2024-05-10T08:19:16.237Z

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Da oben auf dem Betzenberg thront das Fritz-Walter-Stadion. 	Archivfoto: dpa
Da oben auf dem Betzenberg thront das Fritz-Walter-Stadion. Archivfoto: dpa

Fußball-Gott wohnt uffm Betz

BUCH: +++ Man muss kein Lautern-Fan sein, um den Kult-Ort zu lieben / Ein Buch über ein besonderes Stadion +++

GIESSEN. Dies ist keine Buchkritik. Denn es verbietet sich, dieses Buch zu kritisieren. Denn das Buch, um das es geht, handelt von einem Ort, der über den Dingen steht. Vor allem auch über kleinmütiger Kritik – denn der Gegenstand, dem hier wuchtige 175 Seiten in einem prächtigen DIN A 4-Format gewidmet sind, ist zu groß für klein karierte Kritteleien – der Betzenberg. 100 Jahre wird das Wahrzeichen Kaiserslauterns alt, das auch ein zeitloses Wahrzeichen der Bundesliga ist. Immer noch, obwohl der 1. FC Kaiserslautern mit dem Fußball-Oberhaus in diesen Tagen so viel zu tun hat wie die deutsche Nationalmannschaft mit dem Weltmeistertitel.

Doch obwohl der FCK in den tiefsten Tälern struppigen Drittliga-Waldes verschollen ist, ist der Verein doch weiter obenauf. Zumindest wenn ein Heimspiel ruft – uff‘m Betze. Das ist Deutschlands höchster Fußballberg, angelegt wie jene Burganlagen, die im Mittelalter auf jeden Hügel, jeden Gipfel gezimmert wurden und im besten Falle uneinnehmbar waren – Trutzburgen, weithin sichtbare Zeichen der Macht.

Man muss kein Fan der Pfälzer sein, um als passionierter Stadiongänger die Einzigartigkeit, man könnte es Aura nennen, zu empfinden, die der „Betze“ ausstrahlt. Kein Stadion, nirgends, das so exponiert liegt und auf dem Weg dorthin, weil es stetig bergauf geht, so intensiv die Vorfreude auf das bevorstehende Ereignis weckt. In Kaiserslautern geht man nicht ins Stadion, sondern man unternimmt eine Pilgerreise – das sehen vielleicht nur Fans aus Mannheim und Mainz anders. Der Betzenberg ist, in Kombination mit dem daneben aufragenden Hochhaus, ein Unikat, weit weg von den Plastikarenen auf der grünen Wiese. Ähnlich exponiert, wenn auch nicht auf dem Gipfel, sondern platt wie eine Flunder, ist deutschlandweit nur noch das Millerntor, Heimat des FC St. Pauli. Mitten im Leben und direkt neben dem Hamburger Dom, von dessen Riesenrad man hineinschauen kann in das Stadion des kultigen Zweitligisten. Aber sonst?

Seit 35 Jahren heißt das ehemalige Betzenberg- Fritz-Walter-Stadion, benannt nach dem Ehrenspielführer der deutschen Nationalmannschaft, dem Kapitän der Weltmeister von 1954, der vor drei Wochen auch seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte. Fritz Walter und der Betzenberg – beide Baujahr 1920, welch schicksalhafte Fügung, als gäbe es einen Fußball-Gott. Der wohl auch der Einzige wäre, der dem 1. FC Kaiserslautern aktuell noch helfen könnte in dessen freiem Fall zwischen „Himmel und Hölle“, wie es im Untertitel heißt. Doch hilft ein Gott den Teufeln?

Und so kommen wir dann doch zum Buch, das akribischer und detailreicher nicht gestaltet sein könnte. Schon der Einführungstext eines Prof. Dr. Hans-Joachim Fuchs (Geograf, Pfälzer und FCK-Mitglied) über „Berge im Allgemeinen und den Betzenberg im Speziellen“ kommt mit feiner Klinge daher – und höchst interessanten Erkenntnissen: „(...) Zum Beispiel, wenn es anfängt zu regnen, wie am 18. Mai 2008, und die Betzenberg-Atmosphäre mit einem besonderen Wetter-Attribut erweitert: das Fritz-Walter-Wetter, das schon 1954 in Bern kein Nachteil war, sondern beflügelte. Durch die Luftmassen-Staulage in der Westwind-Zone am Nordwestrand des Pfälzer Waldes kommt es zu häufigen Niederschlagsereignissen.“ Und: „Aus der tiefer gelegenen Stadtmitte kommend, verstärkt sich der Gipfeleindruck, denn die Anfahrt erfolgt über die steile Nordflanke. Es ist somit beim Annähern schon zu spüren, dass es sich um einen ganz besonderen Ort handelt; vielleicht ein Grund für die sprichwörtliche Angst der Gastmannschaften vor dem Betzenberg.“ Nach diesen einführenden Worten begibt man sich in dem liebevoll bebilderten und textsicheren Werk auf eine chrono und logische Zeitreise durch die Geschichte des kultigsten Stadions der Republik. In jedem Kapitel werden dabei, parallel zu Umbau oder Sanierung, die sportlichen (Miss)-Erfolge, die kleinen Tragödien und großen Triumphe erzählt. Und alle Größen tauchen auf – die Walter-Brüder, Horst Eckel, Briegel, Hellström, Rehhagel, Brehme, Klose und wie sie alle heißen.

Man muss wahrlich kein Lautern-Fan sein, um das Buch wertzuschätzen. Und so verbietet sich Kritik daran – im Gegensatz zu jener am Gebaren des Vereins in den letzten Jahren. Aber der Betze, der ist und bleibt Kult. Wie das Buch eindringlich zeigt.

Dominic Bold, „Betzenberg. 100 Jahre zwischen Himmel und Hölle.“ Verlag Die Werkstatt. 176 Seiten, 24,90 Euro.

Aufrufe: 021.11.2020, 08:00 Uhr
Rüdiger Dittrich (Gießener Anzeiger)Autor