2024-03-18T14:48:53.228Z

Querpass

EM der Herzen

oder: Über gewonnene und zerbrochene Titel-Träume

Nun ist sie schon wieder vorbei - die Europameisterschaft 2016!

Und man kann sagen, es war eine Europameisterschaft der Außenseiter, in der kein wirklich zuvor heiß ernannter Favorit überzeugen konnte. Der Weltmeister Deutschland musste enttäuscht und desillusioniert die Heimreise antreten, obwohl man nach dem wirklich eindrucksvollen und überzeugenden Halbfinaleinzug gegen die Slowakei mit 3-0 allen Grund zur Hoffnung hatte, dass der deutschen Mannschaft das ähnliche Kabinettstückchen gelingen könnte, wie es Frankreich 2000 und Spanien 2012 gelungen war: Quasi das internationale Double zu erreichen: Weltmeisterschaft und Europameisterschaft am Stück zu gewinnen. Spanien gelang strenggenommen sogar ein Trio (EM-Titel 2008).

Doch gegen den späteren Finalisten Frankreich war Schluss, der in diesem Spiel ausnahmsweise mal nicht dominierte, aber viel mehr Cleverness im Abschluss zeigte. Bezeichnend auch, dass Antoine Griezmann, der als bester Torschütze des Turniers folgerichtig ausgezeichnet werden sollte, sich in Persona verantwortlich für die beiden „Gegentreffer“ aus deutscher Sicht zeigte.

Nun folgte als Reaktion auf eine sagen wir völlig unerwartete Finalbegegnung eine interessante Diskussion in der Öffentlichkeit. Andersrum gefragt: gab es jemals in einem internationalen Turnier ein erwartetes Finale? Unverständlich, wie viel Häme es beim Bekanntwerden der Partie Portugal – Frankreich im Netz hagelt - beherbergen beide Teams doch etablierte und werdende Topstars :D)

War der Sieg Portugals verdient?

Ähm wie bitte? Ich finde es ja meistens eine spannende und doch zugleich leidige Diskussion, den Verdienst eines Erfolges infrage zu stellen. Was heißt es überhaupt etwas verdient zuhaben? Erübrigt sich dieser Ausdruck nicht unmittelbar im Anerkennen der Tatsache, dass eine Mannschaft letztendendes, wenn auch erst in der Verlängerung, das Spiel für sich entscheiden konnte? Wer in Herr Gottes Namen definiert denn die Kriterien bzw. Faktoren eines gerechtfertigten Verdienstes? Portugal wurde z.B. als Partycrasher bezeichnet, was ja impliziert, dass der Titel Frankreich schon vorher insgeheim zugesprochen wurde. Das (bekannte) Duell David gegen Goliath. Und wer die Bibel aufmerksam gelesen hat, weiß, wie dieses Duell ausgegangen ist. Meistens ist ja eben gerade der Underground in der psychologisch besten Position: Von ihm wird nichts erwartet und er hat zugleich nichts zu verlieren.

Portugal hat in der Tat sich durchs Turnier geschleppt, kritischere Stimmen würden auch sagen, gemogelt. Mit Glück und Geschick haben sie sich trotz dreier dürftiger Unentschieden (1.1 gg. Island, 0:0 gg. Österreich und 3:3 gg. Ungarn) durch die Gruppenphase gemausert. Auch ein kontinuierliches Kunststück so gesehen.! Es war klar, dass dieses Konzept für die K.O-. Phase nicht von Erfolg gekrönt sein würde. Aber zum Glück gibt es ja eigens für diese Phase des Turniers die Verlängerung! Und die reichte den Portugiesen aus. Kroatien mit 1:0 nach Hause zu schicken. Doch als ob die Portugiesen ihre Nerven schon mal für ein dramatisches Finale stählern wollten, setzten sie gegen Polen noch einen drauf und gönnten sich ein dramatisches Elfmeterschießen. Ronaldo eröffnete trotz einer sehr, sehr schwachen Partie seinerseits selbstbewusst den Torreigen. Die darauffolgenden Schützen waren genauso sicher vom Punkt wie er, sodass es am Ende 6:4 hieß. Erst im Halbfinale gelang es ihnen, die Begegnung aus dem Spiel heraus zu entscheiden. Und das gegen keinen geringeren als EM-Neuling und DIE Überraschungsmannschaft des Turniers: Wales. Das Team um den Käpt'n und Real-Stürmer-Star Gareth Bales musste sich ausgerechnet in diesem Spiel Mit-Spieler (und Erz-Kontrahent) Cristiano Ronaldo eindeutig geschlagen geben. Das direkte Duell der Millionentransfers (Bale stellte bei seiner Verpflichtung 2013 mit seiner damaligen Ablösesumme von 100 Millionen Euro den Transferrekord von Ronaldo ein. Er hatte damals 2009 den Weg von Manchester United zu den Madrilenen für schlappe 94 Millionen Euro gefunden). Dieses Duell der Giganten entschied ausgerechnet Ronaldo für sich, der mit seinem wuchtigen Kopfballtor sich und sein Team aus der bis dato präsentierten portugiesischen Phlegmatik herausriss. Einmal mehr sollte also Bale, der bis zu diesem Zeitpunkt eine sehr ansprechende EM bestritten hatte, im Schatten seines kongenialen Sturmpartners bleiben.

Frankreich hingegen steigerte sich von Spiel zu Spiel und beendete die Gruppenphase mit zwei Siegen (2:1 gg. Rumänien, 2:0 gg. Albanien) und einem Unentschieden (0:0 gg. die Schweiz) wie erwartet als Primus. Mit dem 12. Mann im Rücken als Ausrichter der EM schalteten sie, wenn auch knapp, Irland aus. Spätestens aber, als sie den zweiten Turnierschreck, den Fußballzwerg der Europameisterschaft, Island, in seine Grenzen verwiesen und auf den Boden der Tatsachen zurückgebracht hatten, war allen „Fußballkennern“ klar: hier spielt der zukünftige Europameister.

Doch besonderen Respekt und Anerkennung hat Island neben Wales „verdient“: Die Männer aus dem hohen Norden, die auch durch die Bank weg so aussahen wie man es aus dem Bilderbuch kennt und es von allen Namen erwartet, die auf –son enden :D behaart, vor allem im Gesicht, vorneweg der Verteidiger und Käptn Aron Gunnarsson, hatten als Fußball-Wikinger bei ihrer Entdeckungsfahrt durch das Meer der EM-Erfolge, sichtlich Spaß. Hihihi gewitzt und ohne falschen Respekt wagten sie sich in die Fußballschlacht. Angefeuert durch die Schlachtgesänge ihrer Fans wurden sie uneingeschränkt von Spiel zu Spiel getragen. Selbst bei dem missglückten Duell gegen Frankreich, ertönten als Anerkennung für die geleisteten Dienste rhythmische Klatschgeräusche. Dies beeindruckte und inspirierte den Gastgeber der EM so sehr, dass er diese Huldigung gleich in der darauffolgenden Partie imitierte.

So manchem Favoriten wurde der Schneid abgekauft und u.a. die Fußballmama, England, im Achtelfinale mit 2-1 nach Hause geschickt. Gary Lineker brachte dieses bebende Ereignis mit einem herrlich treffenden Vergleich auf den Punkt: „Das ist die schlimmste Niederlage unserer Geschichte. England ist von einem Land geschlagen worden, das mehr Vulkane als Fußballprofis hat." So schrieben sie nicht nur mit der Qualifikation zur EM zu Recht ein Stück isländische Erfolgsgeschichte und können sich dieses Ergebnis stolz in ihre Wikinger-Boote ritzen. Doch gegen die leichtfüßige und schnelle Legion Frankreichs mit auffallend vielen dunkelhäutigen Vertretern hatten sie leider schon in der ersten Halbzeit wenig entgegenzusetzen und lagen uneinholbar 0-4 hinten - auch dank zweier sensationeller Tore des uneinfangbaren, vielseitigen, spritzigen (weißen!) Antoine Griezmanns. Trotzdem spricht es für die Moral der Truppe. von Lars Lagerbäck (göttlich dieser Name, wie ein salziges krustiges Knäckebrot) und grundsätzlich für sie, dass sie immerhin noch zwei Ehrentreffer verbuchten und nicht sang- und klanglos in den Angriffswellen der Franzosen untergingen, sondern munter Konter starteten.

Doch der Fuß-Ball spielt selten so , wie man es erwartet. (Hihihi davon können die passionierten Wett-„Profis“ ein Lied singen): Dies wurde vorallem im Finale deutlich, als in der 25. Minute Cristiano Ronaldo anders als er es wahrscheinlich selbst erhofft und erwartet hatte, kurzzeitig und endgültig in den Blickpunkt des Finales rückte:

Anders als es Oliver Kahn, der diesen Spieler für das liebt, was er kann, aber dessen mediale Gedöns ihn langweile, rührte das ab der 25. Minute zu verfolgende Schauspiel vermutlich/ hopefully alle Zuschauer zu Herzen. Denn der Superstar und überragende Torschütze von Real, der durch harte Arbeit und unbändigem Ehrgeiz alles erreicht hat, was sich ein Fußballer erträumen kann, erlebte einen Schockmoment erster Klasse. Und das zu einem denkbar ungünstigem Zeitpunkt, in dem er kurz vorm Ziel seiner Träume stand: Mit Portugal einen internationalen Titel zu erlangen. Nach einem (zu) harten Tackling von Payet war sein Knie weggesackt. Zwar versuchte er in zwei Anläufen so lange wie möglich dem Finale erhalten zu bleiben, musste aber dann sichtlich geknickt eingestehen, dass es keinen Sinn mache. Der muskulöse Koloss ließ über die Tatsache des Finalaus als auch der Ungewissheit über die Verletzung seinen Gefühlen freien Lauf und vergoss bittere Tränen. Bild.de versah noch am gleichen Tag eine Eilnotiz des verletzt am Boden liegenden Ronaldos mit den Worten: „Das hat er nicht verdient“. WAT? Will meinen: obwohl er sonst immer gern ins Kreuzfeuer der Kritik geraten war, sei einem Spieler seines Formats, der gern als Diva, Heulsuse oder auch eitler Gockel verschrien ist, ein solcher Moment nicht zuzumuten? Wie unsagbar gnädig! Gibt es ernsthaft Verletzungen, die ein Spieler verdient hat, d.h. die ihm zu Recht widerfahren? Wohl kaum! Wie gut, dass wiederum so etwas den Superstar kalt lässt. Er hat ganz dem Naturell seines Kämpfertyps verhaftet das Beste aus dieser misslichen Lage gemacht und als Käptn auf seine ihm eigene Art Verantwortung übernommen: Rührend (für den Fan) und sicherlich affig bzw. lächerlich als ewiger Kritiker (Hater) zu verfolgen, war sein Schauspiel an der Seitenlinie. Ronaldo motivierte seine Mitspieler, aber wie! In den spannenden Schlussminuten hielt es den Käpt'n nicht mehr auf den Sitzen. Engagiert und aufgebracht humpelte er in die Coaching-Zone, übernahm das Zepter des Chef-Trainers Fernando Santos. Dieser zeigte sich sichtlich unwohl - oder sagen wir neutral - irritiert über den Einsatz seines Schützlings. Die hilflosen halbherzigen Versuche, ihn aber der Coachingzone zu verweisen, schlugen fehl. Am Ende tummelte sich fast die ganze Ersatzbank in diesem Bereich :D Die Süddeutsche Zeitung kommentierte diese ungewöhnliche Maßnahme mit den Worten: „Große Leistung an der Seitenlinie: Hier noch einmal der Europameistertrainer der Portugiesen (neben ihm ein Mann im Anzug).“

Als in der 109. Minute der eingewechselte Stürmer Eder zum Matchwinner für Portugal im EM-Finale avancierte und letztlich eine spannenden Partie trotz der größeren Möglichkeiten für den Gastgeber zugunsten der leidenschaftlich kämpfende Portugiesen für sich entschied, weinte CR7 erneut. Diesmal vor Glück. Ob es ihm gelangt, eine Imagekorrektur vorgenommen zu haben, muss im Auge des einzelnen Betrachters liegen. Denn wer Dinge negativ sehen will, wird es selbst bei diesem dramatischen Finale tun. Wer sie positiv sehen, will, wird das erkennen, was Ronaldo immer war und er folgerichtig seinen entscheidenden Anteil zu diesem historischen EM-Triumph beigetragen hat: Dass der verspielte Egomane auch ein Teamplayer sein kann und das ein Grund mehr ist, sich für ihn zu freuen. (genauso wie über die Tatsache, dass er doch „nur“ eine Innenbandverletzung davongetragen hat und nicht, wie befürchtet, das Kreuzband gelitten hat)

(Kritische) Stimmen zum Spiel:

  • VannyBunny: Ich eröffne eine Bar in Frankreich und nenne sie Pogbar. Dort betrinken sich traurige Fußballfans.
  • Ron Stoklas: Ein Spiel wie ein schlechtes Date: Keiner kommt zum Abschluss, jemand ist verletzt & man findet keinen Weg es vorzeitig zu beenden.
  • Cedric: "Das realisiere ich noch nicht. Ich habe keine Worte, was ich in diesem Moment fühle. Ronaldo hat alles gegeben und uns in der Halbzeit Mut zugesprochen. Wir haben es geschafft.“

Aufrufe: 022.7.2016, 14:00 Uhr
Romina BurgheimAutor