2024-04-19T07:32:36.736Z

WM 2014

Black Stars reißen Hütte ab

Ein Stimmungs-Bericht aus dem ghanaischen Fischerdorf Anloga

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Ghana durchlebt bislang ein WM-Wechselbad der Gefühle: Einer enttäuschenden Niederlage gegen die USA folgte ein bockstarker Auftritt der „Black Stars“ gegen Joachim Löws Team. Mit Dell Lambert verbrachte ich 2012 einen unvergesslichen Fußballabend in Anloga, ein 20.000 Einwohner zählendes Fischerdorf im Südosten Ghanas. Von dort aus zeichnet er mir ein aktuelles Stimmungsbild und sieht gute Chancen auf ein Weiterkommen seines Teams.

Public Viewing auf afrikanisch

Schauplatz: ein provisorischer Bretterverschlag mit morschen Holzbänken, die Platz für etwa 50 Personen boten. Zehn Cent umgerechnet betrug der Eintritt, Wasser aus Plastiktüten und gekühlte Dosenlimonade gab es zum Trinken, Hähnchenspieße und frittiertes Obst als kulinarische Verpflegung – nebensächlich.

Der Fokus der Fußballvernarrten richtete sich auf einen Röhrenfernseher im Miniformat. In der picke packe vollen Hütte zogen sich Dell und ich die Champions League-Partie Manchester City gegen Real Madrid rein. Das Vorrundenspiel gewann Real Madrid mit 2:1. Der überragende Mann auf dem Platz war Mesut Özil. Und ich wurde dafür von den Einheimischen frenetisch gefeiert. Mir wurde auf die Schulter geklopft und ich als Deutscher beglückwünscht zu Özils Erfolg — bizarr. Der Moment brannte sich in mein Gedächtnis ein.

Was vergangenen Samstag in dem kleinen Schuppen abgegangen sein mag, kann ich mir bildhaft vorstellen. Reine Ekstase umschreibt diese Atmosphäre noch unzureichend. Ihr eigenes Team gegen die Großen aus Europas Champions League spielen zu sehen, ist für die ghanaischen Anhänger das Größte. „Özil, Klose und Götze sind Weltklasse und meine absoluten Lieblingsspieler bei den Deutschen“, offenbart Dell.

Charakterstarke Black Stars

„Boah, die sind ja bärenstark“ – dachten sich wohl viele deutsche Fans am vergangenen Samstagabend über den westafrikanischen Kontrahenten. Auch Dell ist wie euphorisiert von seiner Nationalmannschaft: „Die Black Stars kann man als eines der charakterstärksten Teams der Welt bezeichnen, was die Spieler unheimlich zusammenschweißt.“ Er war dennoch fest von einem Sieg der Deutschen überzeugt gewesen, hatte sie nach dem furiosen 4:0 gegen Portugal für übermächtig gehalten. „Sie spielen einen unglaublichen Fußball, üben einen ungemeinen Druck auf Ball und Gegner aus. Das macht sie so stark“, analysiert der begnadete Kicker.

Die Auftakt-Niederlage gegen die USA hatte arg an seiner Überzeugung in sein Team gerüttelt. Mit einer weiteren Pleite hätten sich seine geliebten "Black Stars" früh aus dem Turnier verabschiedet. Für Dell wäre das kein Weltuntergang gewesen: „Unsere Gruppe wurde hier von bekannten Fußball-Experten zur Todesgruppe erkoren“, legt er dar. Dass Ghana ohne Zweifel mit ein wenig Glück die Partie gegen Özil und Co. für sich hätte entscheiden können, überraschte ihn wie viele seiner Landsleute.

Und flugs kehrte sein Optimismus zurück: „Das Spiel gegen Deutschland war ein einziger Genuss, wie ein Film mit Happy End.“ Der 20-Jährige setzt noch einen drauf: „Mit ihrer Fähigkeit, ihrem Talent und der Erfahrung schafft es die Mannschaft in die nächste Runde“, gibt er sich nun selbstbewusst. Und benennt den Königsweg, um die Amerikaner noch mit einem Sieg gegen Portugal abzupassen: „Es hängt davon ab, dass unser Team als homogene Einheit auftritt und ihr Fair Play, sich selbst, ihrem Trainer und dem Gegner gegenüber, auf den Platz bringt, um sich nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.“

Reißt die Hütte ab?

Die zehn Cent Eintritt wird Dell heute Abend wieder ohne zu zögern bezahlen, um das Spiel gegen die Portugiesen in Anlogas kleiner Fußball-Hütte zu sehen. Zaubern seine Jungs, wie er sagt, um seinen Lieblingsspieler André Ayew eine ähnliche Show auf den Platz wie gegen Deutschland, mache ich mir wirklich ernsthafte Sorgen um den Fortbestand jenes kleinen Bretterverschlags, der mir vor zwei Jahren den unvergesslichen Einblick in die ghanaische Fußballkultur gewährte.

Aufrufe: 026.6.2014, 09:30 Uhr
Nils SaleckerAutor