2024-05-02T16:12:49.858Z

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Die Verzweiflung eines Trainers: FC-Gießen-Coach Daniyel Cimen ärgert sich über viele vergebene Chancen seiner Mannschaft.	Foto: Ben
Die Verzweiflung eines Trainers: FC-Gießen-Coach Daniyel Cimen ärgert sich über viele vergebene Chancen seiner Mannschaft. Foto: Ben

Ratlose Mittelhessen

REGIONALLIGA: +++ FC Gießen und TSV Steinbach hadern beide mit dem Verlauf des Derbys +++

GIESSEN. Die einen ließen sich von ihren rund 400 mitgereisten Fans bejubeln, als gäbe es kein Morgen mehr. Schlachtgesänge hier, Umarmungen da. Das halbe Dorf war auf den Beinen, um seine Fußballer zu feiern. Die anderen standen ratlos auf dem Rasen, die Hände in die Hüften gestützt. Beim Gang in die Kabine gab es aufmunternde Worte, „für die wir uns allerdings nicht kaufen konnten“, wie es Torwart Frederic Löhe später im VIP-Zelt des Waldstadions bei Boeuf Stroganoff, Bohnengemüse und Kartoffelgratin formulierte.

Mit 1:0 (1:0) hatte der TSV Steinbach Haiger am Dienstagabend am vierten Spieltag der Regionalliga Südwest im Mittelhessenderby beim FC Gießen die Oberhand behalten, hatte sich damit nachhaltig oben in der Tabelle festgesetzt, hatte aber den größten Teil der 3346 Besucher ein wenig ratlos zurückgelassen. „So ist Fußball. Die machen aus wenig viel, wir aber aus viel wenig“, fasste FC-Macher Jörg Fischer die durchaus unterhaltsamen 90 Minuten zusammen, in denen der Aufsteiger mit engagiertem Spiel in die Spitze unterstrichen hatte, kein Abstiegskandidat zu sein, in denen die Gäste aus dem nördlichen Lahn-Dill-Kreis indes hatten all das vermissen lassen, was eine echte Spitzenmannschaft eigentlich auszeichnet.

„Am Ende dreckig zu gewinnen ist mir auf alle Fälle lieber, als Lob einzusammeln, aber keine Punkte mitzunehmen“, dachte Torschütze David Al-Azzawe nach Spielschluss zehn Tage zurück, als seine Mannschaft beim 1. FC Saarbrücken brilliert und 14 gute Torchancen herausgearbeitet hatte, bei der 0:2-Niederlage aber am Ende mit leeren Händen dastand. Nach 32 Minuten jedenfalls stand der Innenverteidiger mit irakischen Wurzeln goldrichtig, um einen Eckball von Manuel Hoffmann per Kopf unter Löhe hindurch über die Linie zu befördern. Dass sich Al-Azzawe spontan bei Co-Trainer Frank Döpper bedankte, hatte einen einfachen Grund. Der 46-Jährige, bei den Gästen für die Standards zuständig, hatte nach kurzer Beratung mit seinem Chef Adrian Alipour den späteren Torschützen lautstark aufgefordert, den Raum zu besetzen, den Sören Eismann mit einer Körpertäuschung gleich freimachen sollte. „Ein einstudierter Standard“, wie „Döppi“ später mit einem Augenzwinkern zum Besten gab.

„Einen Punkt hätten wir hierbehalten müssen“, ärgerte sich Löhe nicht nur über den Treffer seines Ex-Teams, bei dem er bis zum Winter noch zwischen den Pfosten gestanden hatte, sondern vor allem über das Auslassen eigener Möglichkeiten. Andrej Markovic (8.), Sohn des ehemaligen bosnischen Handball-Nationaltrainers Dragan Markovic, dessen Schuss Banjamin Kirchhoff noch von der Linie kratzte, Noah Michel (21.), der an Tim Paterok im TSV-Kasten scheiterte, besonders aber der aus Aßlar stammende Aykut Öztürk, der kurz vor der Pause zunächst in Paterok seinen Meister fand (44.) und eine Minute später alleine vor dem Keeper ins Stolpern geriet, hätten mindestens einen Treffer für die Hausherren erzielen müssen.

„Wir haben ein gutes Spiel gemacht, sind für unseren Aufwand aber nicht belohnt worden“, fasste Franz Gerber, der neue Sportliche Leiter des Aufsteigers, die Partie treffend zusammen. Wohl wissend, dass seine Truppe auch Glück hatte, als Yannik Mause (41., 51.) zweimal alleine vor Löhe zumindest die Vorentscheidung zugunsten des Hessenmeisters von 2015 auf dem Fuß hatte. „Wir waren die klar bessere Mannschaft“, bilanzierte der starke FC-Innenverteidiger Jure Colak, der im Frühjahr 2016 14 Partien für Steinbach bestritten hatte. „Vor unserer Zukunft ist mir nicht bange, wir kommen noch.“ Auch der gebürtige Oberbayer Franz Gerber hatte im Gegensatz zum Auftakt-1:7 in Elversberg diesmal keinen Grund, zu granteln. „Natürlich fragt morgen niemand mehr danach, wie die Niederlage eigentlich zustande gekommen ist. Aber unter dem Streich haben wir uns gut verkauft. Nun gilt es, uns im Kellerduell in Koblenz die Punkte wieder zu holen, die wir gegen Steinbach haben liegengelassen.“

Auch die Gäste aus Haiger dachten kurz nach dem Spiel schon ans nächste Wochenende und den Hit gegen Ex-Bundesligist SSV Ulm. „Wir haben bisher unser Soll erfüllt. Der Sieg in Gießen bringt uns allerdings nur weiter, wenn wir am Samstag nachlegen können“, so Torwart Tim Paterok. Und Sören Eismann versprach: „Was wir in Gießen gezeigt haben, kann nicht unser Anspruch sein. Gegen Ulm müssen und werden wir uns steigern.“ Ehe beide sich von den rund 400 mitgereisten Steinbacher Anhängern kräftig feiern ließen, das Gros der Fans im Waldstadion aber ein wenig ratlos zurückließen.



Aufrufe: 015.8.2019, 10:00 Uhr
Alexander Fischer (WNZ)Autor