2024-05-10T08:19:16.237Z

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Hoch das Bein: Training der Anspacher Fußballer um 1925 auf der Gemeindewiese am „Eselspfad“.	Repro Quelle: Ettig
Hoch das Bein: Training der Anspacher Fußballer um 1925 auf der Gemeindewiese am „Eselspfad“. Repro Quelle: Ettig

Es begann »vor der Höh«

GESCHICHTE: +++ Teil 1: Historischer Blick auf den Fußball im Usinger Land / Grävenwiesbach und Anspach waren die Vorreiter +++

HOCHTAUNUS (wst). Die Corona-Pandemie hat den Fußball im Usinger Land auch weiterhin fest im Griff. Keine Spiele, keine Emotionen und später auch keine Diskussionen an den Stammtischen. Die schönste Nebensache der Welt bekommt plötzlich einen völlig anderen Stellenwert. Aber vergessen ist der Fußball natürlich nicht. Alle Freunde dieser Sportart, ob Aktive oder Zuschauer, freuen sich, wenn es wieder losgeht. Doch so weit ist es noch lange nicht und weiterhin ist noch sehr viel Geduld angesagt.

Bevor das regionale Fußballgeschehen wieder aktuell wird, werfen wir einen Blick in die Vergangenheit auf die frühen Formen des Fußballspiels und widmen uns dann den Anfängen dieser Sportart im Usinger Land. Unser Mitarbeiter Wolfgang Stalter beleuchtet in Zusammenarbeit mit Wolfgang Ettig, auf dessen Buch diese Texte beruhen, die ersten Fußball-Jahre in hiesigen Gefilden.

In Germanien Fehlanzeige

Es gab Kugeln aus Leder, Stoff oder sonstigem Material, gefüllt mit Luft, Federn oder Tierhaaren, mit denen der Spieltrieb des Menschen auf verschiedene Art und Weise befriedigt wurde. Deshalb war es nicht verwunderlich, dass überall auf der Erde Spiele entwickelt wurden, in denen ein Ball im Mittelpunkt stand. Aus dieser Zeit sind bei früheren Spielen zwei unterschiedliche Vorgehensweisen überliefert. Einerseits der kunstvolle Umgang mit dem Ball mittels Fuß, Hand, Kopf und so weiter zur Demonstration besonderer Fähigkeiten. Beispielhaft hierfür ist das japanische „Kemari“. Es wurde mit den Füßen gespielt, diente der Darbietung der Götter und durfte daher nur in Tempeln praktiziert werden. Ziel war es nicht, ein „Tor“ zu erzielen, sondern den Ball mit dem Fuß solange wie möglich in der Luft zu halten. Andererseits das Kampfspiel, in dem es darum geht, den Ball nach allen Regeln der (Kampf)Kunst in ein Ziel oder Tor zu befördern.

Aber auch andere Länder wie China, Mexiko, Belgien oder Italien hatten schon vor dem 16. Jahrhundert Spaß an fußballähnlichen Spielen. Dennoch liegt die ursprüngliche Wiege des „modernen“ Fußballspiels wohl in England. Aus England gibt es frühmittelalterliche Hinweise, dass Ballspiele – sogenanntes „Folk Football“ (Village Football) – zwischen Dörfern und Stadtvierteln ausgetragen wurde. Mannschaften gab es nicht, auch war die Zahl der Spieler nicht begrenzt. Da ging es nicht zimperlich zu, so richtige Regeln für das Spiel waren nicht vorgesehen. Auf geeigneten Freiflächen trat die gesamte Einwohnerschaft einzelner Orte gegeneinander an. Diese Spiele arteten oft in wüste Prügeleien und Tumulte aus und konnten sich von morgens bis zum Einbruch der Dunkelheit hinziehen. Entsprechend groß waren die Spielfelder, die von Dorf zu Dorf reichten. Daraus kann man ableiten, dass Fußballspielen zu dieser Zeit, oder das was man seinerzeit dafür hielt, ein einfaches, raues unreguliertes Volksspiel war. Doch derartige Spiele waren nicht nur auf England beschränkt. In einer Chronik zu Beginn des 11. Jahrhunderts wird von einer (Fuß)Ballschlacht in Flandern zwischen zwei Dörfern auf einer Wiese berichtet, wo es sehr turbulent zugegangen sein muss.

Da ist Deutschlands Fußballtradition doch eher jung. Selbst bei einem Blick weiter zurück in die Vergangenheit finden sich keine „germanischen“ Fußballambitionen. Andere Ballspielarten waren zunächst beliebter. „Pallone“ hieß das aus Italien stammende Ballspiel, das bei unseren Vorfahren sehr beliebt war. Das Spiel erinnerte etwas an Faustball, bei dem die Akteure verhindern mussten, dass der Ball auf den Boden fiel. Im 17. Jahrhundert war das „Pallone-Spiel“ in weiten Teilen Deutschlands und Frankreichs besonders in Adelskreisen beliebt. Zur Grundausstattung gehörten ein Ball sowie ein Unterarmschutz, der das Spielen des schweren Balles erleichterte. Auch spielten die Germanen etwas, das dem heutigen Völkerball sehr ähnlich ist. Nach dem Ausflug in die Welt der historischen Ballspiele wenden wir uns dem eigentlichen Thema, dem Fußballspiel im Usinger Land zu.

Das Fußballspiel hatte sich in Deutschland bereits vor der Jahrhundertwende etabliert. Um 1875 wurde in Frankfurt am Main der Fußballvorläufer Rugby gespielt. Es sollten dann fast noch 20 Jahre ins Land gehen, bis sich der erste Fußballverein in in der Mainmetropole gründete. Am 26. August 1894 war es dann soweit, der Frankfurter „Fußballclub Germania“ betrat die Bühne. Aus seiner Keimzelle geht indirekt die heutige Bundesligamannschaft von Eintracht Frankfurt hervor. Unklar ist heute, ob der Funke von Frankfurt in Richtung Bad Homburg übersprang, das ist nicht belegt. Tatsache ist, dass sich am 20. August 1905 der „SC Germania 05 Bad Homburg“ gründete und 1908 in Kirdorf der Fußballclub „1. FC Viktoria 08 Kirdorf“ aus der Taufe gehoben wurde.

Ball rollt ins Usinger Land

Während „vor der Höh“ bereits fleißig dem runden Leder nachgejagt wurde, war es nur eine Frage der Zeit, bis man auch „hinner de Hecke“ auf den Geschmack kam. Aber das dauerte noch, denn die örtlichen Turnvereine standen dem neumodischen Sport sehr skeptisch gegenüber und wollten verhindern, dass der Virus der „Englischen Krankheit“ die Jugend befallen möge. Die Devise: „Im Usinger Land turnte man oder fuhr Rad.“

Es gab zu dieser Zeit im Hinterland mehr als 20 Turn- oder Radvereine. Aber der Fortschritt ließ sich nicht aufhalten. Denn viele Jugendliche aus dieser Zeit gingen in irgendeiner Form dem „Straßenfußball“ nach. Vorreiter im Usinger Land dürften Grävenwiesbach und Anspach gewesen sein, denn am 10. Juli 1908 gründeten turn- und sportfreudige Bürger in Grävenwiesbach einen Turn-/Spielclub. Auch das noch sehr zarte Pflänzchen Fußball wurde dabei nicht vergessen. Eine offizielle Fußballabteilung wurde noch nicht ins Leben gerufen. Wichtig war aber, dass man dem neuen Spiel durchaus aufgeschlossen gegenüberstand. Insgesamt gesehen darf man davon ausgehen, dass sich in vielen Vereinen konservative Kräfte – besonders aus den Turnriegen – schon aus Traditionsverbundenheit der Aufnahme des Fußballs in die Statuten widersetzten.

Doch es gab, wie beispielsweise in Anspach, auch Ausnahmen, denn der traditionsreiche Turnverein, gegründet 1862 als „Turn- und Gesangverein Theodor Körner“ stimmte schon 1908 der Bildung einer Fußballmannschaft zu. Allerdings war es wohl eher eine unter dem Dach des Turnvereins geduldete Mannschaft. Von einem durchgeplanten Spielbetrieb und Zugehörigkeit zu einer Spielklasse konnte zu dieser Zeit noch keine Rede sein. Es wurde auf einer weit außerhalb des Dorfes gelegenen und von der Gemeinde zur Verfügung gestellten Wiese am „Eselspfad“ – am Rande des Stahlnhainer Grunds – gespielt. Das „Spielfeld“ präsentierte sich – gemessen an den heutigen Ansprüchen – wie eine „Zirkuswiese“. Anfänglich reichte es von der Spieltechnik her mehr schlecht als recht nur zu anspruchslosen Freundschaftsspielen. Trotzdem blieb der Spaß, auch wenn der Anspacher Verein nur ganze fünf Jahre Bestand hatte.

Aber nicht nur in Grävenwiesbach oder Anspach war die Sporteuphorie ungebrochen. 1912 wurde in Rod an der Weil ein „Turn- und Spielverein“ gegründet und am 23. Januar im Vereinsregister beim Königlichen Amtsgericht in Usingen eingetragen. Man staune, vertreten waren eine Fußball-, eine Radfahr- und sogar eine Motorradrennsportabteilung.

Im gleichen Jahr begann auch Pfaffen-wiesbach sich mit dem Fußball anzufreunden. Der dortige Turnverein „Vorwärts“ – primär auf Turnen und Leichtathletik ausgerichtet – bildete eine Fußballriege, die aber ganz im Schatten des Turnens stand. Es war jedoch eine Möglichkeit, dem Verein neue Mitglieder hinzuzuführen. Gespielt wurde auf dem alten Sportplatz oberhalb des Ortes in Richtung Winterstein. Falls es sich bei der Fußballgruppe um keine „wild“ spielende Mannschaft, sondern um eine geduldete Riege innerhalb der Turnerschaft gehandelt hat, kann man den damaligen Vorstand als aufgeschlossen und fortschrittlich bezeichnen. (Fortsetzung folgt).

Quelle: „Das runde Leder“ – Die Anfänge des Fußballsports im Usinger Land – Verlag Wolfgang Ettig, 242 Seiten, im Buchhandel erhältlich



Aufrufe: 013.5.2020, 08:00 Uhr
Usinger AnzeigerAutor