2024-04-16T09:15:35.043Z

Interview
Schiedsrichterin Annette Hanf muss Kornburgs Trainer Herbert Heidenreich in die Schranken weisen.. F: Zink
Schiedsrichterin Annette Hanf muss Kornburgs Trainer Herbert Heidenreich in die Schranken weisen.. F: Zink

"Eine blonde Frau, was will denn die auf dem Platz?"

Ein Gespräch mit Schiedsrichterin Annette Hanf über flirtende Spieler, die Kunst, Fehler zuzugeben und einen Fall von Sexismus, der tiefer ging als alle Stammtischsprüche

Mit Bibiana Steinhaus wird ab kommender Saison erstmals eine Schiedsrichterin in der Bundesliga der Männer Spiele pfeifen. Auch im Amateurfußball sind weibliche Unparteiische längst keine Seltenheit mehr. Annette Hanf aus Stein leitet Spiele seit sie ein Teenager ist. Sie fing bei den Männern an und pfeift dort bis in die Bayernliga, die fünfthöchste Spielklasse Deutschlands. Bei den Frauen ist sie Unparteiische in der 2. Bundesliga. Wie setzt man sich als Frau auf dem Fußballplatz durch? Ein Gespräch über flirtende Spieler, die Kunst, Fehler zuzugeben und einen Fall von Sexismus, der tiefer ging als alle Stammtischsprüche.

Frau Hanf, wie reagieren Sie, wenn ein Fußballer nach dem Spiel gerne Ihre Handynummer hätten?

Hanf: Da gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder man ignoriert es oder man heiratet einen davon. Ich habe meinen Mann tatsächlich bei meinem allerersten Bezirksligaspiel kennengelernt. Aber normalerweise ignoriert man das. Eigentlich immer. Bis auf dieses eine Mal (lacht).

Wird man oft angeflirtet?

Hanf: Das kann schon passieren, ja.

Und was macht man da als Schiedsrichterin?

Hanf: Kommt drauf an. Man kann es manchmal ein bisschen für sich nutzen und manche Situation entspannen. Ich kann Dinge sagen, die vielleicht nicht so gut angekommen würden, wenn ein Mann sie sagen würde.

Das müssen Sie erklären.

Hanf: Hm. Ich kann anders mit Männern reden, eher auf die menschliche Schiene gehen und sagen: „Mensch, aber das kannst du doch viel besser, du musst doch gar nicht foulen.“ Wenn das ein Mann sagen würde, könnte es schwierig werden. Aber ich sage natürlich nicht: Wenn du nicht mehr foulst, kriegst du meine Handynummer. Das wäre Schwachsinn.

Wie ist es umgekehrt – gehen auch Spieler mit Ihnen anders um, weil Sie eine Frau sind?

Hanf: Es ist Fifty-Fifty. Einerseits ist es manchmal schwer, weil man aufgrund seines Geschlechts gar nichts richtig machen kann. Da ist es egal was du machst, da ist das das Entscheidende, dass du eine Frau bist. Aber das kommt selten vor. Oft sind eher die Zuschauer negativ eingestellt: Oh, eine blonde Frau, was will die hier auf dem Platz? Die Spieler sind nicht rücksichtsvoller, aber vielleicht etwas zuvorkommender. Es kommt schon vor, dass ich in einem Tumult gerate oder Spieler auf mich zustürmen – aber prinzipiell wahren sie mehr Abstand.

Schiedsrichter stehen meistens im Mittelpunkt, wenn sie Fehler machen. Wenn sie etwas richtig machen eher nicht. Warum entscheidet man sich für den Job?

Hanf: Eine berechtigte Frage. Weil man den Fußball liebt und Gerechtigkeitssinn hat. Und in meinem speziellen Fall, weil mein Verein (damals TSV Elpersdorf, heute SV Meinhardswinden, Anm. d. Red.) Schiedsrichter gebraucht hat. Mein Vater war Vorstand und ich musste einspringen. Und irgendwann findet man trotz der Widrigkeiten Gefallen dran. Böse Zungen behaupten, man macht den Job, weil man nicht Fußball spielen kann.

Stimmt das?

Hanf (lacht): Zumindest für mich nicht. Manchmal mag das der Fall sein. Generell gilt: In den Medien kommt man vielleicht nicht gut weg, aber auf dem Fußballplatz schon. Da gibt es auch mal Lob oder zumindest keinen Ärger.

Ist das schon gut – wenn es keinen Ärger gibt?

Hanf (lacht): Als Schiedsrichter, ja. Irgendwie erbärmlich, aber es ist so. Aber konstruktive Kritik ist natürlich vollkommen legitim.

Wie kamen Sie dazu, auch Männerspiele zu pfeifen?

Hanf: Frauenspiele habe ich früher witzigerweise so gut wie nie gepfiffen. Vielleicht hätte das Interessenskonflikte gegeben, ich habe in Weinberg ja selbst Fußball gespielt. Ich musste wie jeder den Schiri-Lehrgang bestehen. Dann fängt man mit Jugendspielen an. Mein erstes ist 16:0 ausgegangen, das weiß ich noch. Es spricht sich rum, wenn man etwas kann. Und so steigt man immer weiter auf.

War das am Anfang ein großes Thema, dass eine Frau Männerspiele pfeift?

Hanf: Kommt darauf an. Bei den Jungs war es kein Ding, das war ja in meinem Heimatlandkreis. Da war ich jahrelang Spielerin, habe einen Zwillingsbruder, der Fußball spielt, das heißt, die kannten mich. Bei den Erwachsenen habe ich mit 16 angefangen. Da war ich jahrelang die Einzige. Da war es ungewöhnlich, aber nicht per se negativ. Sie waren erstaunt, das ist aber heute noch so.

"Wenn ich zum Trainer gehe, kriegt das jeder mit"

Schiedsrichter sind oft als arrogant verschrien. Wie verschafft man sich Respekt ohne überheblich zu sein?

Hanf: Es gibt kein Patentrezept, außer richtige Entscheidungen zu fällen. Aber das können wir nicht immer. Ansonsten ist es eine Gratwanderung. Ich versuche viel durch Kommunikation zu lösen, durch freundlichen, aber bestimmten Umgangston. Und ich bin mir nicht zu schade, einen Fehler während des Spieles zuzugeben.

Ist es mit Trainern schwieriger, gerade wenn es darum geht, Fehler zuzugeben? Die schimpfen oft am meisten.

Hanf: Oft ist es schwierig, weil die Trainer weit weg sind. Wenn ich mit dem Coach spreche, muss das Spiel unterbrochen sein und das ist sehr außenwirksam. Zum Spielführer gehe ich während des Spiels, das kriegen von 100 Zuschauern 98 gar nicht mit. Wenn ich zum Trainer gehe, kriegt das jeder mit. Die fühlen sich dann schnell gegängelt und benachteiligt.

Und es bringt wirklich etwas, Fehler im Spiel zuzugeben?

Hanf: Natürlich sollte das nicht zu oft passieren. Wenn ich es das dritte Mal mache, denken sich die Spieler auch: Was will die eigentlich?

Schafft man das eigentlich auszublenden, was einem Zuschauer an den Kopf werfen?

Hanf: Das kann man nur ignorieren. Es gibt bei uns den Spruch: Ein guter Schiri sieht mehr als er hört. Aber es funktioniert nicht immer. Dann muss man einen Mittelweg finden. Man reflektiert kurz: War da jetzt wirklich was falsch oder bin ich mir sicher? Einfach ist es zum Beispiel bei Regeländerungen, wenn die Zuschauer einfach nicht wissen, worum es geht. Aber es gibt ja Entscheidungen, wo es 70:30 steht. Und dann kommen von außen viele Stimmen. Das sollte einen nicht beeinflussen, aber manchmal geht es einem nach. Man darf sich davon nur nicht die nächste Entscheidung beeinflussen lassen. Das ist das Meisterstück.

Und als Frau hat man bei den grantelnden Fans einen besonders schweren Stand?

Hanf: Man muss sich schon mehr anhören. Jetzt bin ich noch blond, damit erfülle ich schonmal das Klischee von vielen, dass ich nichts an einem Sportplatz verloren habe. Aber ich habe schon früh erkannt, dass das Gemecker gegen die Institution Schiedsrichter geht und nicht gegen mich persönlich.

Was muss man da für eine Persönlichkeit mitbringen?

Hanf: Man kann sich viel aneignen, das merkt man auch an den Neulingen. Die entwickeln sich in den ersten Jahren unglaublich, werden viel selbstbewusster. Das sind 15, 16-Jährige, die auf dem Sportplatz auf wildfremde Menschen zugehen müssen. Wer kann das in dem Alter schon von sich behaupten? Von Vorteil ist es aber schon, Durchsetzungsvermögen zu besitzen. Und ein Menschenfreund zu sein. Man darf nicht nachtragend sein. Mir hilft vielleicht, dass ich Lehrerin bin.

Täuscht der Eindruck, dass es auf Amateurfußballplätzen immer brutaler zugeht?

Hanf: Ich selbst war von so etwas noch nie betroffen. Aber subjektiv hat man das Gefühl. Ich glaube, es ist salonfähiger geworden, die Schuld auf den Schiedsrichter zu schieben, gerade auch durch die sozialen Medien.

"Der Grundtenor war: Niemand nimmt ihn ernst"

Rückblende: Im Oktober 2016 pfeift Hanf das Landesliga-Spitzenspiel zwischen dem FSV Erlangen-Bruck und dem TSV Kornburg. Der Trainer der Kornburger ist mit Hanfs Entscheidungen nicht einverstanden und echauffiert sich nach dem Spiel. Der Ex-Fußballfunktionär Dieter Rebel postet daraufhin auf seiner privaten Facebookseite öffentlich unter anderem den Satz: „Es wird immer schlimmer, jetzt pfeifen die Weiber bereits in der Landesliga.“ Das Posting schlägt hohe Wellen, vom Sportgericht des Bayerischen Fußball-Verbandes wird Rebel im Dezember 2016 zu einer Geldstrafe von 300 Euro verurteilt. Der Ex-Funktionär sieht seine Äußerung durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt und hatte Einspruch gegen das Urteil eingelegt, der abgelehnt wurde. Er kündigte an, zivilrechtlich gegen das Urteil vorzugehen.

Die Sache mit Dieter Rebel - wie haben Sie die selbst erlebt?

Hanf: Ich wollte an dem Abend feiern gehen, aber mein Handyakku war nach einer Stunde auf der Party leer, weil ich lauter Screenshots von diesem Facebook-Post gesendet bekommen habe. Ich selbst habe ihn nicht angezeigt, ich darf das gar nicht, weil es keine Sache auf dem Sportplatz war. Aber anscheinend haben sich viele beim Verband gemeldet. Die Anzeige hat der Verband gemacht. Man muss dazu sagen: Ich habe den Mann in meinem Leben noch nie gesehen.

Fallen auf und neben dem Platz oft frauenfeindliche Sprüche?

Hanf: Man hat damit schon öfter zu tun, aber sicher nicht auf diesem Niveau. Es gibt schon mal Stammtischssprüche wie „Geh halt in die Küche“ oder „Ach Madla, was machst du denn hier?“ von einem Rentner im Kabinengang. Oft, weil jemand unzufrieden ist, weil sein Verein verloren hat. Aber nicht in dieser prinzipiellen Tiefe wie hier. Er war ja nicht mal am Sportplatz. Es ging einfach nur um das Geschlecht.

Heißt das umgekehrt, ein grundsätzliches Sexismus-Problem gibt es im Amateurfußball nicht? Oder doch?

Hanf: Ich würde sagen: Nein. Nicht flächendeckend. In Einzelfällen schon, aber der Grundtenor ist nicht sexistisch.

Wie waren die Reaktionen in der Amateurfußball-Szene?

Hanf: Insgesamt sehr positiv, ein bisschen ärgerlich fand ich nur, dass vieles davon nicht öffentlich kundgetan wurde. Ich habe natürlich viele Nachrichten von anderen Schiedsrichtern erhalten. Aber es gab auch Zuspruch von Spielern, Vereinen und von wildfremden Menschen. Anfeindungen gab es keine.

Also alles gut?

Hanf: Naja. Der Grundtenor war: Niemand nimmt ihn ernst. Aber es haben sich auch Leute in der Kommentarspalte aufgegeilt, nach dem Motto: Haha, wie witzig. Aber ich denke mir: Leute, ist da nicht eine Schwelle überschritten, die nicht mehr witzig ist? Bei vielen bleibt hängen: Die hat schlecht gepfiffen. Er ist vielleicht ein Sexist und schießt übers Ziel hinaus, aber eigentlich hat er Recht. Das stimmt aber nicht. Und selbst wenn ich schlecht gepfiffen hätte, wäre eine Grenze überschritten.

Hat sich danach etwas für Sie geändert auf dem Platz?

Hanf: Der Umgang mit mir hat sich in den Spielen danach nicht geändert. Aber: Ich opfere unglaublich viel Zeit für das Scheidsrichterdasein, das ist ein Hobby. Und da war schon ein Tiefpunkt erreicht, an dem ich mich gefragt habe: Warum mache ich das eigentlich? Warum lasse ich mich wie eine Sau durchs Dorf treiben? Dass ich seit Winter keine Spiele mehr pfeife, hat aber nichts damit zu tun. Ich habe nur eine Pause wegen meiner Schwangerschaft eingelegt.

Ein häufig geäußerter Kritikpunkt an Schiedsrichterinnen: Sie könnten in Sachen Athletik nicht mit den Männern mithalten. Stimmt das?

Hanf: Klar, als Frau hat man eine schlechtere Ausgangsposition. Aber männliche und weibliche Schiedsrichter haben längst dieselben Anforderungen. Früher hatten Frauen etwa bei den Intervallläufen mehr Zeit. Das hat sich aber vor einigen Jahren geändert. Das bedeutet, als Frau, die in der Bayernliga pfeift, muss ich diesselbe Leistungsprüfung laufen wie meine männlichen Kollegen. Es sieht vielleicht nicht immer so aus, weil Frauen sich anders bewegen.

Ist Bibiana Steinhaus ein Vorbild?

Hanf: Ein Idol, im Sinne von „Ich will so sein wie sie“, ist sie nicht. Nichtsdestotrotz muss Bibiana Steinhaus ein Vorbild für jede Schiedsrichterin sein. Einfach, weil sie sich seit Jahren durchkämpft und es jetzt auch in die Bundesliga geschafft hat. Sie ist nicht Vorbild, weil sie dies oder das in den Spielen macht. Sondern, und da bin jetzt mal ich der Sexist, weil sie eine Frau ist.

Sind Schiedsrichterinnen Vorreiterinnen?

Hanf: Auf jeden Fall dafür, dass Frauen Teil des Fußballsports sein dürfen. Als vierte Offizielle sind wir ja gefragt, da sind die weiblichen zwischenmenschlichen Fähigkeiten plötzlich sehr geschätzt, wenn Guardiola und Klopp aufeinander treffen. Aber schauen wir uns doch den Überfluss an Moderatorinnen im TV an. Da regt sich niemand drüber auf, da geht es wahrscheinlich darum, wie gut sie ausschauen. Ich weiß nicht, ob die wirklich Ahnung haben. Aber - im Gegensatz zu den Kommentatorinnen - regt sich über die Moderatorinnen niemand auf.

Außer sie stellen zu kritische Fragen...

Hanf: Na gut, ja.

Ist das Aussehen so wichtig? Hätte es eine kleine, dicke, schwarzhaarige Schiedsrichterin schwerer?

Hanf: Schwarze Haare sind sicher kein Problem (lacht). Aber klein und dick, wäre schon schwerer.

Also wird man den Sexismus nie ganz los.

Hanf: Nein, definitiv nicht. Denn so eine Frau hat nur noch den Nachteil Frau zu sein. Da sagt keiner: Uh, die finde ich toll. Sondern nur noch: Die ist eine Frau

Aufrufe: 018.6.2017, 06:01 Uhr
Alexander Pfaehler (Fürther Nachrichten)Autor