2024-05-17T14:19:24.476Z

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Früher sollte der Ball ins Tor, jetzt muss die Axt in die Zielscheibe – irgendwie kein großer Unterschied. In Münster.	Foto: Schepp
Früher sollte der Ball ins Tor, jetzt muss die Axt in die Zielscheibe – irgendwie kein großer Unterschied. In Münster. Foto: Schepp

Erst flogen Bälle, nun fliegen Äxte

VERLORENE PLÄTZE: +++ In Münster liegt am Ortseingang der Mitte der 60er-Jahre erbaute Sportplatz / Fußball ist seit 2001 out +++

Giessen. Münster ist ein wohlklingender Ortsname. Preußen Münster ist Fußball-Drittligist. Und das Ulmer Münster hat den höchsten Kirchturm der Welt. Alleine in Hessen gibt es fünf Orte mit dem Namen Münster, was von Monasterium stammt und auf eine ehemalige Mönchsansiedlung hindeutet. Zu diesen Zeiten wurden sicher auch Streitäxte geschwungen. Vielleicht so ähnliche wie heute wieder, die mittlerweile auf dem Sportgelände des SV Münster den (sportlichen) Ton angeben. Die Axtwerfer.

700 Einwohner hat der Laubacher Ortsteil laut Chronik aus dem Jahr 2016. Man ist schnell durch. Aber auch kleine Ortschaften haben große Geschichten zu erzählen, vor allem, wenn es Zeitzeugen gibt wie Jürgen Günther, der Anfang der 60er-Jahre aus Frankfurt kam und als Koch in der Gaststätte „Zum Hirsch“ nicht die Axt, aber das Fleischmesser schwang. Der auch maßgeblich daran beteiligt war, dass am Ortseingang (von Gießen aus gesehen) der Fußballplatz entstand. Jürgen Günther (80) kann herrlich erzählen, wie Mitte der 60er die Straße von Lich nach Münster und dann von Münster nach Laubach gebaut wurde, wie die Straßenarbeiter mal mit Erde aushalfen oder auch eine Raupe zur Verfügung stellten, wie Firmen dem Verein unter die Arme griffen, als es nicht weiterging, wie der legendäre Kreisfußballwart Toni Pliska sich einschaltete, der auch politisch Einfluss nahm, damit der Sportplatz angelegt werden konnte. Weil 100 000 Mark, die dafür von Lotto Hessen vorgesehen waren, irgendwo von Amtsträgern „verwurschtelt“ worden waren. Wie Günther sagt. „Es war“, erzählt der ehemalige Gastronom, „alles einfacher, weil man sich gegenseitig geholfen hat“. Und, das sagt er auch, weil die ganze Bürokratie noch nicht so ausufernd gewesen sei. Jürgen Günther weiß, wovon er spricht. Er hat sich lange um den Jugendfußball des kleinen Vereins gekümmert, „da musste man schon mal die Kinder im Ort ansprechen, wenn man eine Mannschaft zusammenbekommen wollte“. Heute bräuchte man Vollmachten, Führungszeugnisse und „die ganzen bürokratischen Sachen, die das Ehrenamt verleiden“. Der SV Münster, sagt Günther, habe sehr oft richtig gute Jugendmannschaften gehabt. Vor allem in den älteren Jahrgängen, mal in Spielgemeinschaft mit Ettingshausen, aber auch später mit Bessingen. Die Senioren hätten in der B-Liga gespielt, da „ging‘s auch oft mehr ums Schoppe trinken als um den Fußball“, aber das gehöre ja auch dazu, sagt der ehemalige Wirt. Was er besonders bedauerlich findet, ist, dass es heute „so schwer ist, Jugendarbeit zu machen. Die Kinder haben so lange Schule, dann kommen sie doch gar nicht mehr dazu, mit Freude Fußball zu spielen. Früher haben sie bei mir gefragt, ob sie einen Ball haben können, weil sie kicken wollten.“ Den ganzen Tag sei auf dem Platz Betrieb gewesen.

Seit 2001 gibt es keinen Seniorenfußball mehr in Münster, drei, vier Jahre lang gab es noch eine B-Jugend mit Queckborn und Lauter zusammen, erinnert sich Günther. Dann folgte nach Leerstand eine Motorradgruppe der Polizei auf dem Gelände, jetzt sind dort die Axtwerfer als eingetragener Verein. Jürgen Günther freut das: „Dann erfüllt der Platz wenigstens noch einen Zweck,“

PS: Als vor vielen Jahren ein Student, der beim MTV 1846 Gießen spielte, erfuhr, dass man auch ein Spiel in Münster habe, war er recht perplex. So weit? Die einheimischen Mitspieler klärten ihn dann auf. Nein, das Münster, wo wir spielen, liegt nicht in Westfalen.

Rüdiger Dittrich



Aufrufe: 019.5.2020, 08:00 Uhr
Gießener AnzeigerAutor