2024-04-25T10:27:22.981Z

Interview der Woche

"Der Amateurfußball bleibt, wie er ist"

Frank Willmann ist einer der bekanntesten Fußballschreiber Deutschlands. Die Texte seines neuen Buches "Kassiber aus der Gummizelle" handeln nicht nur zum Teil von Lebus, sie sind auch fast alle dort entstanden.

Wer mit Fußball und Literatur etwas anfangen kann, kennt Frank Willmann. Aus einem seiner zahlreichen Bücher. Aus seinen Kolumnen im Tagesspiegel. Von den Tribünen der unterklassigen Teams dieses Landes. Viele Texte des Wahlberliners und Carl-Zeiss-Jena Fans entstehen im Brandenburgischen Lebus. Grund genug für ein Interview.

Ich erreiche Frank Willmann gerade beim Kippenkauf. Irgendwo am Berliner Humboldthain sucht er einen Späti. „Ich hab Zeit, geht schon, ja ja“, rauscht es aus dem Hörer. Der Empfang ist mäßig. Aber die Biografie von Frank Willmann ist ein guter Grund, es trotzdem mit einem Gespräch zu versuchen. In Weimar geboren, das Herz schon als Kind an den Fußball im Allgemeinen und den FC Carl Zeiss Jena im Speziellen verloren, ist Frank Willmann heute so etwas wie der bunte Hund der Fußball-Literaturszene. Über ein Dutzend Bücher hat er herausgegeben, geschrieben oder irgendwie mitverantwortet. Gerade arbeitet er an einer kleinen Lexikonreihe der großen, alten Ostvereine. Sein letztes, selbst geschriebenes Buch „Kassiber aus der Gummizelle“ ist eine Sammlung seiner Fußballkolumnen aus dem Tagesspiegel. Einige davon handeln vom kleinen Lebus, nahe der deutsch-polnischen Grenze. Die meisten Texte sind sogar dort entstanden.

Frank, lass uns mit einem Wunschkonzert anfangen: Was wünscht du dir für den deutschen Fußball am allermeisten?

Dass der Fußball wieder das bekommt, was er verdient: demokratische Strukturen und aufmüpfige Fans. Und entsprechende Figuren an der Spitze der Vereine, die für das Kulturgut Fußball kämpfen und es nicht an den erstbesten Sky-Fucker verkaufen.

Ein kämpferischer Auftakt, lass uns da gleich weitermachen: „Fußball ist Freiheit, weil er unberechenbar ist“, schreibst du in deinem aktuellen Buch „Kassiber aus der Gummizelle“. Ein schönes Wort. Aber ist er nicht viel eher die Freiheit, regelmäßig von den nervenden Kindern oder der Ehefrau zu entkommen? Plus ein Bierchen mit den Jungs?

Es gibt eine ganze Menge Begriffe, die man da anwenden kann. Viele sind der Meinung, dass man zum Beispiel nur beim Fußball seine wahre Familie treffen könne.

Klingt ein bisschen nach Nick Hornby und „Fever Pitch“?

Ein gutes Buch. Vor allem wegen der Coming-Of-Age-Geschichte. Aber es geht um Arsenal, den falschen Verein.

Welchem Londoner Klub hältst du denn die Daumen?

Millwall natürlich, die Allesverpeiler.

Ich nehme an, das ist deinem großen Herzen für – sagen wir mal eher nutzlose – Underdogvereine geschuldet?

Ja, das ist tatsächlich so. Der Nutzlosigkeitsfaktor muss stark beachtet werden. Und der ist bei Millwall groß.

Im „Kassiber“ schreibst du auch über den Brandenburger Fußball. Und behauptest, wir wüssten viel zu wenig über die Landbevölkerung. Was denn zum Beispiel?

Zum Beispiel die komischen Riten. Deswegen fahre ich auch so oft nach Lebus, um das nachstellen zu können. Das Verhältnis zur Nahrung zum Beispiel.

Nahrung?

Als ich letztes Jahr bei der Schlachtung eines Schweins dabei war, habe ich eine Leber roh verspeist und anschließend einen Schnaps drauf gegossen. Erst da haben die Landmänner begonnen, zu lächeln.

Das klingt ekelhaft.

Für viele Stadtmenschen ist es das auch. Ich empfand es als großes Glück.

Was würdest du denn einem Städter als erstes über den Fußball in der Provinz erzählen?

Was mich wirklich begeistert hat, ist die Solidargemeinschaft. Da gleicht das Fußballspiel manchmal kleinen Volksfesten oder Weihnachtsmärkten. Mit Grillwurst und allem drum und dran. Erst einmal wird man aber kritisch beäugt, wenn man fremd ist. Das war bei mir in Lebus auch so.

Wie lange ging das so?

Zwei Jahre. Ich spiele gerne Skat. Da bin ich dann in Lebus irgendwann in die Kaschemme gegangen, wo Experten wie Charly und Dolf sitzen. Im Übrigen sind die zwei Experten für alles.

Was unterscheidet deiner Meinung nach den Provinz-Amateurfußball von dem in der Stadt?

Eigentlich nichts. Alle wollen Fußball spielen und möglichst gewinnen. Lokalderbys sind genauso hoch im Kurs wie in anderen Gegenden. Aber die Verbundenheit ist größer. Die Vereine existieren seit Jahrzehnten, sind fest im Ort verwurzelt. Es gibt einfach nichts anderes.

Allerdings gibt es auch eher junge Vereine, bei denen das so ist? Juventas Crew Alpha aus Potsdam, Eiche Ragösen oder um noch mal ins Ausland zu schauen, der FC United of Manchester.

Das stimmt. Und mit dem HFC Falke, der Neugründung von Chemie Leipzig und auch mit Roter Stern Leipzig kommen noch ein paar dazu. Aber das ist was anderes, denn diese Vereine sind von der Basis aus gegründet worden. Nicht von einem Vorstand. Deswegen ist die Verbundenheit dort auch so groß.

Wie bist du ausgerechnet nach Lebus gekommen, wo viele deiner Geschichten bzw. ganze Bücher entstanden sind. Als Exil-Thüringer und Wahl-Berliner liegt das ja nun nicht unbedingt auf der Strecke?

Mein Schriftsteller-Kollege Jochen Schmidt ist mehr oder weniger Schuld daran. Er hat da fast sein gesamtes Leben in diesem Haus verbracht, das schon seit den 20er-Jahren des vorigen Jahrhunderts ein Treffpunkt für viele Intellektuelle aus Berlin, Frankfurt (Oder) und anderswo ist.

Erst kürzlich spielte Lebus mal wieder gegen Seelow. Und verlor 2:1. Warst Du dabei, schließlich hast du ja da diese Sage ausgebuddelt, wonach die geschlagene Victoria mit Ziegenfell bekleidet, einmal durch Lebus gescheucht wurde. Oder hast du dir die einfach ausgedacht?

Lebus ist einfach der Mittelpunkt der Welt. Nein mal im Ernst, es ist eine Sage. Und in jeder Sage steckt ja auch ein bisschen Wahrheit. Der Rest ist vielleicht ausgedacht. Das weiß ich bei mir nie so genau.

War es also Kunstfell?

Ja, genau. Die Seelower können sich nicht einmal Ziegenfell leisten.

Ich nehme an, dir ist der schmale Grat bewusst, auf dem du dich jetzt gerade befindest? Ich würde an deiner Stelle im Bus nach Lebus demnächst ein bisschen aufpassen.

Ja, das ist aber auch genau mein Anliegen. Diese alte Feindschaft wieder auszubuddeln. Und ich werde keine Mütze tragen, auf der steht: Ich bin Frank. Aber ich passe auf, versprochen.

Die Lebuser Texte enthalten ziemlich viele tierische und bisweilen auch fantastische Elemente. Nicht selten driften sie ins Irreale ab. Du bist Sportsmann, aber die Frage muss gestattet sein: Was tut ihr euch da in den Tee?

Es ist wahrscheinlich die unmittelbare Nähe der bedrohten Tierarten. Biber und Füchse zum Beispiel. Die gereichen mir dann zu schönen Metaphern. Für die Landbevölkerung sind diese Tiere eine Plage. Aber ich füttere sie heimlich.





In all deinen Texten des aktuellen Buches geht‘s um Fußball. Ziemlich selten aber ums Spiel an sich. Warum?

Es ist das große Drumherum, das mich am meisten interessiert. Das, was man als Kulturgeschichte bezeichnen kann: Sind Tiere in der Nähe? Gibt‘s einen großen Wald oder Feuchtgebiete?

Frank, hast du vorhin Tee getrunken?

Ja, habe ich tatsächlich. Aber Tiere sind auch einfach wichtig. Wir haben zum Beispiel eine Katze, die mir sehr viel übers Leben erzählen kann.

Weiß die auch was über Fußball?

Sie hat mir schon desöfteren das richtige Ergebnis mitgeteilt.

Wie das?

Durch abstraktes Miauen. Miiiääääääääääääääääh heißt zwei. Miäh heißt 0.

Du bist also per Tippspiel ein reicher Mann geworden?

Nein, man sollte mit seiner Leidenschaft kein Geld verdienen, das lehne ich grundsätzlich ab.

Aber du verdienst doch mit dem Schreiben über Fußball dein Geld?

Aber nur sehr wenig! Und das auch nur, weil ich das Glück habe, dass ich das schreiben kann, was ich will und die Leute das auch noch bezahlen.

Du hast als Autor einiges ausprobiert. Zum Beispiel experimentelle Lyrik. Die meistgebrauchten Worte in deinen Kolumnen dürften Bockwurst, Bier und – klar – Fußball sein. Kannst du das mal bitte eben in ein paar experimentelle Verse gießen?

O Ball du

Du molliges Dinglein – du Lebensquelle

Du kommst zuerst und kommst zuletzt

Du bist für mich das Ein und Alles – eingeschlossen das Immaterielle

Du spendest Gunst, Freude, Schmerzen - Gestern und Jetzt

Ich bin zutiefst beeindruckt. Deswegen bin ich mir nicht sicher, ob wir noch einmal den Weg in den Fußballalltag schaffen. Versuchen wir’s trotzdem: Dein FC Carl Zeiss Jena steht – mal wieder – an der Schwelle zum Profifußball. Was wäre das Schlimmste am Aufstieg in Liga 3?

Die Strukturen haben sich dahingehend in Jena verbessert, dass die Belange der Fans mittlerweile gehört werden. Alle ziehen am gleichen Ende des Seils. Das schlimmste wäre, wenn dieser Prozess wieder beendet wird.

Meinst du, das könnte tatsächlich passieren?

Es muss nur der nächste Dödel kommen, der mit einem großen Geldschein winkt.

Geld ist ein gutes Stichwort: Du hast eine Utopie zum Thema Profifußball entworfen. Die Kurzform geht etwa so: 2063 gibt es zwei deutsche Fußballwelten - eine für VIPs und eine für normale Menschen. Es werden zwei Meisterschaften ausgetragen. Wer spielt wo?

Alle großen Vereine werden von ihren mündigen, aufrichtigen Fans neu gegründet. Und in jeder Stadt gibt es zwei Großvereine. Bei dem einen gönnen sich die VIPlinge zu Aalspießen und Luxus den Fußball. Die große Mehrheit der rechtschaffenen Fans feiert ihr eigenes Team bei Bier und bockwurstähnlichem Etwas. Finanziell wird wahrscheinlich sogar die VIPlings-Variante erfolgreicher. Wir werden es sehen.

Wie sieht deine Utopie für den Amateurfußball aus?

Der Amateurfußball bleibt, wie er ist.

Du spielst in der Autoren-Nationalmannschaft, hast einen offiziellen Treffer erzielt. War das dein genialster Moment in diesem Team?

Wir sind eine mittelmäßige Mannschaft alter Herren, in der ich seit zehn Jahren spiele. Das Tor habe ich ca. 2008 geschossen. Gegen Spiegel Online. Wir haben 15:1 gewonnen. Und ich stand bei einer Ecke am Pfosten und habe das Bein zum 13:1 hingehalten.


Ein enorm wichtiger Treffer…

Ja, es war ein wichtiges Tor. Es hat dem letzten Aufbäumen des Spiegel ein Ende gesetzt. Für solche Momente trainieren wir jeden Montag. Und danach gehen wir das, was wir uns abgeschwitzt haben, wieder draufsaufen. Beim Vereinswirt Rallè. Inzwischen bin ich eine Art Trainer, spiele nur noch vereinzelt mit und habe es geschafft, die letzten drei Spiele souverän zu verlieren.

Wann würdest Du aufhören zu spielen?

Wenn man mich in eine Kiste aus Eichenholz steckt.

Und wann würdest Du aufhören zu schreiben?

Wenn man mich in eine Kiste aus Eichenholz steckt.

Aufrufe: 04.2.2016, 12:27 Uhr
Marc SchützAutor