2024-05-02T16:12:49.858Z

Spielbericht

„Tränen in den Augen“ - FC-Bayern-Neuzugang Gwinn schießt Frauen zum Auftaktsieg

19-Jährige trifft bei WM-Debüt

Die von der Trainerin vorgegebenen Laufwege zu befolgen, ist für eine nicht volljährige Nationalspielerin vermutlich einfacher, als nach einer Partie dieser Frauen-WM die vorgeschriebenen Ablaufprotokolle einzuhalten.

VON FRANK HELLMANN

Rennes/Lille – Unmittelbar nach Spielschluss sollen alle Akteure nach neuester FIFA-Maßgabe die Mixed Zone passieren. Woher aber bitte sollte Lena Oberdorf im Roazhon Park von Rennes im Nachlauf wissen, wohin sie gehen sollte? Schüchtern verharrte Deutschlands Jüngste hinter Mitspielerin Sara Doorsoun, um eine Fernsehkamera nicht zu stören. Und nachdem sie am Ende ihrer vielen Interviews fast den falschen Ausgang genommen hatte, murmelte sie beim Abgang: „Peinlich, peinlich!“

Nein, das war es nicht! Beim 1:0-Arbeitssieg der deutschen Fußball-Frauen gegen China hatte die WM-Debütantin ansonsten alles richtig gemacht. Die Allrounderin von der SGS Essen löste mit 17 Jahren, fünf Monaten und 20 Tagen als jüngste deutsche WM-Spielerin aller Zeiten sogar Birgit Prinz ab, die bei der WM 1995 noch knapp zwei Monate älter gewesen ist. „Habe ich gar nicht gewusst“, merkte Oberdorf kurz an.

Ein Gesicht dieser neuen Generation im DFB-Team dürfte auch Giulia Gwinn werden. Die 19-Jährige konnte sich vor Schulterklopfern ebenfalls kaum retten. Ihr Vollspannstoß bedeutete nach 66 Minuten den Siegtreffer gegen China, obwohl die Flügelflitzerin vom SC Freiburg nach der Pause als Linksverteidigerin auflief. „Das gelingt mir kein zweites Mal“, räumte die „Spielerin des Spiels“ ein, die damit einen kuriosen Hattrick fabrizierte: heimste sie diese Auszeichnung doch auch beim Turnierdebüt bei der U17-WM 2016 und der U20-WM 2018 ein. Doch auf der Bühne bei den 24 besten Frauen-Teams der Welt zu treffen, ist noch bedeutender.

Auf der Tribüne saßen ihre Eltern, die mit dem Wohnmobil durch Frankreich touren. „Mein Vater weint eigentlich nie, aber er hatte Tränen in den Augen“, berichtete die Matchwinnerin, die ihr Tor als „Erlösung“ begriff, nachdem man von den Chinesinnen „viel auf die Socken bekommen“ hätte.

Die deutsche Nummer 6 (Oberdorf) und 15 (Gwinn) bringen vieles mit. Diesen beiden Nesthäkchen sind unbekümmert und unerschrocken, vielseitig und widerstandsfähig. Und sie spielen nicht zufällig für Vereine, der die meisten WM-Spielerinnen abgestellt (Essen) oder die meisten ausgebildet haben (Freiburg). Während Oberdorf, die Gymnasiastin aus Gevelsberg, noch zwei Jahre an die SGS Essen gebunden ist, wechselt Gwinn, die Sportmanagement-Studentin vom Bodensee, nun zum FC Bayern. „Ich möchte international spielen, Champions-League-Niveau“, erklärte sie.

Doch erst einmal will sie bei dieser WM möglichst bis zum Halbfinale mitspielen - am 2. Juli feiert sie nämlich ihren 20. Geburtstag. Kapitänin Alexandra Popp hat mit einem Augenzwinkern gerade über die beiden gesagt: „Lena ist unser Küken, und so verhält sie sich auch. Giuli ist die Hübscheste.“

Dem Team hilft jedoch mehr die fußballerische Frühreife, mit der Oberdorf in ihrem vierten und Gwinn in ihrem neunten Länderspiel jene Impulse gaben, die eigentlich von den älteren Spielerinnen hätten kommen müssen. Die Jungen spielten wie Routiniers: Oberdorf besitzt eine solch starke Physis, dass sie wie selbstverständlich nach ihrer Einwechslung erst das Mittelfeld, dann sogar die Abwehr stabilisierte. „Es spricht für Lena, wie sie das gemacht hat“, lobte Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg.

Bei Gwinn fiel auf, wie sie trotz schleppenden Einstiegs unbeirrt nach Lösungen suchte; egal, ob sie nun als Rechts-, Linksaußen oder Linksverteidigerin auflief. „Ich freue mich ganz besonders über das Tor von Giulia, weil es vor allem für die jungen Spielerinnen wichtig ist, mit einem guten Gefühl zu starten“, sagte der Sportliche Leiter Nationalmannschaften, Joti Chatzialexiou.

Nur mit solchen G(e)winnerinnen werden die DFB-Frauen bei der WM weit kommen, deshalb böte sich bereits gegen Spanien (Mittwoch 18.00 Uhr/ZDF) an, beiden von Anfang an zu vertrauen. „Ich gewöhne mich langsam dran, dass ich überall die Jüngste bin“, erklärte Oberdorf. Noch am vergangenen Donnerstag schrieb sie im Teamhotel in der Bretagne eine Klausur in ihrem Leistungsfach Sport zum Thema Muskelphysiologie. Wobei kam sie mehr ins Schwitzen? „Definitiv war das Spiel schwieriger“, erzählte sie.

Aufrufe: 011.6.2019, 12:21 Uhr
Münchner Merkur / tz / Redaktion Münchner MerkurAutor