2024-04-20T08:00:28.265Z

Ligabericht
Mehr Spieler als Fans, aber was zu feiern: Der FC Gießen nach dem 1:0-Erfolg in Pirmasens, August 2019. Der FK und der FC haben künftig viel gemeinsam.	Foto: Reiser
Mehr Spieler als Fans, aber was zu feiern: Der FC Gießen nach dem 1:0-Erfolg in Pirmasens, August 2019. Der FK und der FC haben künftig viel gemeinsam. Foto: Reiser

Ohne das große Geld

RL SÜDWEST: +++ Was auf den FC Gießen zukommt, lebt der FK Pirmasens seit Jahren vor / Ohne Profitum, aber mit Kontinuität und Nachhaltigkeit +++

Gießen. Tagsüber eine lockere Runde Fußballtennis, die war für Vaclav Koutny immer drin. Gegen die Langeweile, aber auch, um irgendwie im gewohnten Rhythmus eines Profifußballers zu bleiben. Der sieht Tage mit manchmal zwei Trainingseinheiten vor, je eine morgens und eine am Nachmittag, mindestens sechs in der Woche. Der Tscheche Koutny, der unlängst in seine Heimat zurückgekehrt ist, war der erste Berufsfußballer des SC Teutonia Watzenborn-Steinberg. Man schrieb die Spielzeit 2015/16, als der Vorgänger-Club des FC Gießen mit hoch ambitionierten Feierabendfußballern und Koutny den Sprung in die Regionalliga Südwest schaffte. In eben jene Klasse, in der mit vielen namhaften Traditionsvereinen, finanziell potenten Emporkömmlingen und den Talentschmieden der Erst- und Zweitligisten, verbunden nicht selten mit Millionen-Budgets, der professionelle Fußball beginnt. Der Weg der Teutonia und des FCG ist bekannt: Mit einem siebenstelligen Betrag für Kader und Trainerteam ausgestattet, wurde auf Profitum umgestellt.

Zur kommenden Saison erfolgt nun, durch den harten Einschnitt von einem 1,3 Millionen-Euro-Etat auf etwa 500 000 Euro, wirtschaftlich bedingt, die Kehrtwende. Trainiert werden soll unter der Woche am Abend. Ausbildung, volle Berufstätigkeit, Studium – all das soll für das kickende Personal möglich sein, mitunter durch den FCG und Sponsoren vermittelt, um potenzielle Neuzugänge von einem Wechsel zu überzeugen. Daraus ergibt sich die Frage, was für die Gießener unter diesen neuen Bedingungen in der 4. Liga, in der viele Konkurrenten einen ähnlichen Trainingsaufwand fahren wie Bundesligisten und deren kompletter Kader sich durch die Bank voll auf das runde Leder konzentrieren kann, drin ist. Womit der nicht ganz einfach zu definierende Begriff vom Profitum noch etwas genauer skizziert wäre. Was kommt auf den Verein und die Mannschaft von Trainer Daniyel Cimen zu? Wie versuchen sich Vereine zu halten, deren Ausgangslage der Gießens gleicht? Wir haben in der Südwest-Staffel Bilanz gezogen und geschaut, wie Teams ohne Profitum in der Vergangenheit abgeschnitten haben. Und wir haben mit dem Verantwortlichen eines Clubs gesprochen, der probiert, sich in diesem Haifischbecken zu behaupten: Patrick Fischer, Trainer des FK Pirmasens, dessen Etat von kundigen Beobachtern auf 450 000 Euro taxiert wird.

Die Lage im Südwesten ist eindeutig. In den allermeisten Fällen schließt sich an den Aufstieg ohne Profibedingungen der sofortige Abstieg an. Dieses Schicksal teilten seit 2016 der SV Spielberg, die Spvgg Neckarelz, Saar Saarbrücken, der FC Nöttingen, der Bahlinger SC, Röchling Völklingen und Schott Mainz. In der gerade vorzeitig beendeten Saison hätte es RW Koblenz erwischt. Einigen wenigen wie Eintracht Stadtallendorf oder der TSG Balingen glückte als Neuling der Klassenerhalt, im Jahr darauf folgte aber der Absturz. In Klammern gesetzt werden muss der FC Astoria Walldorf, der sich seit 2014 etabliert hat. Zwar sind die Walldorfer keine Vollprofis, doch mit der Unterstützung von Unternehmer Dietmar Hopp im Hintergrund sind die Möglichkeiten doch völlig andere, als sie beispielsweise der FK Pirmasens hat.

Wie Walldorf seit 2014 in der Liga, ist „die Klub“, wie die Pfälzer den FKP nennen, im Grunde genommen der einzige Verein ohne Profitum, der sich im Südwesten festzusetzen vermochte. Mit zwei Ausnahmen: In der Endabrechnung 2017 befand sich Pirmasens unter dem Strich. Allerdings auf äußerst hohem Niveau bei der extrem hohen Anzahl von sechs Absteigern als 13. von 19 Clubs und mit der satten Ausbeute von 42 Punkten aus 36 Spielen. Und in diesem Frühjahr wäre ohne die Corona-Pandemie der Gang in die Oberliga Südwest bei acht Zählern Rückstand auf das rettende Ufer auch wahrscheinlich gewesen.

Kontinuität und Nachhaltigkeit: Das sind Schlagworte, die Trainer Patrick Fischer einfallen, um das Erfolgsrezept der Pirmasenser zu umreißen, die 1974 Gründungsmitglied der 2. Bundesliga waren und ihr bis 1978 angehörten. „Bei uns ist alles auf lange Sicht ausgelegt. Nicht darauf, etwa nur ein halbes Jahr da zu sein, dann festzustellen, das ist nicht mein Ding und weiterzuziehen. Ebenso ist uns der Zusammenhalt wichtig, die Harmonie.“ Der Unterbau stimmt und produziert talentierten Nachwuchs, der sich mit dem FKP identifiziert. 2012 und 2015 wurde die U19 jeweils Meister der A-Junioren-Regionalliga-Südwest – vor der TuS Koblenz und dem SV Elversberg, beim zweiten Mal mit Patrick Fischer an der Seitenlinie. Er übernahm anschließend die 2. Mannschaft, die lediglich aus der Oberliga weichen musste, weil es die Erste 2017 – wie beschrieben – eiskalt mit dem Abstieg erwischte. Der 39-Jährige ist nicht der einzige Protagonist in verantwortlicher Position, der den FKP in- und auswendig kennt. Sein Vorgänger Peter Tretter, zuvor schon Juniorentrainer bei den Pfälzern, war von 2012 bis 2019 erfolgreich tätig und wird künftig den Posten als Sportlicher Leiter ausüben. Sportdirektor Sebastian Reich war lange Jahre Spieler und Trainer der U23. Fischer, Tretter und Reich stehen für eine hohe Identifikation und ein immenses Engagement, das sich sportlich auszahlt. „Ein Drittel der Spieler kommt aus der eigenen Jugend, ein Drittel ist schon länger hier und ein Drittel holen wir extern“, sagt Fischer zur Zusammensetzung des Kaders. Was das heißt, verdeutlicht ein Blick in die „Ewige Spielerstatistik“ der Pirmasenser beim Online-Portal „FuPa“. Ein halbes Dutzend aktueller Spieler wie David Becker (210 Einsätze), Marco Steil (208, beendet seine Laufbahn), Sascha Hamann (155) oder Manuel Grünnagel (129) hat bereits mehr als 100 Partien für den Fußballklub bestritten. Beim Thema Transfers wird der 39-Jährige deutlich. „Wahnsinn, was da für Unmengen bezahlt werden in der Nachbarschaft“, meint er. Die Nachbarschaft, das sind in der 4. Liga Elversberg und Homburg. Der Betrag 15 000 Euro fällt, wenn es um Monatsgehälter geht. Da kann Pirmasens nicht im Ansatz mithalten. Was eher funktioniert, sind Hilfestellungen, um beruflich Fuß zu fassen. Aktuell absolvieren drei Spieler ihr duales Studium bei Firmen der Stadt, die zum Sponsorenpool gehören. Der FKP fährt auch auf der Schiene, Spieler anzusprechen, die einige Jahre als Profis in der 4. Liga unterwegs waren und sich mit Mitte 20 umorientieren wollen. Sich beruflich etwas aufbauen möchten, aber den Anspruch haben, nach wie vor hoch zuspielen. Das funktioniert oft, jedoch nicht immer reibungslos, wie Fischer erzählt: „Da haben Firmen mit bequemen Spielern manchmal sehr schlechte Erfahrungen gemacht. Wenn die Schicht um acht Uhr anfängt, wollen sie eine Stunde früher gehen, weil ja abends noch Training ist. Und morgens lieber erst um neun Uhr arbeiten mit der Begründung, sie wären noch kaputt.“ Umso wichtiger sei es, sich bereits bei den Gesprächen im Vorfeld von Verpflichtungen ein umfassendes Bild von den Kandidaten zu verschaffen. Auch da hat Fischer bisweilen unliebsame Erfahrungen gemacht: „80 Prozent schätzen sich völlig falsch ein und denken, sie hatten immer Pech, dass es bei ihnen nicht geklappt hat. Da hat es in der Regionalliga nicht gepasst und sie streben die 3. Liga an. Die sind ganz weit vom normalen Leben entfernt, dass es wehtut. Vor vier Wochen habe ich mit einem Spieler gesprochen, der hat mir gesagt, er müsste nach vier, fünf Jahren als Profi jetzt da raus, weil er die „Playstation-Spieler“ um sich nicht mehr ertragen kann. Er absolviert jetzt eine Polizeiausbildung.“

Dass die Corona-Pandemie den Markt langfristig regulieren kann und Pirmasens auf dieser Basis Chancen eröffnet, mag Fischer nicht so recht glauben: „Ich kann mir vorstellen, dass es mehr Spieler gibt, die vernünftig werden und die Preise sinken. Aber dass sie so runtergehen, dass wir davon profitieren, wage ich zu bezweifeln.“ Aus rund einem Drittel Studenten, knapp einem Drittel mit Berufen in der Verwaltung, im Büro oder als Lehrer sowie weniger als einem Drittel und damit lediglich punktuell aus Profis besteht der Pirmasenser Kader. Was das für Auswärtsspiele mit weiten Anfahrten insbesondere in englischen Wochen bedeutet und welche Auswirkungen diese Doppelbelastung hat, erläutert Patrick Fischer exemplarisch: „Wir hatten an einem Dienstagabend ein Punktspiel in Ulm. Da musst du damit rechnen, dass einige nicht mitfahren können. Wenn der Spielplan feststeht, verplanen die Jungs ihren Jahresurlaub. Aus Ulm waren wir in der Nacht um vier Uhr zurück, anschließend ging es zur Arbeit. Der Mittwoch war trainingsfrei mit Regeneration zu Hause. Am Donnerstag haben wir trainiert, am Freitag nicht, denn das wäre zu viel gewesen. Am Samstag haben wir ein Riesenspiel gegen Freiburgs U23 geliefert, aber mit 0:1 verloren, weil wir nicht zu 100 Prozent ausgeruht waren.“

Normalerweise viermal abends empfängt Fischer, der als einer der wenigen Trainer in der Regionalliga einen stundenreduzierten Hauptberuf bei der Stadt Karlsruhe ausübt, seine Schützlinge in der Woche zum Training. Zusätzlich gibt es teils Einheiten für die wenigen Profis wie den ehemaligen Uerdinger Dennis Chessa („Wir haben drei, vier externe Spieler mit enormer Qualität, die vorher Probleme hatten, und bei uns die Chance haben, sich für größere Aufgaben anzubieten“) und Studenten. Gleichwohl bleibt da, so Fischer, im Vergleich zu den reinen Proficlubs, „einiges auf der Strecke. Zum Beispiel, was die Regeneration und Spielauswertung anbelangt. Klar, du kannst natürlich eine Dreiviertelstunde das letzte Spiel durchkauen, aber die Zeit fehlt dir dann auf dem Platz.“ Fischer und sein Trainerteam versuchen vieles, um weitere Prozentpunkte herauszuholen. Stabilisierungsübungen vor dem Trainingsstart im Athletikraum des Stadions sind eine Sache. Geplant sind ergänzende Maßnahmen, um die Mammutsaison mit 42 Matches zu bewältigen, deren Startschuss im September erfolgen soll. Fischer: „Das eine ist ein größerer Kader, zudem möchten wir die Regeneration bei Auswärtsspielen schon vor Ort mit Eistonnen und mit Luftkissen im Bus einleiten. Auch wenn wir nicht das große Geld haben: In diesen Bereichen sind wir sehr weit.“ Patrick Fischer betont den Willen, im Rahmen der begrenzten Möglichkeiten nachzuziehen und Nischen zu finden, um die Nachteile abzufedern. Die Oberliga ist dennoch kein Schreckensszenario, der FK Pirmasens ist für beide Klassen gewappnet, eben weil kein Umbruch zu befürchten wäre wie bei den umliegenden Vereinen Wormatia Worms, Eintracht Trier und TuS Koblenz, die inzwischen allesamt in der 5. Liga unterwegs sind. Foto: FuPa.net



Ohne Profis

- Der FC Gießen muss kräftig zurückrudern, die Strukturen werden angepasst, der Etat halbiert. Ein Kraftakt für den Fußball-Regionalligisten, der mit weithin neuem Personal neben der Bande und auf dem Spielfeld bewerkstelligt werden muss. An zwei Beispielen erkunden wir, ob das Modell des FC Gießen tragfähig ist. Heute: Ligakonkurrent FK Pirmasens. (rd)

Aufrufe: 08.7.2020, 08:00 Uhr
Thomas Suer (Gießener Anzeiger)Autor