2024-04-24T13:20:38.835Z

Querpass
Ein Leben für die Bande: Autor Florian Ludwig hat in "Mit Fußfesseln bin ich nicht so flott" einiges daraus aufgeschrieben. Foto: privat
Ein Leben für die Bande: Autor Florian Ludwig hat in "Mit Fußfesseln bin ich nicht so flott" einiges daraus aufgeschrieben. Foto: privat

Fußball, Fesseln und nur ein wenig Remmidemmi

Florian Ludwig aus Rathenow hat ein äußerst unterhaltsames Buch über sein Leben geschrieben. Als Fan von TeBe-Berlin und reiselustiger Ex-Brandenburger geht es in vielen seiner Episoden natürlich auch um das runde Leder.

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Brille, Basecap, unauffällige Stoffjacke. Florian Ludwig, 43, geboren in Rathenow sieht aus wie ein ganz normaler Fußballnerd. Unter der Woche Arbeit. Sonnabends Bande. Sonntags auch. Wer seinen Roman „Mit Fußfesseln bin ich nicht so flott“ liest, bemerkt allerdings schnell, dass dieser Florian Ludwig doch einen besonderen Blick auf die Dinge besitzt.

Ludwig hat sich politisch engagiert, bereits im Gefängnis gesessen und tobt auch bei Vereinen umher, die nicht den besten Ruf genießen. Trotzdem sagt der Autor, Verlage hätten sein Buch abgelehnt, weil ihnen zu wenig Krawall und Remmidemmi darin vorkam. Und damit haben sie sogar Recht, wie der Autor im Interview erzählt.

Florian, du bist in Rathenow aufgewachsen und hast dort deine frühe Jugend verbracht. Optik oder BSC?

„Einige Jungs aus der Schule oder dem Viertel spielten bei Motor, heute FSV Optik. Bei den wenigen Besuchen im Stadion am Vogelgesang amüsierten wir uns als Kids über die Schrulligkeiten der DDR-Bezirksliga: die bierbäuchigen Linienrichter, der einmal sogar aus den Zuschauerreihen zwangsverpflichtet wurde. So manch schräge Treter einiger Spieler und so weiter. Irgendwann Ende der Achtziger wurden wir über die Schule zum Besuch des U-18 Länderspiels DDR gegen Griechenland zwangsverpflichtet. In der zweiten Halbzeit zündeten wir unsere ‚Rauchbombe‘. Aufgeschnittener Tischtennisball, mit Watte und Klebstoff gefüllt.“

Eine interessante Kombination. Wie ging das weiter?

„Es qualmte so vor sich hin, der Stadionsprecher ermahnte die ‚jungen Sportfreunde‘, den Quatsch zu lassen. Es gab kein Stadionverbot, kein Schultadel, keinen Wasserwerfereinsatz. Das Spiel wurde auch nicht gleich unterbrochen.

Anfang der Neunziger unterstützten wir mit 150 subkulturellen Freaks Türkiyemspor Berlin beim Spiel in Rathenow. Es wurde befürchtet, dass die örtliche psychopathische Neonaziszene das Spiel für Krawall nutzen würde. Die ließen sich aber nicht blicken. Einer der Punkerhunde stürmte den Platz und schnappte sich den Ball. Der Mob jubelte.“

Das ist ja schon eine ganze Weile her. Warst Du seitdem nicht mehr im Stadion?

„Mit TeBe war ich zweimal da. Einmal sind wir mit mehr als hundert Fans dort aufgelaufen, und das in der 5. Liga Nordnordost. In der zweiten Halbzeit war die Bratwurst alle und die örtlichen Grillmeister hauten kurzerhand Bockwurst auf den Grill. Hat wider Erwarten geschmeckt, wir feierten sie dafür.
Letztes Jahr war ich beim DFB-Pokal-Spiel gegen den FC St. Pauli. War alles sportlich fair, in der Stadt und im Stadion, hat mir gut gefallen. Und Ingo Kahlisch, der Optik-Trainer, ist ein cooler Typ.“

Allerdings auch einer, der durch seine direkte Art ab und an mal aneckt. Wie hat sich dein Kahlisch-Bild entwickelt?

„Nach dem Spiel gegen St. Pauli guckte ich mir abends noch den RBB-Sportplatz an. Lange nach Abpfiff hielt der Kameramann noch einmal drauf, wie Kahlisch da so in Jogginghose und Badelatschen zwischen den Kabinen umherschlappte. Ein, die innere Ruhe ausstrahlender, Fußballbuddha, der den Journalisten mit auf den Weg gab: ‚Wat wollt ihr denn noch hier?!‘ Der Spruch, die Mimik, das Gesamtbild, ich hatte am späten Sonntagabend lokalpatriotische Gefühlszustände und ein Kurzzeitidol für die anbrechende neue Woche.“

Erinnerst du dich noch an deine ersten fußballerischen Gehversuche in Rathenow?

„Ja. Nach der Schule, zwischen den Wäschestangen. Wir sind auch mal beim Sportplatz über den Zaun geklettert, um richtig auf dem Platz zu spielen. Ich war aber Schwimmer, habe erst im Trainingszentrum und dann in der Betriebssportgemeinschaft Einheit meine Bahnen gezogen.“

Wie bist du davon weg- und schließlich zum Fußball gekommen? Oder lief das nebenher?

„Mein erstes Live-Spiel war zu Ostzeiten durch unseren Schwimmtrainer organisiert worden. Ein ehemaliger Schleifer vom SC Dynamo. Keiner weiß, warum der auf einmal in der Provinz bei einer popeligen BSG Trainer wurde. Jedenfalls gab es großen Sport zu sehen, BFC gegen Magdeburg. Da war so viel los, in meiner Einheit-Rathenow-Trainingsjacke bekam ich die Eindrücke kaum verarbeitet.
Mit Schulkumpels bin ich auch öfter nach Brandenburg zu Stahl gefahren, das erste Spiel erlebte ich dort gegen Jena. Rathenow hatte mit Jena ja eine besondere Verknüpfung wegen der optischen Industrie. Nach dem vierten Tor für Carl Zeiss sind wir gegangen, denn wir hatten alles gesehen und schafften einen Bus früher.“

Klingt ja fast so, als hättest du dann schnell mit dem Thema abgeschlossen.

„Na ja. Ich war in Magdeburg, Rostock, Bischofswerda und Köpenick gucken, ein Osthopper in der Zone. Jung an Jahren und damals schon Hopping-Punkte im Gepäck, die mir wohl heute keiner mehr anrechnet. Bei mir in der Klasse waren alle Jungs Bayern-München-Sympathisanten. Nur ich hielt zum 1. FC Köln. Allofs, Schuhmacher, Littbarski und so. War dann aber schnell vorbei.“

Mit Tennis Borussia bist du aber gewissermaßen wieder bei einem Westverein gelandet. Wo – so wie du selbst schreibst – die Berliner-Fußball-Opas noch an der Bande regieren.

„Na die Fußballrentner gibt es ja mehr oder weniger bei jedem Verein. Inzwischen finde ich, dass deren Punkrockfaktor relativ hoch ist. Große Klappe, schräges Outfit und was die noch an Bier und Schnaps weghauen, meine Güte! Die sind mir zehnmal lieber als irgendwelche Eventkasper, die den Fußballplatz als szenigen Geheimtipp für sich entdeckt haben.“

Spielst Du da zum Beispiel auf den FC Union Berlin an, der in deinem Buch als Metapher für Mundgeruch herhalten muss und der mittlerweile außergewöhnlich viele junge Leute zieht?

„Ist Union ein Geheimtipp für Berliner Szenetypen auf der Suche nach der Szene? Keine Ahnung. Im Buch mache ich über meine Antipathien gegenüber den Förstern kein Geheimnis. Sie müssen darin auch mal für die negative Untermalung verschiedener Bilder herhalten.“


Es ist auffällig und natürlich gleichermaßen unterhaltsam, dass sich in deinem Buch viele schräge Vögel tummeln. Geht Fußball für dich auch ohne die?

„Klar wird der Fußball auch ohne funktionieren, nur macht es mir dann keinen Spaß mehr. Es ist eben auch das ganze Drumherum, was mich über die Jahre gebunden hat und nicht nur das Spiel an sich.“

Apropos Drumherum: Jeder Verein, der was auf sich hält, hat heute eine Ultra-Gruppe. Geht Dir das Getöse in Ray-Ban-Brillen auf den Keks?

„Viele Jugendliche, die heute ins Stadion gehen, definieren sich als Ultra. Ist eben das Ding der jetzigen Zeit. Meins ist es nicht, denn wenn ich mal singe oder Schlachtrufe schmettere, tue ich das aus eigenem Antrieb und nicht, weil ein Musikschullehrer mit Megaphone mir das befiehlt. Auf den Keks gehen mir aber eigentlich nur diese aufgepumpten Combos, die primär ihr Mackertum und ihren pseudomilitanten Fetisch pflegen.“

Die bei TeBe eher zu den Raritäten gehören dürften…

„…TeBe war für mich damals die einzige Berliner Alternative, wenn man regelmäßig ins Stadion gehen wollte. Die Prägung der Kurven oder Fanblöcke ist mir bis heute immer noch wichtiger als das, was im Verein rumspringt. Sicher war das bei TeBe anstrengend. Stichworte Göttinger Gruppe, Mario Weinkauf und andere halbseidene Leuchten des Fußballgeschäftes.“

Vielleicht kurz zur Erklärung, die haben mehr oder weniger versucht, den Verein ins Profigeschäft zu führen und dann finanziell auszupressen, bis nichts mehr geht. Nur um dann einen Scherbenhaufen zu hinterlassen.

„Den Scherbenhaufen sicherlich nicht mit Absicht, aber die Göttinger Gruppe versuchte im Hau-Ruck-Verfahren, am großen Fußballgeschäft mitzuverdienen. Bei TeBe ist der Gesang ‚Wir steigen auf und niemals ab, in drei Tagen Europacup!‘ heute noch ein gern geträllerter Hit mit selbstironischem Bezug auf die damalige Zeit. Die Akte Weinkauf ist das beste Beispiel für einen manischen Fußballzocker, der nur Amateurligareife hat. Aber unbedingt ganz oben mitspielen will. TeBe war damals ein Verein, der jedem Märchenonkel die Tür öffnete, der vermeintliche Visionen hatte und den dicken Koffer versprach. Passiert hoffentlich nie wieder.“

Das wünscht man keinem Club. Was hat dich denn im Block bei Tennis Borussia gehalten?

„Die kleine TeBe-Fanszene hat es oft geschafft, anderen, eher rustikalen, Fanszenen mit Witz und Humor zu begegnen. Den Herthanern beim 98er DFB-Pokal-Derby als Antwort auf ihr, von der BZ gesponsortes Transparent ‚Das Herz der Berliner schlägt für Hertha BSC!‘, eins mit der Aufschrift ‚Eure Mütter backen für uns!‘ entgegenzuhalten – da musst du erstmal drauf kommen.“

Das stimmt. Lustige Aktion. Du gehst aber nicht nur zu TeBe, stimmt‘s?

„Das stimmt. Schön war es immer bei den Heimspielen auf der Adolf-Jäger-Kampfbahn in Hamburg bei Altona 93. Schade, dass dies nun Geschichte ist. Eines der schönsten Stadien wird nun platt gemacht und das Gelände bebaut. Beim BFC bin ich auch öfter zu treffen. Auch wenn da einige mit den Ohren schlackern. Aufgrund vereinsübergreifender Gemeinsamkeiten, die man mit anderen Fußballhotten teilt, ergab sich das so. Nun sitzen wir da schön bei den Heimspielen rum und üben schon mal für die anstehende Karriere als zukünftige Fußball-Rentner.“

So schließt sich der Kreis zum Mommsenstadion wieder.

„Stimmt, und was viele nicht wissen: Vor 1989 besuchte eine kleine TeBe-Delegation die Heimspiele des BFC mehr oder weniger regelmäßig, allein schon aufgrund dieser damaligen ‚Freunde hinter Stacheldraht‘-Eierei von Union und Hertha. Die Auswärtsfans wunderten sich dann immer über die ‚Aue-Fahnen‘ im BFC-Block.“



In noch keiner Zeile dieses Interviews haben wir bislang über dein Buch gesprochen: Das ist zwar bei Trolsen erschienen, ein Verlag, der sich eindeutig auf Literatur zum runden Leder spezialisiert hat. Im engeren Sinne sind die „Fußfesseln“ aber kein reines Fußballbuch.

„Ich wollte mehr erzählen, als nur über mein Dasein als Fan. Habe ja auch einiges erlebt. Mich hat die Mischung gereizt, um die es in meinen Geschichten geht. Der Trolsen-Verlag ist zwar in erster Linie für seine Fußballbücher bekannt, bringt aber eben auch andere raus. Nichtsdestotrotz war mein Buch aber auch für Henning Trolsen Neuland. Aber er hat mein Skript insgesamt akzeptiert, andere Verlage wollten mehr ‚Krawall und Remmidemmi‘, mehr ‚Ostlereinschlag‘ oder mehr ‚linksradikale Ansätze‘.“

Im Grunde sind aber genau das die Zutaten. Mal abgesehen von - um im Bild zu bleiben - den "Wessis" von TeBe.

„Das sind die Zutaten, jawoll. Aber wie schrieb ein Kritiker: ‚Wer bei diesem Buch, wie bei anderen Veröffentlichungen aus dem Trolsen-Verlag, Geschichten über Fußballrandale und Action erwartet, wird vermutlich enttäuscht werden, denn von all dem gibt es hier wenig zu lesen.‘"

Ebenso wie Episoden aus deiner Zeit hinter Gittern. Dabei ist das doch die erste Assoziation, wenn man sich den Buchdeckel so anschaut. Schließlich bist du vor der Justizvollzugsanstalt Moabit zu sehen.

„Die Bewältigung der Konfrontationen mit Polizei und Justiz fanden auf anderen Ebenen statt, das war nie meine Schreibmotivation. Das was ich erzählen wollte, da hatte ich von Anfang an auch die Idee, wie ich es erzähle. Und Trolsen war der Verlag, der das so, bis auf kleine Abstriche, auch akzeptiert hat.“

Du hast dich – so kann man es in den „Fußfesseln“ lesen – immer auch politisch engagiert. Nun halten es einige Leute im Fußball ähnlich wie bei Staat und Kirche. Fußball und Politik – geht das zusammen?

„Warum nicht? Der FC Sankt Pauli in den Neunzigern ist ein Beispiel dafür. Ich denke, die haben viel bewirkt. Auch, dass große Teile der Fankultur derzeit so sind, wie sie sind. Inzwischen ist es mir aber auch manchmal schon zu überladen, ehrlich gesagt. Widersprüche finden sich im Stadion genauso wie auf der außerhalb der Ränge. Ob man sie dadurch verringert, indem man sie immer wieder Mantra-mäßig anklagt, weiß ich nicht. Mir fehlt, nicht nur im Stadion, oft ein selbstkritisches Hinterfragen der eigenen Konzepte.“

Stichwort Konzepte. TeBe hat die Initiative „Fußballfans gegen Homophobie“ ins Leben gerufen, die für einigen Wirbel gesorgt hat.

„Ja, es gab zum Beispiel damals eine Veranstaltung mit einem türkischen Schiedsrichter im Rahmen der Kampagne. Der hatte wegen seiner Homosexualität eine lebenslange Sperre vom türkischen Verband bekommen, da ihm beim dortigen Militär Homosexualität als Krankheit diagnostiziert wurde. Schwul sein als offizielle Diagnose. Geht‘s noch?“

Da kann man nur froh sein, dass sowas hierzulande nicht mehr möglich wäre. Zum Abschluss noch die Frage an dich als Exilbrandenburger: Wer ist der gefährlichste Gegner für TeBe aus dem Umland in der gerade gestarteten Oberliga-Saison und warum?

„Gute Frage, ich weiß es ehrlich gesagt nicht. Zumindest bin ich auf die Mannschaften neugierig, die wir zur damaligen Oberligazeit noch nicht kennen gelernt haben: Strausberg, Seelow oder Frankfurt (Oder). Lichtenberg und Malchow sind für mich kleine Favoriten, beim BSC Süd ist es ja auch manchmal ganz interessant, hinzugucken, wie die durch die Saison rudern. Ich bin gespannt. Auf jeden Fall endlich mal wieder Auswärtsfahrten, von denen man nicht schneller wieder zu Hause ist, als von Arbeit.“

Am Freitag, den 29. August, liest Florian Ludwig beim Spiel Lichtrenberg 47 vs. Tennis Borussia in der Magdalenenstraße 19 in Berlin aus "Mit Fußfesseln bin ich nicht so flott". Die Lesung startet ab 11 Uhr, wird für das Spiel unterbrochen und geht nach der Partie bis 18 Uhr weiter.

>>>Den Liveticker zum Spiel gibt es ab 14 Uhr an dieser Stelle!

Aufrufe: 026.8.2015, 07:28 Uhr
Marc SchützAutor