2024-05-10T08:19:16.237Z

Querpass

Fremdschämfaktor: Fangesänge

oder: warum Teile der Fussball-Fan“Kultur“ Würgereize verursachen und verboten werden sollten…..

„Adeadeadadeaooo BVBeeeee Hurensöööhhhhneeeee“ … Wer kennt ihn nicht? Diesen Schlachtgesang, der von den Tribünensitzen oder den Steharealen der Stadionwelt auf das Spielfeld mindestens einmal in der Woche bei einem Bundesligaspiel erschallt? Ich weiß nicht, ob es dem durchschnittlichen Fußballfan genau wie mir ergeht, der unfreiwillig in den Genuss dieser - sagen wir mal sehr eigenwilligen - Unterstützung-Mentalität kommt. Aber ich bekomme jedes Mal, wenn ich meinem Lieblingssport passiv als Zuschauer fröne, eine Gänsehaut der unangenehmen Sorte. Mich überzieht vielmehr ein Schauer der Scham und des inneren Ekels. Und ich bin weiß Gott nicht zart besaitet. Und ich habe auch nichts gegen kollektives Rumschreien.

Ganz im Gegenteil: Das kann eine wunderbare Möglichkeit sein, Gemeinschaft zu erleben, sich zu spüren und seine Stimmbänder und ihre Kraft auszuloten, aus Herzenslust einfach mal rumzugrölen: Prima Sache! Die wunderbare Stimm-Gewalt zu er-proben und der Wirkungs - Macht zu lauschen, die dem einzelnen durch den Anschluss an die Gesangs-Gruppe zukommt. Es lassen sich diverse Anlässe er-finden, in denen man legitim und völlig ungehemmt singend Luft raus lassen und Dampf ab-lassen kann.

Aber wenn, dann doch bitte in einem geregelten, heißt respektvollem Rahmen. Ich begreife nicht, warum man, um sein eigenes Team zu unterstützen, den Gegner diffamieren muss. Und dann auf eine so stumpfe, völlig unsachliche Art und Weise. Es sind Momente, in denen mir klar wird, dass der Sport als vermeintlich verbindendes Glied auch sehr trennen kann, zumindestens ihre Anhänger. Und trotzdem oder gerade deswegen darf man nicht vergessen, da ja gerade der Fußball einen gesellschaftlich hohen Stellenwert genießt, ebendrum auch als Werte-Sammelbecken fungiert, auf das man gut aufpassen sollte bzw. viel mehr reinigen sollte - vor allem von solchen schmutzigen (Hass-)Gesängen.

Ich habe es nämlich schon oft erlebt, dass fußballaffine Freunde von mir, die meinen Unmut registriert haben, mir aufmunternd auf die Schulter geklopft haben mit den Worten: „Ach, stell dich mal nicht so an. Ist doch nur Fußball!“ Und genau dieses Bagatellisieren und Herunterspielen bedeutsamer Ereignisse in die vermeintliche Bedeutungslosigkeit finde ich bedenklich. Ich will etwas erwidern, doch meine Worte gehen im Wortsch(w)all des nächsten Anfeuerungsrufes unter. Verstummen. Ich schwanke bei Stadionbesuchen oft zwischen Faszination und latenter Unruhe, die in Sorge mündet, wenn ich die rhythmisch unterlegten Choreographien der einzelnen Fanclubs beobachte.

Die meisten davon sind in der Tat harmlos und führen zu einem Gefühl des Wohlbehagens. Gänsehaut der guten Sorte. Manchmal auch Stolz. Wehmut, unter einer solchen Geräuschkulisse als Fußballer angespornt zu werden. Was muss das für ein geiles Gefühl sein! Doch es gibt auch Schattenseiten (die zum Glück die betroffenen Spieler meist in ihrer hohen Konzentration und Fokussierung aufs Spiel professionell ausblenden können): Besorgniserregend finde ich den Moment, wenn zum Beispiel Schalkes Anhänger (! - kann auch jeder andere Verein sein, passt nur grad so gut zum Eingangszitat als „Gegnerschaft“) den Namen ihres Vereins rufen, zweimal demonstrativ in die Hände klatschen und dann ihre beiden Hände synchron und parallel in die Luft ausrecken.

Einerseits sieht dieses Arme(e)n-Meer beeindruckend aus, andererseits fühl ich mich schnell an Bilder aus dem Geschichtsunterricht von einem Menschen-Heer erinnert, das, ohne wirklich viel nachzudenken, einem großem Mann dank seiner wirkungsvollen Propaganda-Maßnahmen gefolgt war. Und auch da blieb kein Raum für kritische Nachfragen. Natürlich ist der Bezug provokant und auch etwas zugespitzt. Nichtsdestotrotz muss man alle Menschen-Massen-Ereignisse, wie auch so ein Fußballspiel, mit Vorsicht genießen in jederlei Hinsicht, weil eine solche Menge an Menschen ihre eigene unkontrollierbare Dynamik besitzen kann.

Zum Glück gibt es natürlich verschiedene Instanzen, die versuchen darauf zu achten, dass gewisse Verhaltensrichtlinien auch im Stadion gewahrt werden. Es sollte in meinen Augen um ein pro-aktives Verbot erweitert werden: Nur Gesänge erlauben, die die eigene Mannschaft hervorheben. Es geht darum, Bewusstsein zu schaffen, das eine Reflexion ermöglicht und ggf. dann eine Re-Aktion nach- und mit sich zieht. Denn wenn man auf dieser Spielwiese des Lebens schon fragwürdige Wert-Haltungen und Ressentiments unsanktioniert bleiben und man sie frei herumlaufen lässt, wie soll diesem „Denken“ dann im wirklichen Leben Einhalt geboten werden?

Und dass ein solch mehr als bedenkliches Gedankengut schon längst in den Köpfen von 13 % Deutschen Wählern sich festgesetzt hat, hat die Bundestagswahl am vergangenen Sonntag einmal mehr schmerzhaft ans Tageslicht gebracht. Da kann man sich auch nicht damit herausreden, dass das Privatsache sei. Denn da dies im öffentlichen Raum stattfindet und für alle hörbar ist, geht es daher auch alle was an. Streng genommen ist der Fußball auch immer zugleich politisch. Höchste Zeit also auf diesen kleinen Ebenen schon zu handeln und präventiv einzuschreiten.

Bildquelle: http://images.schalke04.de/Hauptseite/Verein/Leitbild/184_leitbild_fans_912x513.jpg?1357129352

Aufrufe: 030.9.2017, 15:42 Uhr
Nicu BurgheimAutor