2024-05-08T14:46:11.570Z

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Wartet auf neue Angebote: Kosta Runjaic. Archivfoto: dpa
Wartet auf neue Angebote: Kosta Runjaic. Archivfoto: dpa

Nächste Kreuzung für Kosta Runjaic

Der Rüsselsheimer Trainer blickt nach emotionalen Jahren und einer Auszeit nach vorne

77 Pflichtspiele führte Kosta Runjaic die Regie beim Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern. „Die Verarbeitung hat länger gedauert als gedacht“, sagt der ehemalige Trainer des SV Darmstadt 98, der in Rüsselsheim aufgewachsen ist. Jetzt ist der 44-Jährige bereit für eine neue Aufgabe.

Es sind nur ein paar Leitersprossen hinauf zum Speicher und doch ist es irgendwie auch eine kleine Zeitreise. Mit jedem Schritt nähert sich Kosta Runjaic seiner Vergangenheit. Bis er sie in Händen hält. Beim Blättern in den Ordnern, die die vergangenen 15 Jahre seines Fußballtrainerlebens dokumentieren, strahlen seine Augen. Erinnerungen. Kosta Runjaic überfliegt ein Zeitungsinterview, das er im April 2003 gegeben hat.

13 Jahre ist das her. Vielleicht muss man sich diese Geschichte in Erinnerung rufen, um zu verstehen, was der in Rüsselsheim aufgewachsene und im Rheingau lebende Fußballlehrer geschafft hat. Wie sich das Arbeiterkind, das es nie zum Profifußballer brachte und aus einer denkbar schlechten Position seine Laufbahn startete, mit viel Arbeit, Akribie und einer Vision im Profifußballgeschäft etabliert hat. Schritt für Schritt die große Pyramide hinauf. Es ist ein ganz und gar besonderer Weg. Ein Märchen. Doch selbst im Märchen läuft nicht immer alles rund. Am 23. September 2015 trat Kosta Runjaic als Cheftrainer des Zweitligisten 1.FC Kaiserslautern zurück.

Bilanz beim FCK: 1,65 Punkte pro Spiel

77 Pflichtspiele führte er beim Traditionsklub die Regie. In dieser Zeit blieb der FCK 21 Heimspiele in Folge unbesiegt, holte 1,65 Punkte pro Partie. Er führte die Roten Teufel ins Pokal-Halbfinale – und zweimal auf Platz vier in Liga zwei. Die Enttäuschung über den verpassten Aufstieg im Sommer 2015 war grenzenlos. „Die Verarbeitung“, gesteht Runjaic, „hat länger gedauert als gedacht.“ Zu groß ist in der Pfalz die Sehnsucht nach der Bundesliga, zu groß die Ungeduld im Umfeld. Zu groß war die Verunsicherung der wieder neu formierten jungen Lauterer Elf in der Folgezeit. Eine Last, so schwer wie eine Eisenkugel. Sie blockierte den Fortschritt.

„Rückblickend hätten wir konsequenter und offener den drastischen Umbruch kommunizieren müssen“, sagt Runjaic, „auch im Hinblick auf zu erwartende Risiken und Rückschläge.“ Der Aufstieg sei nie das erklärte Ziel gewesen, betont er. Die Geschichte allerdings hatte sich schnell verselbstständigt. Die Tradition, die ja bekanntlich verpflichtet, die extremen Erwartungen und die erwähnte Ungeduld verwirrten die Emotionen – und ließen die Stimmung kippen. Pfiffe begleiteten die Lauterer trotz einer 1:0-Pausenführung gegen Paderborn beim Gang in die Kabine, „die Mannschaft hat nie wirklich befreit gespielt“. Nach einer 0:3-Heimpleite gegen Nürnberg, der FCK war auf Platz zwölf abgerutscht, zog Runjaic die Konsequenz, „um den Jungs den Druck wegzunehmen“. Was im September 2013 als Märchen begann, hatte kein Happy End.

Kosta Runjaic musste nach fünf, sechs Jahren, in denen er das Karriere-Gaspedal bis zum Bodenblech durchgetreten hatte, „erst mal komplett runterfahren“. Abtauchen. Millionen Bilder und Gedanken schossen ihm durch den Kopf – diese zu sortieren und einzuordnen, dauerte seine Zeit. Drei Wochen lebte er in einer Parallelwelt, „für meine Familie war ich nicht so erträglich“, gesteht der Vater von drei Kindern. Doch dann ging er in den Speicher: „Ich habe mir ein paar Dinge bewusst gemacht. Welchen Weg ich gegangen bin und welche Hürden ich genommen habe“.

Von Darmstadt nach Duisburg und Lautern

Ein Blick in die Ordner ergibt ein klares Profil: Runjaic ist ein Trainer für spezielle Fälle. Ein Mann für die „unmöglich erscheinenden Missionen“. 2008 führt er das zweite Team des SV Wehen Wiesbaden in die Regionalliga. 2010 rettet er den SV Darmstadt 98 vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit, ein Jahr später steigen die Lilien mit Runjaic in die Dritte Liga auf – und Dirk Schuster übernimmt, als sich für Runjaic im September 2012 die Chance ergibt, mit dem MSV Duisburg einen Zweitligisten zu coachen. Er reanimiert die Zebras, verwandelt das punktlose Schlusslicht in die drittbeste Rückrundenmannschaft – die Insolvenz des MSV legt Runjaics Aufbauarbeit in Trümmer. Drei Monate später ruft Stefan Kuntz, der FCK-Vorstandsvorsitzende, an.

„Ich habe sehr gerne in Kaiserslautern gearbeitet“, sagt Runjaic, „es war eine besondere Zeit bei einem besonderen Verein.“ Der 44-Jährige („Ich hätte in manchen Situationen meinen Emotionen mehr freien Lauf lassen müssen“) hat den Motor wieder angeworfen. Er möchte die Zeit optimal nutzen, „für Familie, Fortbildung und auch mal über den Tellerrand hinauszuschauen“. Und er ist wieder in die Fußballwelt eingetaucht. Neulich schaute er an der Algarve im Trainingslager von Zenit St. Petersburg vorbei, tauschte sich mit dem Kollegen André Villas-Boas (früher Chelsea, Porto) aus. Der Blick geht nach vorne, Runjaic steht an der nächsten großen Kreuzung seiner Karriere. Der nächste Ordner wartet darauf, gefüllt zu werden.

Aufrufe: 010.2.2016, 10:59 Uhr
Henning KunzAutor