2024-05-02T16:12:49.858Z

Turnier
Innenverteidiger Jardel Nivaldo Vieira (links), genannt Jardel, von Benfica Lissabon, im Zweikampf mit Frankfurts Ante Rebic im Viertelfinalrückspiel der EuroLeague in dieser Saison. Jardel spielte im Alter von 22 bis 24 Jahren zwei Jahre lang für Des Foto: via www.imago-images.de
Innenverteidiger Jardel Nivaldo Vieira (links), genannt Jardel, von Benfica Lissabon, im Zweikampf mit Frankfurts Ante Rebic im Viertelfinalrückspiel der EuroLeague in dieser Saison. Jardel spielte im Alter von 22 bis 24 Jahren zwei Jahre lang für Des Foto: via www.imago-images.de
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Fußballfabrik im brasilianischen Urwald

Die Teilnehmer am Intern. U17-Silphienergie-Cup (8. bis 10. Juni): Desportivo Brasil

Bad Saulgau / - Acht Mannschaften gastieren an Pfingsten, vom Samstag, 8. bis zum Montag, 10. Juni im Ostracher Buchbühlstadion und spielen um den Internationalen U17-Silphienergie-Cup. Zum 49. Mal wird ein internationales Jugendturnier in Ostrach ausgespielt. Zum ersten Mal gastiert dabei Desportivo Brasil im Buchbühl – oder wie der Verein korrekt heißt: Desportivo Brasil Participacoes Ltda. (dt. Desportivo Brasil Beteiligungs-GmbH).

Die Gesellschaft ist noch recht jung. Sie wurde am 19. November 2005, also vor etwas mehr als 13 Jahren, gegründet. Erster namhafter Eigentümer war Traffic Sports Marketing, einer der größten Sportvermarkter Lateinamerikas, der TV-Sender, Zeitungen und TV-Produktionsfirmen sein Eigen nennt. Auf 180 000 Quadratmetern Gesamtfläche entstand in der Nähe von Porto Feliz, rund 100 Kilometer oder - nach brasilianischen Maßstäben und Straßenverhältnissen - drei Autostunden entfernt von Sao Paulo, eine topmoderne Akademie mit sieben Sportplätzen und einer perfekten Infrastruktur, mit Klassenräumen für Schüler, ein Auditorium mit einer 100-Zoll-Leinwand, eigenem Speisesaal und Platz für rund 190 Fußballer im Alter von elf bis 18 Jahren. Dort sollte, so formulierte es der damalige Vizepräsident von Desportivo, Rodolfo Canavesi, im Fachmagazin "11Freunde" im Jahr 2013, bis zum Jahr 2023 die modernste Akademie Lateinamerikas entstehen. Weniger freundlich bezeichnete das Fachmagazin im selben Artikel die Akademie als "Durchlauferhitzer". Wohl auch weil Canavesi ebenda gesagt hatte: "Uns interessiert nur Profit."

Doch ursprünglich hatten die Gründerväter der Akademie im Sinn, in Porto Feliz eine Fußballschule zu schaffen, um Jungen aus armen Familien von der Straße zu holen und ihnen eine Ausbildungsmöglichkeit zu bieten. Schnell entwickelte sich aus der sozialen Idee aber ein profitables Geschäft, mit entsprechenden Strippenziehern. Insider vergleichen den Klub mit einer Fabrik, die Fußballtalente produziere und verhökere. In den Jahren, in denen Traffic Sports Marketing das Sagen hatte, verkaufte Desportivo die Spieler fast nie zu 100 Prozent, sondern lieh sie aus oder behielt - auch in Aussicht weiterer Gewinne - 50 Prozent.

U17-Team spielt starke Saison

Schnell nach der Gründung witterten europäische Vereine das große Geschäft. Desportivo besorgte sich beratende Unterstützung, unter anderem vom FC Chelsea. Premier-League-Konkurrent Manchester United ging - in Erwartung von bestens für Europa vorbereiteten Toptalenten - eine Scouting-Partnerschaft mit den Brasilianern ein. Der starke Mann bei Desportivo in diesen Jahren hieß Jochen Lösch, ein Deutsch-Uruguayer, CEO von Traffic, der laut der Branchen-Homepage spox.de unter anderem als Spielerberater den Transfer von Maicousel nach Hoffenheim eingefädelt haben soll und die Aufnahme von Spielern in der Akademie als "massives Upgrade" in deren Leben bezeichnete (spox.com). Schnell sprachen sich Desportivos Vorzüge als Ausbildungsstätte herum: Ernährungswissenschaftler, Psychologen, Mediziner, Englisch- und mittlerweile Chinesischunterricht, Vorträge zum Verhalten und ein entsprechender Kodex kennzeichnen die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen. Über das ganze Land sind Scouts verteilt. Längst spielen die U-Mannschaften in der erweiterten brasilianischen Spitze mit. Die U17 erreichte in der abgelaufenen Saison die dritte Runde der nationalen Meisterschaft und verpasste die Endrunde nur knapp. Einzig die Profis dümpeln in der dritthöchsten Klasse der Sao-Paulo-Regionalmeisterschaft - auch weil sie keine Rolle im Konzept spielen. Für die Profis von Desportivo spielt nur, wer in Europa oder Asien oder bei einem brasilianischen Topklub keinen Vertrag kriegt. Dagegen hielt und hält sich Traffic Sports Marketing Vereine in anderen Ländern, um seine Spieler, die nicht nur bei Desportivo spielen, dort zu platzieren. Praia Estoril in Portugal, immerhin schon Euro-League-Teilnehmer, inzwischen aber wieder in die zweite Division abgestiegen, und die Fort Lauderdale Strikers sind Beispiele.

Rund 1000 brasilianische Fußballspieler verlassen laut "Spiegel" pro Jahr ihr Heimatland, um in der Fremde ihr Glück zu suchen. Manche landen in Europa, bei mehr oder weniger großen Vereinen, die größere Zahl wird in die europäische Provinz, nach China oder in ein anderes, für den Fußball unbedeutendes Land Asiens verramscht. Der Verkauf der Spieler aus dem fünftgrößten Staat der Erde in andere Länder hat seit 1993 über zwei Milliarden Euro umgesetzt. Einen ähnlichen Aderlass hatte wohl nur das russische Eishockey nach der Wende zu beklagen.

Knapp eineinhalb Jahrzehnte nach der Gründung und eine halbe Dekade bevor Desportivo das selbst formulierte Klassenziel erreicht haben wollte, hinkt die Wirklichkeit der Vison hinterher: Desportivo wurde Mitte 2014 von der Luneng-Gruppe übernommen, einem chinesischen Konzern (Immobilien, Energie), Tochter des staatlichen chinesischen Stromkonzerns. Präsident des Luneng Brazil Sports Center ist der Chinese Sun Li Chen. Jedes Jahr reisen 30 Chinesen nach Brasilien, um fußballerisch hinzuzulernen und zu spielen, im Auftrag des Mutterkonzerns. Denn zur Lunang-Gruppe gehört auch der vierfache chinesische Meister Shandong Luneng, für den derzeit der belgische Ex-Nationalspieler Fellaini spielt. Und auch die Verkäufe und Leihen Desportivos nach Europa funktionieren nicht ganz wie gedacht. Spieler wie Paulo Henrique (zuletzt Akhisaspor/Türkei), Carlinhos (ausgeliehen an Leverkusen (0 Spiele), Jahn Regensburg (13/2 Tore), FC Aarau (33/10, Estoril Praia (12), Standard Lüttich (30/1) oder Bruno Nascimento (13 Spiele für den 1. FC Köln)) setzten sich in Europa nicht durch, absolvierten zehn oder mehr Stationen. Ihr Leben ist Gegenstand einer Dokumentation, die unlängst im Rahmen der ARD-Sportschau über gescheiterte brasilianische Talente lief ("Mata Mata"). Eine Desportivo-Vergangenheit hat auch Innenverteidiger Jardel von Benfica Lissabon. Der Schönheitsfehler: Als er für Desportivo spielte, im Alter von 22 bis 24, war er längst der Jugend entwachsen.

Aufrufe: 09.5.2019, 00:10 Uhr
Schwäbische ZeitungAutor