2024-05-08T14:46:11.570Z

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F: Kammerer
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Ein Europameister aus der Wetterau

+++ Der in Lich geborene Marc-Oliver Kempf triumphiert mit der U21 in Polen +++

REGION (flo). Ein Fußball-Europameister aus der Wetterau: Als die Medaille endlich um den Hals hing, verpasste Marc-Oliver Kempf dem goldenen Umhängsel erstmal ein Küsschen. Der in Lich geborene und in Dorn-Assenheim aufgewachsene Profi des Bundesligisten SC Freiburg hat sich in Polen mit der deutschen U21-Nationalmannschaft durch den 1:0-Finalsieg gegen Spanien den kontinentalen Titel geschnappt. Die Wertigkeit des 22-Jährigen, ohnehin schon ein begehrtes Juwel, nimmt damit nochmals zu.

Ein Gutteil der professionellen Fußballer stilisiert sich heutzutage auch mithilfe der sozialen Medien zur eigenen Marke. Die Fans wollen mitgenommen werden, Einblicke erhalten. CR7 lässt grüßen. Kempf ist in dieser Hinsicht angenehm zurückhaltend. Dann und wann liefert jedoch auch er einmal private Bilder. Ende Mai also postete er ein Urlaubsselfie mit Freundin Carolina. Pool, Palmen, Sonne. Entspannung pur in Dubai. Seitdem ist viel passiert.

Seine fußballerischen Ursprünge hat Kempf beim Reichelsheimer Stadtteilklub TSV Dorn-Assenheim. Bis 2005 spielte er, dessen etwas älterer Bruder Marcel in der Skaterhockey-Bundesliga das Tor hütet (früher bei den Rhein-Main Patriots, seit 2016 bei den Kassel Wizards), dort. Ehe nach Stationen beim SV Bruchenbrücken und der JSG Bad Nauheim 2007 der Wechsel in die U13 der Frankfurter Eintracht folgte. Zehn Jahre später darf sich der Wetterauer Bub U21-Europameister nennen. „Unfassbar, wir bringen den Pott mit nach Hause!“, postete Kempf nach langer Partynacht in Krakau am Samstagmittag. Für ihn ist es freilich die Krönung eines bislang überaus erfreulichen Jahres. Nach einer Meniskus-Operation im Sommer 2016 erkämpfte er sich in der Rückrunde den Stammplatz zurück, stand ab dem 22. Spieltag stets in der Anfangself, spielte zwölf Mal durch, wurde mit dem Sportclub Tabellensiebter – und jetzt mit der U21 Europameister.

Schwarz ärgern wird sich mancher beim hessischen Bundesligisten Eintracht Frankfurt. In der Mainmetropole avancierte Kempf zum Erstligakicker, den Durchbruch aber schaffte er nicht. Dabei war er damals, im November 2012, urplötzlich zu einer echten Alternative beim seinerzeit so furios aufspielenden Aufsteiger geworden. Der simple Grund: Die Not in der Frankfurter Innenverteidigung war groß. Also durfte Jungspund Kempf ran. Die Premiere verlief unglücklich, im Rhein-Main-Derby gegen Mainz setzte es eine 1:3-Heimpleite. Dass der damalige Eintracht-Trainer Armin Veh seinem Schützling mit Blick auf das folgende Freitagsauswärtsspiel in Düsseldorf höchstpersönlich eine zweitätige Entschuldigung für die Schule schrieb, brachte Kempf in die Schlagzeilen. Aus denen er flugs wieder verschwand. Nach dem 0:4-Debakel bei der Fortuna kam Kempf unter Veh kaum noch zum Zuge.

Und so entschied sich der Abwehrmann nach nur drei Bundesligaeinsätzen 2013/14 im Sommer 2014 ins beschauliche und chronisch unaufgeregte Freiburg zu wechseln. Dort freilich etablierte er sich als Stammkraft und Leistungsträger. „Damals gab es 800 000 Euro, heute müsste man wahrscheinlich acht Millionen für ihn zahlen“, gestand Armin Kraaz, Leiter des Eintracht-Nachwuchsleistungszentrums, kürzlich im Gespräch mit dem hr-Sport. „Natürlich ist es schade, dass er nicht mehr bei uns ist, aber es hilft ja nichts, ihm hinterher zu trauern.“ Spricht Kraaz über die Fähigkeiten des Ex-Adlerträgers, dann wird klar, dass Kempf vieles von dem, was im Anforderungsprofil eines modernen Innenverteidigers verankert ist, mitbringt. Denn zu den Kernkompetenzen eines Abwehrspielers zählt ja längst weit mehr als das bloße Aufhalten der gegnerischen Angriffswellen. Vielmehr ist ein Innenverteidiger in Zeiten des Gegenpressings, der falschen Neuner und der abkippenden Sechser die erste spielstrategische Option. „Er hat ein enorm gutes Kopfballspiel, einen guten linken Fuß und für einen Innenverteidiger ein sehr gutes Aufbauspiel“, gerät Kraaz förmlich ins Schwärmen. Bestätigung findet er in den Worten des Freiburger Sportvorstands Jochen Saier. Dieser lobte in der Badischen Zeitung, dass Kempf „mit seinen diagonalen Flugbällen und Verlagerungen“ eine entscheidende Komponente einbringe. Dass der 1,86-Meter-Mann zudem nicht ganz torungefährlich ist, rundet das Gesamtpaket ab. Immerhin sieben Mal hat Kempf in 56 Erst- und Zweitligapartien für den Sportclub getroffen. Insbesondere bei Standards ist er eine Waffe: Sechs der sieben Tore nämlich erzielte er per Kopf nach Ecken oder Freistößen.

Auch bei der Europameisterschaft hat sich der Innenverteidiger in die Torschützenliste eingetragen, beim 3:0-Erfolg im Gruppenspiel gegen Dänemark erzielte er den vorentscheidenden zweiten Treffer. Und das sogar mit dem schwächeren rechten Fuß. Dass Leverkusens Jonathan Tah verletzungsbedingt nicht mit nach Polen reiste und Senkrechtstarter Niklas Süle (Neuzugang beim FC Bayern München) in Joachim Löws Confed-Cup-Aufgebot stand, kam Kempf, der erst im März diesen Jahres seinen U21-Einstand gab, mit Sicherheit zugute. Doch Kempf, U19-Europameister von 2014, zahlte das Vertrauen von Trainer Stefan Kuntz zurück, spielte ein starkes Turnier, stand in allen fünf Partien über die volle Spieldauer auf dem Platz. Nebenmann Niklas Stark (Hertha BSC Berlin) lobte via Kicker: „Er ist ein brutaler Zweikämpfer und haut sich immer voll in die Bälle, er hat einen guten linken Fuß. Ich liebe es, neben ihm zu spielen. Ein geiler Kicker. Ein lustiger Typ.“

Klar ist auch: Mit seinen Leistungen hat sich Kempf weiter ins Schaufenster gestellt und für höhere Aufgaben empfohlen. Dabei stehen die Interessenten ohnehin schon Schlange. Anfang des Jahres war die TSG Hoffenheim im Gespräch, bis zuletzt hatte der Hamburger SV mit seiner Verpflichtung kokettiert. Doch Freiburgs Verantwortliche schoben einem vorzeitigen Abgang Kempfs, dessen Kontrakt 2018 ausläuft, einen Riegel vor. „Wir planen zu 100 Prozent mit ihm“, sagte Sportverstand Saier dem Kicker. Gut möglich, dass der SC seinen Shootingstar dann ablösefrei ziehen lassen muss, sollte dieser zur übernächsten Saison den nächsten Schritt gehen wollen. Sicher auch mit Blick auf die A-Nationalelf. „Man merkt hier, dass der Weg zu Jogi Löw wirklich nicht mehr weit ist“, sagte Kempf vor einigen Wochen. Ambitionen sind also vorhanden.

Doch zunächst einmal wartet nach dem Highlight mit der U21-Nationalmannschaft alsbald wieder der Alltag. Am heutigen Montag steigt der an der Europa-League-Qualifikation teilnehmende SC FWreiburg in die Vorbereitung ein. Man darf davon ausgehen, dass Marc-Oliver Kempf nicht dabei sein wird. Der frischgebackene Europameister dürfte noch ein paar Tage Urlaub bekommen. Um dann beflügelt ins Breisgau zurückzukehren.



Aufrufe: 04.7.2017, 11:07 Uhr
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