHermannAutor