2024-04-25T14:35:39.956Z

Kommentar
Foto: Ronny Hendrichs
Foto: Ronny Hendrichs

Der Lärm-Effekt

Der TV Grafenberg und der Disput mit einem Anwohner

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Der TV Grafenberg muss seinen Trainings- und Spielbetrieb begrenzen, weil sich ein Anwohner durch den Krach belästigt fühlt. Wegen der Auflagen sieht der Verein seine Zukunft bedroht. Ein Gast-Kommentar des
Klub-Präsidenten.

No sports“ war die Lebenseinstellung Winston Churchills, der in seiner Freizeit lieber Zigarren qualmte, statt sich zu sportlichen Höchstleistungen zu quälen. Sportvereine, die Breitensport betreiben, müssen noch einen Schritt weitergehen. Sie müssen sich fragen, ob sie der Gesundheit anderer schaden, wenn sie Sport vorantreiben. Leichtathleten und Hallensportler bleiben im Fall des TV Grafenberg außen vor. Die stören Dritte bestenfalls bei An- und Abfahrt der Sporthallen oder mal den Hausmeister, weil der nicht pünktlich Feierabend machen kann. Es geht in erster Linie um die Fußballer, Tennis- und Hockeyspieler. Nach Ansicht vereinzelter Anlieger von Sportplätzen machen die Aktivitäten der eben genannten Sportler jene krank, die Geräusche, die beim Sport entstehen, als störend empfinden. Das mag überraschen und verwundern, ist aber tatsächlich ein Problem.

Wenn sich jemand in seiner Freizeit in einem Sportverein engagiert, etwa als Trainer einer Jugendmannschaft oder als Vorstandsmitstreiter, geht er erst einmal davon aus, etwas Gutes zu tun. Die Wichtigkeit von Sportvereinen als Organe der Jugend- aber auch Erwachsenenbildung wird immer wieder herausgestellt. Es wird betont, es gehe hier um die körperliche und geistige Gesundheit. Nicht nur von Kindern und Jugendlichen, auch für Erwachsene wird die gesund erhaltende Wirkung der Teilnahme am Mannschaftsbeziehungsweise Gesellschaftssport propagiert. Ältere Menschen drohen im Verein nicht zu vereinsamen, sie fühlen sich angenommen und beheimatet. Kinder, die in aller Regel als Einzelkinder aufwachsen, lernen in Sportvereinen sich den Herausforderungen in sozialen Gemeinschaften zu stellen. Sie lernen Niederlagen zu akzeptieren und sich nach Siegen nicht zu überschätzen. Sie lernen, dass sie in der Gemeinschaft Dinge erreichen, die sie allein nicht erreichen können. Sie lernen Ausdauer, Durchhaltevermögen, Beweglichkeit und bisweilen, den eigenen Schweinehund zu überwinden. Sie lernen, füreinander einzustehen und eigene Bedürfnisse hinten an zu stellen, wenn es der Gemeinschaft dient. Sie lernen aber auch ebenso gut, sich auch einmal durchzusetzen. Kurz: sie halten sich im Verein körperlich und geistig fit. Zusammen mit den Erwachsenen jeden Alters.

So weit so gut, sollte man meinen? Nun, die Sportler produzieren bei ihrer Betätigung auch Geräusche: Bälle titschen und ploppen, Trainer rufen Anweisungen, Mitspieler muntern sich auf oder meckern. Und zu allem Übel schreien sie nach Erfolgen ihren Jubel hinaus. Unerträglich, so befinden nicht die vereinzelten Anwohner, sondern auch Gesetzgeber und Rechtsprecher. Es gibt sogar Vertreter der Ansicht, Sportler-„Lärm“ sei schädlicher als Verkehrslärm. Dies komme, so heißt es, weil Straßenlärm berechenbarer sei als Sportlärm. Ich bin kein Experte, nur ein „Normalbürger“. Ich kenne sowohl Straßen- als auch sogenannten Sportlärm. Allerdings erschließt sich nicht, inwiefern Straßenlärm berechenbar ist. Kündigt sich eine Autohupe oder eine plötzlich bremsende Straßenbahn an? Fragt ein Motorradfahrer nach Erlaubnis, bevor er seinen Motor aufheulen lässt? Mit diesen Geräuschen kann ich auf der Straße genau so rechnen oder nicht, wie mit dem Rufen eines Spielers oder dem Prallen eines Balles auf dem Sportplatz.

Ich bin seit zwölf Jahren Vorsitzender des TV Grafenberg 1888 e.V., in dem Basketball, Turnen und Gymnastik, Tischtennis, Kickboxen und Boule, aber auch Fußball und Tennis gespielt werden. 1932 bauten die Mitglieder den Sportplatz an der Stelle, wo heute noch unser zuletzt 2006 mit viel Steuermitteln und Eigenkapital des Vereins umgebaute Sportpark liegt. Erst in den 60er Jahren rückte Wohnbebauung an den Sportplatz heran. Jetzt liegt er in einem Wohngebiet. „Wer zuerst kommt, mahlt zuerst“, gilt in dem Fall nicht. Das Argument, der Verein war vorher da, er kann weitermachen, zählt nicht. Dass man sich neuen Gegebenheiten anpassen muss, ist klar. Verein und seine Gastlichkeit werden von den meisten Nachbarn gerne angenommen. Und die, die den Verein nicht besuchen oder nutzen, verstehen ihn doch als Bereicherung für das Umfeld und fühlen sich nicht oder kaum gestört. Sie wissen, dass Wohnen im urbanen Umfeld entsprechende Geräusche mit sich bringt. Außerdem erkennen sie in der großen Mehrheit die soziale Komponente von Sport und Geselligkeit an. Bis auf einen.

Dieser Anrainer lebt neben der Platzanlage, vom Sportgeschehen durch die Weite der Grundstücke etwa 150 Meter entfernt. Er ist hier aufgewachsen, später wieder als Mieter in das Vaterhaus zurückgekehrt. Er und seine Töchter waren Mitglieder der Tennisabteilung. Seit er vor etwa 15 Jahren an seine Kindheitsadresse zurückkehrte, reibt er sich an dem, was in seiner Nachbarschaft geschieht. Selbst zu der Zeit, in der er noch aktives Mitglied war. Einschränkungen des Sportbetriebs gingen ihm nicht weit genug. Vor allem störten ihn Kinder, die außerhalb des offiziellen Spiel- und Trainingsbetrieb die Anlage zu Spiel und Sport nutzten. Daher wurden unter der Moderation des Sportamts der Stadt Düsseldorf Gespräche geführt und Regeln erstellt, die das freie Spiel einschränkten. Der Verein stimmte trotz seiner Überzeugung, dass das Nutzen der Anlage auch zu dieser Zeit und diesem Zweck sinnvoll ist, diesen Einschränkungen zu, obwohl man hier kaum von Lärm reden konnte. Als jedoch auch während der offiziellen Öffnungszeit Beschwerde gegen die Anwesenheit von drei Kindern am frühen Freitagabend geführt wurde, war niemand vom TVG mehr bereit, derartiges Klagen ernst zu nehmen.

Das Nachbarehepaar beklagte sich einmal beim Sportamt. Offenbar genervt durch ständige derartige Nörgeleien einzelner Anwohner Düsseldorfer Sportstätten schickte das Sportamt einen Serienbrief, der im Jahr zuvor schon andere Vereine mit fast identischem Inhalt erreicht hatte, an den TVG. Mitten in die Vorbereitungen zur 125. Jahrfeier schlug dieser Brief ein wie ein Komet. Schon auf Seite eins des dreiseitigen Briefs war von existenzgefährdenden Konsequenzen für den Verein zu lesen. Die Einschränkungen für den Sportbetrieb wurden so drastisch dargestellt, dass uns Vorstandsmitgliedern eine schlaflose Nacht gewiss war. Drei Tage nach Erhalt des Schreibens setzten wir einen Text auf, der als Begleitschreiben zu dem Drohbrief per Mail an die Mitglieder gesandt wurde. In der Folge wurden Medien, aber auch Kommunal-, Landes- und Bundespolitiker auf das Thema aufmerksam. Drei Wochen waren mein Stellvertreter und ich mit Beantwortung von Mails und Stellungnahmen zu Berichterstattungen beschäftigt. Es geht nicht mehr um einen Nachbarschaftsstreit. Die Interessen liegen inzwischen woanders. Es kann nicht angehen, dass die ehrenamtliche Arbeit in den Sportvereinen als Industrielärm verunglimpft wird. Es darf nicht sein, dass das übersteigerte Ruhebedürfnis Einzelner über dem Interesse der Gemeinschaft steht. Vor allem, wenn wie in unserem Fall, alle übrigen Nachbarn auf unserer Seite stehen, uns sogar Unterstützung anbieten.

Inzwischen hat sich der Leiter des Sportamtes vom Inhalt des Briefes distanziert. Er hält sogar die Selbstbeschränkungen für unnötig, soweit sie sich auf das Freispiel der Kinder beziehen. Dies sieht er als Bestandteil des Sportbetriebs. Politiker sämtlicher Parteien sagen uns Unterstützung zu. Rein rechtlich ist es nach wie vor so, dass der einzelne sich über die Gemeinschaft stellen darf. Dies ist in bestimmten Fällen möglicherweise auch richtig, im Bezug aber auf Klagen gegen den Sportbetrieb mit Sicherheit nicht. Bundespolitiker von CDU, SPD, Grünen und FDP haben die Überarbeitung des Gesetzes, das Geräusche beim Sport als Lärm bezeichnet, zugesagt. Der Düsseldorfer Stadtrat hat dem Bundestag eine entsprechende Resolution zukommen lassen. Der gesunde Menschenverstand ist auf unserer Seite, nun muss das Gesetz folgen.

Dass sich jemand von Geräuschen, die Sportler machen, derart belästigt fühlt, dass er davon krank wird, ist für mich nicht zwingend nachvollziehbar, verleugnen möchte ich es nicht. Wenn dies so sein sollte, kann es dann die Lösung sein, Sportbetriebe lahm zu legen? Ist es nicht vielmehr so, dass der einzelne einen Ortswechsel vollziehen muss? Lärm macht krank, ohne Zweifel – aber ist in diesem Fall von Lärm zu sprechen? Schließen wir Städte, weil hier Hunderttausende von Menschen leben, die Geräusche verursachen. Wieso wird gerade der gesunde Sport, der gerade den Großstädtern so viele Vorteile bringt, geknebelt? Meine Erfahrung hat mich gelehrt: Jemand, der beim Sport und Feiern mitmacht, statt sich über das Geschehen aufzuregen, lebt gesünder.

Aufrufe: 021.8.2013, 12:00 Uhr
Uli GeduldigAutor