2024-04-19T07:32:36.736Z

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Der Trierer Paul Pidancet stieg 1964 mit Borussia Neunkirchen in die Bundesliga auf. TV-Foto: Andreas Feichtner
Der Trierer Paul Pidancet stieg 1964 mit Borussia Neunkirchen in die Bundesliga auf. TV-Foto: Andreas Feichtner

Der Trierer, der die Bayern ärgerte

Der Ex-Bundesliga-Spieler Paul Pidancet wird heute 80 Jahre alt. Mit Neunkirchen vermasselte er Beckenbauer & Co. einst den Aufstieg.

TRIER Als Paul Pidancet zum ersten Mal dienstlich in seine Heimatstadt Trier zurückkehrt, wartet die Polizei schon auf ihn. Es ist sicherer, besser, sagen sie, an diesem Winter-Sonntag, dem 14. Januar 1962. "Wir mussten durch einen Nebeneingang des Moselstadions und wurden von Polizisten eskortiert", erinnert er sich. "Wir" - damit meint er Elmar May und sich.

Die beiden Offensivspieler, gute Freunde, waren vor der Saison von Eintracht Trier zum ambitionierten saarländischen Club und Regionalliga-Konkurrenten Borussia Neunkirchen gewechselt. Eintracht Trier hatte im Sommer zuvor erst am letzten Spieltag den Klassenerhalt perfekt gemacht, Pidancet traf beim 1:0 gegen Ludwigshafen. Nun kam das Offensivduo als Tabellenführer in die alte Heimat zurück. Zum Vorletzten. Nicht jeder im Moselstadion gluckste vor Glück. "Das Spiel war schnell entschieden, eine klare Sache." Neunkirchen gewinnt 4:0. May trifft doppelt, Pidancet einmal. Und während die Eintracht am Ende der Saison aus der damals noch höchsten Liga absteigen muss, spielt Neunkirchen als Regionalliga-Meister um die Deutsche Meisterschaft. Pidancet, May und ihr Team rauben später dem FC Bayern den Bundesliga-Aufstieg, kicken selbst zwei Jahre in der damals brandneuen Bundesliga. Sie haben also alles richtig gemacht - würde man heute sagen.

Aber Paul Pidancet sagt das nicht so. Schließlich war er, ist er, bleibt er Trierer. Medarder, genau genommen. Nur fünf Jahre seines Lebens lebte er nicht im Trierer Süden. Aber diese Jahre in Neunkirchen hatten es in sich. "Elmar Mays Vater war die treibende Kraft, dass ich damals auch nach Neunkirchen gewechselt bin", erinnert sich Pidancet. Eigentlich wollte ihn Saarbrücken. 23 Jahre war er damals, Elmar May - der 1999 starb - zwei Jahre jünger. Der zurückhaltende Paul, der lieber schweigt als poltert, und der blonde Elmar, der Draufgängertyp und Frauenschwarm - so wurde das Duo von der Mosel gern charakterisiert. "Das kommt ungefähr hin", sagt Pidancet. Der Doppelwechsel hatte zwischen beiden Clubs für erheblichen Wirbel gesorgt. Aber auch in der Familie war nicht jeder Feuer und Flamme. "Meine Frau Helga, damals noch meine Freundin, und auch meine Eltern waren nicht begeistert. Ich habe mit Elmar May in einem Doppelzimmer in einem Privathaushalt gewohnt." Aber die Spieler bekamen Aufstiegsmöglichkeiten - in der Liga, aber auch im Job. Etwa bei der Stadtverwaltung, so wie Pidancet. Sein Trainer war damals Alfred "Adi" Preißler, der heute noch von BVB-Fans als Legende verehrt wird. "Er war selbst ein sehr guter Fußballer, genau wie sein Nachfolger Horst Buhtz, unter dem wir aufgestiegen sind." Preißler war gerne für Teambuilding zu haben. Beim BVB ist sein Bonmot "Grau ist alle Theorie, entscheidend is’ aufm Platz" im kollektiven Gedächtnis. Auch Pidancet erinnert sich an pragmatische Ankündigungen von Preißler. Etwa so: "Heute zieht ihr um die Häuser. Ich komme mit." - "So lange man am nächsten Tag nicht im Training schlapp machte, war alles in Ordnung."

Wo ist noch mal der Vertrag mit Neunkirchen? Ach hier! Pidancet blättert durch die Ordner in seinem Arbeitszimmer im Dachgeschoss, Zeitungsartikel, Verträge, Angebote von anderen Vereinen. Alles archiviert. Nicht nur die Neunkircher Zeit, auch die Jahre zuvor und danach bei der Eintracht von 1958 bis ’61 und ’66 bis ’70, der Karriereausklang als Libero beim VfL Trier. Und dazwischen die erfolgreiche Zeit als Spielertrainer beim SV Leiwen, wo er 1973 noch einmal vor über 12 000 Zuschauern für Frust im Moselstadion sorgt - als Leiwen das Derby mit 2:0 gewinnt.

An der Wand erinnern Schwarz-Weiß-Bilder an die Kindheitstage der Bundesliga. Pidancet beim Kopfball, beim Dribbling, beim Abschluss. Oder auf dem Titel des Kicker-Magazins, das daneben zugleich "das Neueste über Pele" anpreist. Ein schneller Mann, feiner Techniker - so wird Pidancet beschrieben. "Das Ellenfeldstadion war immer voll", erinnert er sich. 25 000 Zuschauer kamen regelmäßig zu den Heimspielen in der damals kleinsten Bundesliga-Stadt. "Bei uns ging im ersten Bundesliga-Jahr alles über den Kampf." Neunkirchen wurde Zehnter am Ende der Saison 1964/1965. Im zweiten Jahr lief es dann nicht mehr rund, Neunkirchen stieg ab. May und Pidancet verließen gemeinsam den Verein - aber diesmal in verschiedene Richtungen: May blieb in der Bundesliga, ging zum HSV, wo er wegen langwieriger Verletzungen kaum noch zum Zuge kam. Und Pidancet wechselte von Neunkirchen nach Trier, von der Borussia zur Eintracht, von Stadtverwaltung zu Stadtverwaltung. Warum eigentlich - kann man fragen, wenn man sich die Briefe von Interessenten anschaut. Dortmund, Leverkusen, weitere Clubs hörten über Mittelsmänner bei ihm nach. "Ach, ich hatte einfach nicht die Traute", sagt er. "Und ich war mit knapp 29 auch nicht mehr der Jüngste." Auch die Hüfte machte irgendwann Ärger. Fünfmal wurde er im Lauf der Jahrzehnte operiert. Die ersten Spieler aus der Region Trier in der 1963 gegründeten Bundesliga waren übrigens nicht May und Pidancet: Günter Herrmann, zwei Jahre jünger als Pidancet und einst Teamkollege in der Trierer Stadtauswahl, war damals einer der Besten bei Schalke.

An den 20. Juni 1964 werden sich Franz Beckenbauer und Sepp Maier eher ungern erinnern. An den Dauerregen im Stadion an der Grünwalder Straße. An das Spiel gegen Neunkirchen. An diesen Teufelskerl im Kasten. Pidancet hat den wichtigen 2:0-Sieg in der Aufstiegsrelegation beim FC Bayern noch bestens vor Augen. Vor allem Torhüter Willi Ertz, der Mann im Schlamm: "Der hatte so viel zu halten", sagt er: "Nach 20 Minuten sah er so aus, als hätte man ihn durch den Gulang gezogen."


Die Borussia gewann auch die folgenden Spiele in St. Pauli und gegen Tasmania Berlin - und blieb damit vor Bayern München in der Aufstiegsrelegation zur Bundesliga. Der FCB kam erst ein Jahr später hoch. Er schlug sich aber in der Folge zugegeben wackerer als Neunkirchen. Die Borussia spielt seit dieser Saison nur noch in der sechstklassigen Saarlandliga. Ein, zwei Mal im Jahr ist Pidancet noch im Saarland. "Meistens aus traurigen Anlässen", sagt er. Davon kann heute keine Rede sein. Da feiert Pidancet im kleineren Rahmen in einem Trierer Restaurant seinen 80. Geburtstag. Echt, schon 80? Die sieht man dem früheren Stürmer wirklich nicht an. Fußball schaut er noch gern - aber eher mit Freunden in der Kneipe als im Stadion. Damals hat er mit dem Kicken ein paar Hundert Mark im Monat verdient. Was er von aktuellen Gehältern und Ablösesummen hält - Stichwort Neymar? "Ach bitte fangen Sie nicht davon an", blockt er ab: "Bei den Summen bekomme ich einen dicken Hals."

Extra: PAUL PIDANCET

(AF) Der schnelle, technisch versierte Stürmer aus dem Trierer Süden spielte in der Jugend für St. Matthias, den VfL Trier und war dann von 1958 bis 1961 bei der Eintracht aktiv. Sein Wechsel - gemeinsam mit SVE-Kollege Elmar May - zu Borussia Neunkirchen sorgte für großen Wirbel. Mit Neunkirchen stieg er 1964 in die Bundesliga auf, blieb dort bis zum Abstieg 1966 - dann zog es ihn zurück zur Eintracht. Nach Stationen in Leiwen und Salmrohr beendete er die Karriere beim VfL Trier. Pidancet ist seit 1962 verheiratet.

Aufrufe: 07.9.2017, 21:40 Uhr
volksfreund.de/Andreas FeichtnerAutor