2024-05-10T08:19:16.237Z

Allgemeines

Das Türkei-Versprechen: Profi-Sprungbrett für Ötkün, Bahadir und Aygün

Junge Kicker träumen am Bosporus vom Durchbruch

Drei Münchner Amateurkicker haben für den Profi-Traum ihre Heimat verlassen. Cengiz Ötkün, Burhan Bahadir und Kaan Aygün hoffen auf den Durchbruch in der Türkei. Hinter den Wechseln steckt ein Geschäftsmodell.

Wenn im Leben von Derya Akkar alles richtig gelaufen wäre, würde er heute in seinem 5-Sterne-Hotel sitzen und Tee trinken. „Wir würden von dort auf das Meer schauen“, seufzt der Spielerberater und blättert eine Seite in seinem Ordner um. „Da! Schaust du, Andreas! Yildiray Bastürk! Du kennst Bastürk! Nationalspieler! Ich habe ihn entdeckt bei Wattenscheid U19. Er war dort ein Niemand. Aber er wurde zum Superstar.“ Vergilbte Zeitungsausschnitte und Schnappschüsse sind Derya Akkar geblieben. Sonst nichts. „Ich bin einer der größten Talententdecker der Welt. Ich habe ein Auge, das kein anderer hat.“ Als wäre die Aussage nicht genug, nimmt Akkar seine Brille ab und zieht mit seinem Finger das Augenlid nach unten. „Ich sehe Talente, die sonst niemand sieht. Aber das große Geld haben immer die andere gemacht“, seufzt Akkar. „Wo bleibt der Tee, Andreas? Bei mir würde schon längst Tee auf dem Tisch stehen!“ Derya Akkar schlägt die nächste Seite auf. „Da! Berkant Göktan! Ich habe seinen Wechsel von Bayern München zu Galatasaray eingefädelt.“

A-n-d-r-e-a-s! Wenn Derya Akkar diesen Namen ausspricht, klingt es wie bei der Begrüßung eines Freundes, den er seit Jahren nicht gesehen hat: „Es war Schicksal, dass wir uns getroffen haben. Ich habe das Auge. Und ich kenne alle wichtigen Personen im türkischen Fußball. Aber das reicht nicht. Nicht in der Türkei.“ Seit 25 Jahren fädelte Derya Akkar Wechsel von Talenten in die Türkei ein. Türkische Talente, die das Fußballspielen in Deutschland gelernt haben. „Tarik Camdal von 1860. Bei den Löwen war er ein Niemand. Aber in der Türkei!!!“ Akkart macht eine kurze Pause. Er braucht diese Stille. Wie ein Schauspieler, der alle Blicke auf sich ziehen will. „Camdal! Ohhh! Er ist in der Türkei explodiert! Wie eine Bombe!“Akkar klatscht in die Hände. Andreas Müller sitzt neben ihm und grinst. Der Strafverteidiger aus München kennt diese Geschichten. „Ich war faszieniert von Derya. Gleich bei unserem ersten Treffen dachte ich mir: Da kann was gehen.“

„Die Türkei ist kein leichter Markt“

Der türkische Fußball ist für viele Berater und Spieler ein rotes Tuch. Die Top-Klubs sind seit Jahren hoch verschuldet. Die Zahlungsmoralvieler Klub-Bosse ist bei Spielergehältern mehr als ausbaufähig. Und die Krise der Lira-Währung verschärft die Finanzprobleme der Vereine noch zusätzlich. Doch für Derya Akkar ist das Land am Bosporus genau der richtige Ort, um wieder bei Null anzufangen. Zusammen mit Andreas Müller.

„Verträge? Kann ich nicht. Ich habe immer alles per Handschlag gemacht“, sagt Akkar und lacht: „Deshalb habe ich nix verdient. Aber dafür habe ich jetzt Andreas.“ Das Geschäftsmodell des Spielerberaters soll künftig so laufen: Derya Akkar - das Auge - reist durch Deutschland und sieht Talente, die sonst keiner sieht. Andreas Müller - der Strafverteidiger aus München - kümmert sich um „Jura und Verträge“, sagt Akkar und klopft dem Anwalt auf die Schulter. Im Fußballgeschäft hat Andreas Müller keine Erfahrung. Genug zu tun hat er in seiner Kanzlei. „Ich habe keine Langeweile in der Arbeit“, lacht Müller. „Mich reizt die Herausforderung. Die Türkei ist kein leichter Markt. Aber Derya kennt den Fußball dort, wie kein anderer. Und er erkennt Talente. Das ist eine riesen Chance.“


Derya Akkar und Andreas Müller. Foto: Christoph Seidl
Derya Akkar und Andreas Müller. Foto: Christoph Seidl
Derya Akkar und Andreas Müller.

Bahadir: „Mit der Zeit habe ich mich nur noch verarscht und alleine gefühlt“

Neun Monate ist es her, dass drei türkische Amateurkicker aus München zu Inegölspor in die dritte türkische Liga gewechselt sind: Cengiz Ötkün (Türkgücü Ataspor), Burhan Bahadir (TuS Holzkirchen) und Kaan Aygün (FC Ismaning). „Hier sind sie Amateure. Sie versauern. Aber die Türkei!! Das ist ihre Bühne“, schwärmt Akkar. Wieder macht er ein Pause. „Welcher Fußballer will nicht Profi sein und Geld verdienen?“ Vom Niveau können Spieler aus der Regional- oder Bayernliga in der dritten türkischen Liga mithalten, glaubt Derya Akkar. Doch der Spielerberater will zusammen mit Andreas Müller nur Spieler in die Türkei schicken, die das Potenzial nach oben haben. „Zwei, drei gute Spiele. Schon werden die Klubs aus der Süper Lig aufmerksam“, sagt Akkar. Der türkische Fußball tickt anders als der deutsche. Alle Drittliga-Spiele laufen live im Fernsehen. „Die Türken sind verrückt. Sie lieben Fußball. Das ist die Chance für Talente“, sagt Akkar und grinst: „Und das ist auch unsere Chance.“ Geld soll erst dann fließen, wenn ein Talent in der Türkei „explodiert“, wie es Akkar immer wieder sagt.

„Das Engagement ist für uns zunächst ein Risiko. Wir sind keine Reiseagentur, die Amateurspielern und Talenten einen Gefallen tun möchte. Wir möchten Geld verdienen“, sagt Anwalt Müller. Von den drei Amateurspielern aus München konnte sich nur Cengiz Ötkün einen Stammplatz bei Inegölspor erkämpfen. Kaan Aygün wechselte im Sommer zum Drittligisten Sivas Belediyespor, kommt aber auch dort nicht zum Zug. Für Burhan Bahadir ist der Profi-Traum bereits geplatzt. „Sch... gelaufen. Alles. Anders kann ich es nicht sagen“, beschreibt der 20-Jährige sein halbes Jahr in der Türkei. „Ich habe immer Gas gegeben, aber nie eine Chance bekommen.“ Als er die ersten Spiele nicht im Kader stand, dachte Bahadir noch: Du muss Gas geben und die Zähne zusammenbeißen. „Ich dachte immer: Sabr, Burhan. Das heißt auf Türkisch Geduld.“ Bei Auswärtsspielen blieb Bahadir alleine zurück. Er wohnte in einem Zimmer auf dem Vereinsgelände. „Mit der Zeit habe ich mich nur noch verarscht und alleine gefühlt. Im Stich gelassen.“ Bahadir erzählt von einer Zehn-Stunden-Busfahrt zu einem Auswärtsspiel: „Ich habe die Spieler gezählt. 19. Einer zu viel. Wer war am Ende wieder nicht im Kader? Ich.“

Nach doppeltem Leistenbruch zurück nach Holzkirchen

An der Leistung lag es nicht. Das betont Bahadir immer wieder: „Der Trainer hat Psychospiele mit mir betrieben. Ich habe meinen Mund gehalten und trotzdem keine Chance bekommen.“ Vor den letzten beiden Spielen suchte er das Gespräch mit dem Präsidenten. „Ich habe ihm gesagt, dass ich nicht hier bin um Urlaub zu machen. Dann durfte ich noch zwei Mal von Anfang an ran und habe Leistung gebracht. Aber da ging es bereits um nichts mehr.“ Im Sommer spielte Bahadir bei einem neuen Verein vor. Nach einem Leistungstest verspürte er Schmerzen. „Der Arzt hat einen doppelten Leistenbruch festgestell. Da wusste ich: Jetzt ist es gelaufen.“ Seit dieser Saison spielt Burhan Bahadir wieder für die TuS Holzkirchen -. An das Versprechen von Derya Akkar glaubt er noch immer: „Ich würde diesen Schritt immer wieder machen. Ich lebe Fußball und würde alles dafür geben, nach oben zu kommen. Die Chancen in der Türkei sind viel größer. Aber dafür muss dich ein Trainer auch aufstellen.“

Die Amateurfußballseite erscheint jeden Mittwoch. Autor ist Christoph Seidl, erreichbar unter christoph.seidl@ merkur.de

Aufrufe: 01.11.2018, 09:41 Uhr
Münchner Merkur / Christoph SeidlAutor