2024-04-25T14:35:39.956Z

Querpass

Derby-Deserteure

oder: wie "frau" sich als Verräterin fühlt

Eine Trennung ist nie eine schöne Angelegenheit und so manche böse (wahre?) Zunge behauptet, dass sich bei Trennungen erst der wahre Charakter eines Menschen zeige. Diese geflügelten Worte mögen manchmal ihre Richtigkeit haben, genau dann, wenn die Trennung schmutzig oder unfair erfolgte.

Der Volksmund stößt aber dann an seine natürlichen Grenzen, wenn eben jene keine besseren Umstände zuließ und folglich aus diesem Grunde unglücklich (un-) aufrichtig verlief. Außerdem wird der „Verlassene“ bzw. Zurückgelassene selten ein gutes Wort aufgrund persönlicher Motive oder Eitelkeiten für den Abtrünnigen übrig haben. Verletzte Gefühle, zu Schaden gekommener Stolz oder aber auch einfach das kopfschüttelnde Nichteinsehen über die finite Entscheidung des Gegenübers sind maßgebliche Faktoren dafür.

Ähnlich verhält es sich beim Fußball dann, wenn ein Spieler oder eine Spielerin einen Vereinswechsel in Erwägung zieht. Am jüngsten Beispiel von WM-Held Mario Götze lässt sich die Bandbreite des emotionalen Spektrums solcher Vereins-Wechsel und damit verbundener Trennungen nachvollziehen. Besondere Brisanz bekommt dieser Transfer, da es sich beim Wechsel vom Rekordmeister (FC Bayern München) zum Rivalen aus dem Pott (Borussia Dortmund) um eine Rückkehr des einstigen Borussen handelt. Wieviel Schmäh, harte Kritik, Hasstiraden , üble Bezeichnungen („Judas“; „Verräter“ uvm.) musste das junge Talent über sich ergehen lassen! Er ist entschlossen, unbeirrbar und selbstbewusst diesen schweren Weg gegangen und genauso souverän kehrt er zurück: gestärkt, geläutert, aber natürlich auch ein wenig desillusioniert, weil er nie so richtig Fuß fassen konnte in der bayrischen Hauptstadt. Der einstige Ziehvater (Hans-Joachim Watzke) und neuer dynamischer Fußballlehrer (Thomas Tuchel) nehmen den reumütigen Sünder (?) herzlich und offen in ihre eigenen Reihen wieder auf. Man kann gespannt sein, ob die tief im Innersten getroffene Borussen-Fanseele ähnlich großzügig und nachsichtig ihn zurück in der wahren Heimat willkommen heißen wird oder das einstige Band der echten Liebe irreversibel zerrissen ist. Denn nur selten sind Come-Backs in Liebesbeziehungen von Erfolg gekrönt. Dafür bedarf es viel Arbeit. Und wie heißt es auch im Volksmund an die heraklitische Formel angelehnt so schön?

Man springt nicht zweimal in den gleichen Fluss (Querpass wird darüber berichten).

Einen ähnlich spannenden Transfer-Hammer ereignete sich nun in der 2. Bundesliga Nord. Ein weibliches Trio aus Ostwestfalen hat beschlossen, sich zur neuen Spielzeit (2016/2017) ausgerechnet dem Aufsteiger und somit unmittelbaren Ligakonkurrenten DSC Arminia Bielefeld anzuschließen. Damit komplettiert die Überraschungsmannschaft des Jahres 2016 das neue Derbydreieck um die etablierten Zweitligisten Herforder SV und FSV Gütersloh 2009. Spannendes Detail: Man fühlt sich ein wenig an Arthur Schnitzlers Reigen erinnert, da mit Maxine Birker, Celine Preuss, Kamila Kmiezik, und Romina Burgheim Arminia Spielerinnen in ihren eigenen Reihen hat, die schon für den Herforder SV ihre Fußballschuhe geschnürt haben, aber aus diversen Gründen ihr Glück nun in der Stadt, die es ja eigentlich nicht gibt, gesucht und gefunden haben.

Querpass hat die drei hochkarätigen Neuzugänge, Vivien Brandt (U-19 Nationaltorhüterin) Sarah Grünheid (Top-Torjägerin von Gütersloh mit 14 Treffern in der 2. Bundesliga Nord 2015/2016) und Annabel Jäger (Ex- U17-Nationalspielerin) zu den Hintergründen, Reaktionen und ihren persönlichen Visionen befragt und spannende Einblicke gewinnen können.

1. Wie lang habt ihr für den FSV gespielt und warum?

Sarah Grünheid (S.G.): Mir war das Glück, in Gütersloh zu spielen leider nur ein Jahr beschienen. Nachdem sich die Mannschaft des VfL Bochums zwangsauflösend musste, habe ich nach einem sehr guten Gespräch mit dem damaligen Trainer Christian-Franz Pohlmann entschieden, den geliebten Ruhrpott für Ostwestfalen zu verlassen. Mein Bauchgefühl hat einfach „Ja!“ gesagt.

Annabel Jäger (A.J.): Für mich hieß es nach Spielstationen in Wolfsburg (1. Bundesliga) und Cloppenburg (2. Bundesliga) Back to the roots. Ich bin ja schließlich in Gütersloh geboren und hatte dort zwölf Jahre gespielt. An meine Zeit im Sportinternat habe ich nur gute Erinnerungen und ich dachte mir überdies, irgendwie muss man sein Leben ja wieder in den Griff kriegen.

Vivien Brandt (V.B.): Insgesamt habe ich fünf Jahre beim FSV eine wunderschöne Zeit verlebt. Als ich mit 13 Jahren von Behausen nach Gütersloh gewechselt bin, war es der Verein, der damals am klassenhöchsten gespielt hat und es auch vom Fahren her am angenehmsten war. Da ich in Paderborn wohne, war dieser Aspekt ein sehr wichtiger!

2. Wie haben die Verantwortlichen auf eure Wechselabsichten reagiert? Haben sie (unnötig) Steine in den Weg gelegt oder euch einen roten Teppich ausgebreitet?

S. G. (reflektiert): Naja, dass man nicht begeistert war, kann man sich ja denken. Dennoch hat man bei meiner virtuellen Danksagung über fb anhand der Kommentare erkennen können, dass die guten Wünsche eher mir persönlich gewidmet waren als dem zukünftigen Konkurrenten aus Ost-Westfalen.

A:J: (deliberativ): Mmmmhhh schwierig zu sagen. Es gab gemischte Reaktionen. Am Ende ging alles ganz schnell und relativ nüchtern: Sie haben mir die Türen geöffnet und ich bin abgehauen. Ich denke, der Wechsel fand im berühmten „gegenseitigen Einvernehmen“ statt.

V.B. (nüchtern): Eigentlich war alles in Ordnung. Als sie davon erfahren haben, haben sie teilweise viel Verständnis gezeigt, andere wiederum haben ihre Verärgerung offen gezeigt.

3. Eure Derby-Devise: Verständnis suchen oder Verstand einschalten?

S. G. (ganz vernünftig): Nun ehrlich gesagt, war dieser Wechsel für mich total unproblematisch. Ich bin nicht mit dieser Städte-Konkurrenz aufgewachsen. Als echter Ruhrpottler sehe ich diese Brisanz eher zwischen dem FFC Recklinghausen und VfL Bochum. Ich habe die Ziele und Perspektiven bei Bielefeld gesehen. Die gesamte Ausrichtung vom Verein hat mich am Ende überzeugt. Da steht ein Club, nein sogar die Stadt, voll und ganz hinter seiner Frauenabteilung. Ich habe mir ja selbst zwei, dreimal vor Ort von den zahlreichen Interessenten ein persönliches Bild gemacht, die selbst in der 3. Liga zum Zuschauen kamen. Das hat mir sehr imponiert. Die 20ig Zuschauer in Gütersloh können da nicht mithalten.

A. J. (ahnungsvoll): Puhhh, ganz ehrlich? Gütersloh ist meiner Einschätzung nach eine tickende Zeitbombe, man weiß nie, wie lang es da noch gut geht. Das ist nicht böse gemeint, sondern traurige Realität.

V.B. (professionell): Ganz ehrlich? Ich fühle mich überhaupt nicht als Verräter. Ich denke, ich habe sehr professionell agiert und frühzeitig und fair für Transparenz gesorgt. Daher habe ich keine Gewissensbisse und kann mich nun frei und fröhlich der Identifikation mit meiner neuen fussballerischen Heimat, DSC Arminia Bielefeld, widmen.

Am 04.11. 2016 kommt es zum ersten großen Showdown. Dann empfängt der verlassene FSV seine Derby-Deserteure zum großen Leistungs- und Kräftemessen in der Tönnies-Arena. Während Sarah Grünheid einen herzlichen Empfang mit Blumen und Pralinen erwartet, da sie ja schließlich noch nicht persönlich verabschiedet worden sei, sieht Annabel Jäger dem Tag gelassen und professionell entgegen ein. Denn, so gesteht sie mit einem vielsagenden Schmunzeln, gebe es genügend Gesichter, auf die sie sich freuen kann. Ähnlich ergeht es der groß gewachsenen Vivien Brandt. Aufgrund der sehr übersichtlichen Fangemeinde in Gütersloh erwarte sie kein frenetisches Pfeifkonzert! Ganz im Gegenteil. In den fünf Jahren habe sie viele Freundschaften geschlossen, die den Wechsel problemlos verkraften und sie sich daher eher auf einen freundschaftlichen, liebevollen Empfang freuen kann. Außerdem wird ihr Freund Stefan W, der selbst für die U23 von Wiedenbrück in der Bezirksliga aktiv ist, ihr Rückhalt geben. Und mit so einem starken Mann an ihrer Seite kann ihr so schnell keiner was anhaben! :D

5. Nachgehakt: Was hat es mit dem Vorwurf von Gütersloh auf sich, Arminia schwäche bewusst seine Konkurrenz! Vergleichbar mit den umtriebigen Transferpokers, die der FC Bayern im Herrenfussball Saison für Saison tätigt:

S.G. (empört): Diese Anschuldigung ist völliger Quatsch. Der Wechsel war eine persönliche und sehr bewusste Entscheidung meinerseits. Ich wurde nicht gezwungen. Natürlich kam die Initiative vom DSC, die letztlich auf Gegenliebe stieß.

A. J. (unbeeindruckt): Solche Zitate spiegeln für mich nur den Neid wieder. Man darf die Internatskultur von Gütersloh nicht vergessen. Aus mäßig nachvollziehbaren Gründen wird von diesen Spielerinnen im Anschluss erwartet, ihrem Ausbildungsverein treu zu bleiben. Dabei erachte ich eine gleichmäßige selbstständige Verteilung bzw. Aufteilung auf die anderen OWL - Vereine als viel sinnvoller: Eine solche freie Wahl käme allen beteiligten Vereinen zu Gute: Die Leistungsdichte wird lokal erhöht und somit die allgemeine Wettbewerbsfähigkeit. Gleichzeitig wird einem Fußballmonopol vorgesorgt, was, wie in vielen anderen Bereichen, Langeweile und Einöde verhindert.

V.B. (amüsiert): Das ist absolut lächerlich! Arminia musste sich als Aufsteiger auf manchen Positionen verstärken, um konkurrenzfähig zu sein. Das ist der normale Werdegang im Fußballgeschäft. Bielefeld hat alles richtig gemacht!

6. Haben solche Wechsel eine ähnliche Brisanz wie im Männerfussball?

S.G. (fachmännisch): Nein, auf keinen Fall. Das hat einen ganz einfachen Grund. Die fehlenden riesigen Fanmassen (die dann doch nicht einmal in Bielefeld vorzufinden sind, Anm. d. Red.), die eine solche Entscheidung der Spielerin so verurteilen. Der öffentlicher Druck ist für uns vieeeeeeel geringer und damit verbunden auch das mögliche Identifikationspotential. Machen wir uns nichts vor: Im Frauenfussball ist es ein Kommen und Gehen. In Gütersloh zu meiner Zeit waren zum Beispiel nur 50 % der Spielerinnen auch erst gerade einmal ein Jahr da.

A.J. (sanft): Ich muss da Sarah beipflichten. Ich empfinde solche Revier- Wechsel als total unproblematisch. Als Frau ist man ja leider noch zusätzlich an den Job gebunden, während für die Herren in der 1. und 2. Liga der Fußball die Haupteinnahmensquelle bildet. Aus diesem Grunde muss man in der Region bleiben, es sei denn, man hat wie Sarah andere Gründe, die einen woanders hinziehen….

V.B. (entschieden) Davon kann keine Rede sein! Der Öffentlichkeit im Frauenfussball kommt eine viel untergeordnete Rolle zu. Außerdem stimme ich Sarah zu, dass Wechsel im Frauenfussball viel mehr an der Tagesordnung stehen. Vielleicht mag das daran liegen, dass man im anderen Verein höhere Chancen auf mehr Spielzeit hat. Bei den Herren sind es meist gestandene Mannschaften, die nur punktuell verstärkt werden. Zwölf Neuzugänge wie jetzt beim Herforder SV hingegen sind dort eine Rarität!

7. Wie hat Ex-Atheliktrainerin Britta Heinke , die selbst vom Herforder SV kam, auf eure Wechselabsichten reagiert:

S.G. (differenziert): Einerseits zeigte sie sehr große Enttäuschung und Trauer, als mein Wechsel feststand. Schließlich hatte sie sich sehr intensiv um meinen Verbleib bemüht. Ich war aber von Anfang an sehr offen zu ihr und hatte schon frühzeitig signalisiert, dass es nicht klar sei, wie es weiterginge. Daher wünschte sie mir trotzdem persönlich alles Gute. ihre eigene Biographie blieb aber in all unseren Gesprächen außen vor.

A.J. (respektvoll): Ich schätze Britta als eine Person mit einer wirklich guten Persönlichkeit. Sie sagt ehrlich, was sie denkt. Ich kann nichts Negatives gegen sie sagen!

V.B. (milde): Wir sind friedlich auseinandergegangen. Natürlich war sie sehr enttäuscht, als ich sie telefonisch informiert hatte. Andererseits hat sie mir auch alles Gute gewünscht.

8. Wie haben die DSC-Damen auf eure Vergangenheit reagiert? Wie wurdet ihr empfangen?

S.G. (enthusiastisch): Also ich bin mit total offenen Armen empfangen worden. Irgendwelche Ressentiments oder Feindseligkeiten aufgrund meiner fußballerischen Vergangenheit habe ich (noch) nicht spüren können.

A.J. (dankbar): Unser Empfang war wirklich herzlich. Einige Gesichter kannte ich ja schon und auf die Unbekannten habe ich mich schon sehr gefreut. Ich habe mich direkt wohl gefühlt!

V.B. (euphorisch): Sehr herzlich und nett! Wir wurden nicht ausgeschlossen oder kritisch beäugt, nur weil wir vom Rivalen kamen. Unsere Vergangenheit spielt keine Rolle, sondern nur das hier und jetzt.

9. Was sind deine (persönlichen ) Hoffnungen und Ziele für die Saison?

S. G. (ehrgeizig): In aller erster Hinsicht möchte ich mich mit Arminia in der Liga etablieren. Langfristig gesehen, möchte ich natürlich aufsteigen, am liebsten schon nächste Saison! Ich geh doch nicht auf den Platz und sage „Ich will Siebter werden.!“ Das ist nicht mein Anspruch. Persönlich hoffe ich, die Mannschaft sehr verstärken zu können! Nur so kann ich am besten meine Fähigkeiten als Stoßstürmerin der Mannschaft zu Gute kommen lassen. Ideal wäre es natürlich, die persönliche Bestmarke von 14 Zweitligatoren zu übertreffen. (Dieses Kunststück gelang ihr letzte Saison für den FSV trotz zweier krasser Verletzungen: Ein Nasenbeinbruch und ein angerissenes Syndesmoseband kostete sie nur zwei Spiele Auszeit, da sie ansonsten „irgendwie trotzdem spielen wollte.“- Anm. d. Red.)

A.J. (nachdenklich): Nach einem durchwachsenen Fußball-Jahr steht für mich der Spaß an erster Stelle, mit dem ich meine beste Leistung abrufen will. Wenn dabei alle anderen mitziehen, bin ich mir sicher, dass wir den Klassenerhalt schaffen werden!

V.B. (motiviert): Nach einem kleinen Durchhänger in der letzten Saison, möchte ich jetzt voll durchstarten. Stabilität und Kontinuität zu gewinnen, ist mir sehr wichtig. Die Mannschaft als auch der Verein bietet viele Perspektiven, die ich nutzen will. Insgesamt bietet Bielefeld ein sehr gutes Umfeld, um einen Schritt nach vorne zu machen und sich weiterentwickeln zu können. Auf diese Weise bin ich mir sicher, gemeinsam den Klassenerhalt zu schaffen.

10. Vivien, du hast das letzte Wort: wie empfindest du die Doppelbelastung von DFB und DSC?

V.B. (bescheiden): Da ich beim DFB „nur“ Ergänzungsspielerin bin, besitzt der Verein für mich oberste Priorität. Jede weitere Nominierung für den DFB empfinde ich als eine große Ehre, der ich gerne nachkomme. Aber zuviel Druck empfinde ich dadurch nicht, sondern sehe diese Zweigleisigkeit als Chance und Herausforderung, mich möglichst vielseitig weiterentwickeln zu können.


Vielen Dank :)

Aufrufe: 025.7.2016, 23:00 Uhr
Romina BurgheimAutor